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Bereit für den Einsatz: Hauptkommissar Tobias aus Herne ist Polizeibeamter der Wache in Wanne und spricht über Gewalt, Bedrohungen, Beleidigungen und Widerstand gegenüber Einsatzkräften.

Hauptkommissar Tobias (38) spricht über Gewalt gegen Polizeibeamte

'Man spürt, die Widerstände nehmen zu'

Es fängt harmlos mit einer allgemeinen Verkehrskontrolle der Polizei an. Plötzlich eskaliert die Situation, ein Mann flüchtet in einen Hausflur, die Beamten rennen ihm hinterher. Als sie ihn einfangen und versuchen zu fixieren, folgen Tritte, Beleidigungen, Bedrohungen und Spuckattacken. Szenen wie diese mit Widerstand und Gewalt gegen Einsatzkräfte kommen nicht häufig vor, die Fallzahlen bleiben aber auf einem konstant hohen Niveau.

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Ein Phänomen, welches nicht nur Hauptkommissar Tobias von der Polizeiwache Wanne-Eickel kennt. Sein Nachname wird in diesem Bericht absichtlich nicht genannt, um ihn zu schützen. Schutz, den er in seinem Beruf gebrauchen kann. Dennoch möchte er mit halloherne über seine Erlebnisse sprechen - genau wie kürzlich Feuerwehrmann Nils Hoyermann (halloherne berichtete). Die Herner Feuerwehrmänner und -frauen sowie Sanitäter vermeldeten Ende Juni 2025 innerhalb von wenigen Tagen mehrfach körperliche Angriffe und Beleidigungen gegen sich (halloherne berichtete).

Vom Polizeigriff bis hin zum Einsatz der Dienstwaffe

Klar ist, dass sich Polizisten mit dem Polizeigriff, Handschellen, Kabelbindern, Schlagstock, Elektro-Taser und nicht zuletzt mit der Dienstwaffe deutlich besser wehren können, als vollkommen unbewaffnete und im Normalfall ohne spezielle Einsatztechniken ausgebildete Feuerwehrleute und Rettungssanitäter.

Tobias, seit 2006 bei der Polizei, nimmt nach eigener Aussage schon seit zehn bis zwölf Jahren eine deutliche Verschlimmerung wahr. „Man spürt auf der Straße, dass die Gewalt und die Widerstände zunehmen. Die Leute sind bereit, aggressiv gegen Einsatzkräfte vorzugehen und suchen heutzutage eher die Konfrontation“, merkt der Hauptkommissar im Gespräch mit halloherne an. „Die Strafen dafür wurden zwar erhöht, aber bislang ist noch keine große Wirkung eingetreten.“ Für ihn mache Widerstand auf Deutsch gesagt „keinen Bock“, es sei einfach anstrengend für alle Beteiligten. Kleinere Verletzungen kommen ebenfalls immer mal wieder vor.

Die Polizei Bochum, zu der auch Herne gehört, wurde im Jahr 2022 mit Tasern ausgestattet - offiziell werden sie

Über 500 Fälle von Widerständen pro Jahr

Rein zahlenmäßig zeigt sich im Herner Stadtgebiet zwischen 2022 und 2024 eine gleichbleibende Tendenz. Gab es 2022 560 Fälle von physischer und psychischer Gewalt gegen Polizeibeamte, waren es im Jahr darauf 512 und zuletzt 544, teilte Polizeisprecher Jens Artschwager auf Anfrage von halloherne mit. In den Jahren der Corona-Pandemie fielen die Zahlen mit 142 (2020) und 376 (2021) geringer aus. Ältere Statistiken sind aus technischen Gründen nicht verfügbar. Selbst die Polizei sagt: Die Dunkelziffer dürfte in allen Jahren höher liegen. Nicht alles wird erfasst oder zur Anzeige gebracht.

„Das Problem bei diesem Thema ist, dass Polizisten oft auf Menschen treffen, die sich in Ausnahmesituationen befinden – etwa bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt, Raub, Einbrüchen mit Tätern, Verkehrsverstößen oder ähnlichen Dingen. Hinzu kommen oftmals Alkoholisierung oder Drogenkonsum, die das Miteinander in solchen Momenten nicht einfacher machen“, erläutert Artschwager. „Grundsätzlich bemühen sich die Kollegen vor Ort natürlich um Deeskalation – sofern möglich und situativ angebracht. Ansonsten ist es uns wichtig, bürgernah zu agieren und uns möglichst transparent zu zeigen, um für gegenseitigen Respekt zu werben.“

Flucht vom Verdächtigen scheitert

Die eingangs beschriebene Szene hat Polizist Tobias selbst erlebt. Der Mann hatte Drogen dabei und wollte sich deshalb der Kontrolle entziehen. „Er hat noch versucht, die Haustür zu schließen, aber wir waren schneller“, erzählt der 38-Jährige und kann sich dabei ein leichtes Grinsen über die anschließend erfolgte Festnahme, trotz aller Widerstände, nicht verkneifen.

Polizist Tobias hat selbst schon einige Widerstände von Personen im Dienst erlebt - nach seinem Gespür nehmen diese seit zehn bis zwölf Jahren spürbar zu.

Trotzdem müssen er und seine Kolleginnen und Kollegen mittlerweile mehr aufpassen und vorsichtig sein. „Die Leute haben immer mehr gefährliche Gegenstände wie Messer dabei. Hier kommt es aber auch auf die Gegend an, in der sie sich aufhalten oder wir kontrollieren“, betont der Herner, der in Eickel geboren und aufgewachsen ist. Vor allem um Bahnhöfe, aber auch am Buschmannshof herum, sei das Gefahrenpotenzial um einiges höher. Für den Schutz sorgt auch die Weste der Beamten, die im Bauchbereich vor Messerstichen schützt.

Die Kolleginnen können körperliche Lücken schließen

Doch es sind nicht immer „nur“ die Männer. „Wir erleben auch Widerstände von Frauen, die erheblich sein können. Zum Großteil haben wir es aber mit männlichen Personen zu tun“, schildert der sportliche Hüne. Seine Kolleginnen sind dagegen im Normalfall kleiner. „Heutzutage sind sie aber sehr gut ausgebildet und können die körperlichen Lücken besser schließen. Dennoch haben sie es etwas schwieriger und daher ist es von Vorteil, wenn man gemischt unterwegs ist.“

Im Wach- und Wechseldienst, wie die Streifenpolizisten ihren Job bezeichnen, kann es schließlich ganz schnell zu einer eskalierenden Situation kommen. Manchmal geht es aber auch anders - das liegt an den Bodycams und den Tasern. „Beides schüchtert die Personen ein und führt zur Deeskalation. Die Aufnahme zu starten, die später als Beweismittel verwendet werden kann, hilft da schon, sowas mögen die Wenigsten“, erläutert der Polizist. „Gezogen habe ich meinen Elektro-Taser auch schon, eingesetzt aber noch nicht. Viele schrecken spätestens dann zurück, weil sie davon nicht getroffen werden wollen.“

Taser gibt es seit 2022 im Polizeipräsidium Bochum

Politisch sind die „Distanzelektroimpulsgeräte“, wie sie im Behördendeutsch genannt werden, teils umstritten. Anfang 2022 wurde bekannt, dass der Streifendienst vom Polizeipräsidium Bochum, zu dem auch die Polizeiinspektion Herne mit ihren beiden Wachen gehört, mit den gelben Elektroschockern ausgerüstet wird (halloherne berichtete).

Die Polizei muss sich auf immer mehr gefährliche Gegenstände bei Personen einstellen - die Weste schützt dabei gegen Messerstiche im Bauchbereich.

Oft genug hilft aber ein ganz einfaches Mittel: Die Sprache. „Es kommt natürlich darauf an, wo man ist und wie man spricht. Insgesamt erlebe ich aber deutlich weniger Widerstände, weil ich oft und viel mit den Leuten rede“, schildert der Beamte. „Wenn man die Personen gezielt anspricht, kriegt man das oft genug gut hin. Aber: Die Zündschnur wird immer kürzer. Manchmal sagt auch einer: 'Dann sperr mich doch ein'.“

Tobias sind in der jüngeren Vergangenheit noch weitere Dinge aufgefallen. „Egal, wie so ein Einsatz auch abläuft: Eine Entschuldigung der Person am nächsten Tag gibt es gar nicht mehr. Früher war das nach kleineren Delikten noch anders“, blickt er zurück. „Heute sitzen die Leute nur noch kleinlaut vor Gericht und hoffen dann darauf, eine mildere Strafe zu bekommen. Ich habe selbst nicht alle Entschuldigungen angenommen.“

Ein Befürworter von Strafmündigkeit ab zwölf Jahren

Das andere Thema: zunehmend jüngere Täter. „Kinder und Jugendliche testen ihre Grenzen aus. Deshalb bin ich auch für eine Herabstufung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre.“ Diese liegt aktuell bei 14 Jahren. Der Polizeibeamte, der auch im Laufe seiner Dienstzeit zwei Mal Teil einer Hundertschaft war (2011 bis 2013 in Essen, 2021 bis Oktober 2022 in Bochum), nimmt bei Demonstrationen oder anderen größeren begleiteten Gruppen immer häufiger Beleidigungen gegen Einsatzkräfte wahr. „Aus einer Menge von hunderten Leuten heraus traut sich eine Person anonym viel mehr, als wenn sie einzeln auf der Straße unterwegs wäre.“

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Abschließend möchte der Herner noch eine Sache in Bezug auf die Thematik betonen: „Klar ist, dass die Polizei auch Fehler macht. Trotzdem ist jeder Angriff und Widerstand gegen Einsatzkräfte einer zu viel und muss bestraft werden.“

Montag, 28. Juli 2025 | Autor: Marcel Gruteser