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„Dogman“ Doug (Caleb Landry Jones) und sein gelehrigster vierbeiniger Freund, der für ihn Juwelen aus Schlafzimmern reicher New Yorkerinnen stiehlt.

Luc Bessons spektakulär bebilderter Horrorstreifen

Neu im Kino: Dogman

Newark, vor den Toren New Yorks, zwei Uhr in der Frühe. Starkregegen, man sieht die Hand vor Augen nicht. Bei einer Verkehrskontrolle hält die wetterfeste New Jersey Polizei einen Kleinlaster an. Am Steuer eine offenbar übermüdete, aus mehreren Wunden blutende Frau. Als die Beamten den Kofferraum öffnen, blicken sie in Dutzende Hundeaugen. Erst auf der Wache wird deutlich, dass es sich bei der Fahrerin in Frauenkleidern um einen Mann handelt.

Douglas „Doug“ Munrow (Caleb Landry Jones) braucht erst eine gewisse Zeit, um sich der Psychologin Dr. Evelyn Becker (Jojo T. Gibbs) zu öffnen. In der er, unausgesprochen, eine Seelenverwandte spürt: Sie lebt noch bei ihrer Mutter (Corinne Delacour), der sie bei nächtlichen Einsätzen wie diesem auch ihren kleinen Sohn unter die Bettdecke legen kann.

Ein psychopathischer Transvestit?

Die Hunde auf der Ladefläche, die den Polizisten übrigens entwischten, seien seine Kinder, die er mehr liebe als die Menschen, gibt Doug zu Protokoll. Offenbar ein psychopathischer Transvestit, der die Seelendoktorin in weiteren Verhören mit horriblen Ereignissen aus seiner Vergangenheit, die jegliche Vorstellungskraft sprengen, konfrontiert, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen. Doch Evelyn Becker zeigt sich keinesfalls schockiert, hört ihm in Ruhe zu: Sie hat offenbar ähnliche Erfahrungen als Jugendliche machen müssen.

Von seinem cholerischen Vater Mike (Clemens Schick) verprügelt und von seinem perversen älteren Bruder Richie (Alexander Settineri) gequält, wird der aufsässige Doug in den Zwinger zu den abgerichteten Kampfhunden gesperrt. Instinktiv scharen sich die trainierten Vierbeiner schützend um den Jungen, mit dem sie monatelang Behausung und Nahrung teilen. Längst hat die Mutter das Weite gesucht, ohne ihren Jüngsten zu befreien.

Richie greift zum Gewehr

„In Gottes Namen“ prangt auf einem Spruchband über dem Zwinger, als Richie zum Gewehr greift und seinem Bruder einen Finger abschießt. Ein kleiner Hund schlüpft durch die Maschen des Drahtgitters, läuft mit dem blutigen Fetzen Menschenfleisch auf einen Polizeiwagen zu und führt die Uniformierten zum Tatort: Doug ist von seinem höchst unchristlichen Martyrium befreit, aber so geschwächt, dass er künftig auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

In der Schule als Behinderter gemobbt, hat ihm die empathische junge Lehrerin Salma (Grace Palma) die Liebe zur Literatur eingeimpft und ihn im Schultheater in Shakespeares „Romeo und Julia“ die männliche Hauptrolle spielen lassen – im Rollstuhl. Ohne zu ahnen hat sie den Grundstein zu seiner späteren Verwandlung gelegt: Nach einer Reihe von Absagen bei der Jobsuche spricht Doug in einen Drag Club vor und reüssiert mit einer Édith Piaf-Nummer, der weitere grandiose Parodien („Lili Marleen“) folgen.

Dutzende Hundeaugen blicken den Polizisten bei einer nächtlichen Fahrzeugkontrolle in Newark entgegen.

Doug mutiert zum „Dogman“, unterhält in einer aufgelassenen Highschool ein Asyl für herrenlose, oft misshandelte Vierbeiner. Nachts verwandelt er sich, „Joker“ lässt grüßen, in eine Dragqueen. Seine gut trainierten Hunde stehlen Schmuck und andere Preziosen aus den Villen wohlhabender New Yorker und gehen, etwa nach einer Klage des kleine Latino-Jungen Juan (Michael Garza), dass seine Tante Martha das Bestechungsgeld für die Mafia nicht aufbringen kann, einer Bande von Schutzgelderpressern buchstäblich an den Kragen. Diese rächt sich blutig…

Erfolgsregisseur Luc Besson führt Regie

Der unter anderem mit einem César ausgezeichnete Erfolgsregisseur Luc Besson („Léon – Der Profi“, „Das Fünfte Element“) blickt in diesen mit 113 Minuten schon sehr langen Horrorstreifen in spektakulär bebilderte Abgründe, immer wieder auch aus der Perspektive der Hunde (Kamera: Colin Wandersman). Sein Titeldarsteller Caleb Landry Jones („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“), der 2021 bei den 74. Internationalen Filmfestspielen von Cannes für seine Hauptrolle in Justin Kurzels „Nitram“ als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde, weiß erneut zu überzeugen in der Verkörperung eines physisch und psychisch schwer geschädigten Mannes, der dort Hoffnung sucht, wo das Menschliche an seine Grenzen stößt und die Gesellschaft von Tieren (die eigene) Rettung verspricht.

„Ich glaube immer noch an Gott, stellt sich nur die Frage, ob Gott noch an mich glaubt“: Die Schluss-Apotheose allerdings wirkt reichlich aufgesetzt. Nachdem ihn seine Hunde aus dem Gefängnis befreit haben, lässt er den Rollstuhl zurück und geht mühsam Schritt für Schritt auf die Kirche gegenüber zu. Den Blick auf das Kreuz am Dachfirst gerichtet scheint er diese Frage an Gott zu richten – und bricht im Kreis seiner geliebten Vierbeiner zusammen. „Dogman“, am 31. August 2023 bei der Biennale Venedig uraufgeführt, eröffnete am 6. September 2023 das 37. Fantasy Filmfest parallel im Harmonie-Kino Frankfurt/Main und in den Münchner City-Kinos. Zum Kinostart am 12. Oktober 2023 bei uns zu sehen im Capitol und Metropolis Bochum, im Roxy Dortmund und im Astra Essen.

Dienstag, 10. Oktober 2023 | Autor: Pitt Herrmann