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Die aktuelle Trägerin des Literaturpreises Ruhr, Lina Atfah (Mitte), und die Schauspielerin Annamae Endtinger (r.) lasen die Gedichte, links Moderator Christian Scholze.

Lesung im WLT-Studio

Lina Atfah bewegt mit Poesie

Unmenschliche Massaker, toxische Beziehungen, die Liebe zu Kindern, unterdrückte Weiblichkeit – Lina Atfah erschafft dafür betörende Sprachbilder. Es sind herzerwärmende bis herzzerreißende Erlebnisse, welche die preisgekrönte Autorin dazu bewegen, die Welt in Gedichte fassen. Die syrisch-stämmige Deutsche aus Wanne-Eickel erhielt im September 2023 für ihre Gedichte den Literaturpreis Ruhr.

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Nun war sie zu Gast im Studio des Westfälischen Landestheaters (WLT) am Europaplatz in Castrop-Rauxel. Die Lesung auf Arabisch ermöglichte es dem Publikum, tief einzutauchen in die verführerische Sprache und Vortragsweise der Dichterin. WLT-Schauspielerin Annamae Endtinger rezitierte kraftvoll die deutsche Übersetzung, den Abend moderierte WLT-Chefdramaturg Christian Scholze.

Kinder vor Gewalt schützen

WLT-Chefdramaturg Christian Scholze moderierte den Abend mit Lina Atfah.

Lina Atfah geizt nicht mit ihren Gefühlen. Klar und körperlich zeigt sie Wut, Liebe, Hoffnung und Traurigkeit, die in ihrer Sprache liegen. Ihre Gedichte rollen durch das Ohr, ins Herz und Hirn – mal verschlingend wie ein unbändiger Lavastrom, dann wieder mit der Wucht eines Schlagstocks. Im Gedicht „Erbteil“ etwa geht es um ein Massaker nahe Atfahs Heimatstadt Salamiyyah: „Hackbeile hieben in den aufstöhnenden Tischbauch, heiß rann mir Blut über Haar und Gesicht, rann mir über den Hals, den Leib. Ich fand den Tod unheimlich, aber nicht schmerzhaft“, schreibt sie und findet im Laufe dieses Gedichtes weitere Verse, die die Not des Beobachters schmerzlich spürbar machen. „Wenn wir Kinder nicht schützen vor Gewalt, können wir keine gute Zukunft erwarten“, sagte Atfah abschließend. Ihr eigener Cousin habe mit den Folgen zu kämpfen, die Familie könne ihm kaum helfen. Das alles wiege schwer, es sei kompliziert, sagte sie.

Zärtliche Gedanken

Im Gedicht „Grabtuch aus Schmetterlingen“ teilen die Zuhörenden mit ihr die zärtlichen Gedanken an verstorbene Kinder. Die Schönheit dieses Textes rührte fast zu Tränen. Er gab ihrem mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichneten Gedichtband den Titel.

Am Ende der Lesung meldete sich eine Zuhörerin zu Wort, die bei einem Konzert des palästinensischen Pianisten Aeham Ahmad erstmals die Gedichte von Lina Atfah gehört hatte. „Ich bin froh, dass ich heute auch hierhergekommen bin. Es war ein ganz besonderer Abend“, sagte sie.

Lina Atfah wurde 1989 in Salamiyyah, Syrien, geboren und studierte in Damaskus arabische Literatur. Sie veröffentlichte nach ihrem Studium journalistische Texte in verschiedenen Zeitungen und Kulturmagazinen sowie einen Gedichtband mit dem Titel „Am Rande der Rettung“. Ihr wurde 2006 vom syrischen Staat vorgeworfen, Gotteslästerung begangen und den Staat beleidigt zu haben. In der Folge wurde sie wiederholt von den syrischen Sicherheitsbehörden bedroht und von allen kulturellen Veranstaltungen in Syrien ausgeschlossen.

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Seit 2014 in Wanne-Eickel

2014 wurde ihr die Erlaubnis zur Ausreise erteilt. Sie reiste zunächst in den Libanon, ließ sich dann aber in Deutschland nieder und lebt seit 2014 in Wanne-Eickel. Nach einer Nominierung von Nino Haratischwili erhielt sie 2017 den Kleinen „Hertha Koenig Preis“. 2019 wurde ihr erster Gedichtband auf Deutsch veröffentlicht: „Das Buch von der fehlenden Ankunft“ erschien im Pendragon Verlag. Sie erhielt mehrere Arbeitsstipendien. So war sie etwa 2020 Stipendiatin auf Schloss Wiepersdorf und 2021 im Künstlerhaus Edenkoben. 2020 wurde sie für ihren arabisch-deutschen Gedichtband „Das Buch von der fehlenden Ankunft“ mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. 2023 erhielt sie den Literaturpreis Ruhr.

| Autor: Nadja Juskowiak
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