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Henrik Wagner als Zelebrant.

Leonard Bernsteins „Mass“ in Gelsenkirchen

Mit stehenden Ovationen gefeiert

In diesem Jahr wird weltweit der 100. Geburtstag des Ausnahmekünstlers Leonard Bernstein begangen. Mit Großprojekten wie der 121 CDs und 36 DVDs umfassenden Box aller seiner Einspielungen für die Deutsche Grammophon und Aufführungen in aller Welt. Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier beteiligt sich an dem Jubiläum ebenfalls mit einer Großtat, die im wahren Wortsinn sämtliche Kräfte des Hauses bindet: am Samstag, 6. Oktober 2018, wurde im Großen Haus die Premiere von „Mass“ („Messe“) minutenlang mit stehenden Ovationen gefeiert. Das gewaltige musiktheatralische Werk hat Richard Siegal inszeniert und choreographiert, die erste Arbeit des amerikanischen Forsythe-Tänzers, der heute zu den international gefragtesten Choreographen gehört. Die wandlungsfähige, einen Teil des Grabens überbauende Bühne des auch für das Licht verantwortlichen Stefan Mayer greift die lamellenartige Holzverkleidung des Parketts auf und bindet so auch optisch die Zuschauer ins Geschehen ein.

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Das Ballett im Revier und der Knabenchor.

Mass ist, so Bernstein selbst, weder ein Oratorium noch ein Gottesdienst, obwohl es sehr vieles von beiden in sich vereint, sondern „A theatre piece“, das am MiR gut einhundert pausenlose Minuten nicht nur auf den Brettern, sondern auch im Parkett und auf den Rängen spielt – unter unmittelbarer Beteiligung des Publikums. Das bereits im Foyer ein Notenblatt erhalten und eine kleine Übung unter Klavierbegleitung absolviert hat, um das zweite Eingangslied, den Choral Almighty Father mitzusingen. Im Zentrum des Stücks für Sänger, Tänzer und Musiker steht der Zelebrant, der die Messe vollzieht: in Gelsenkirchen ist es Henrik Wagner, umjubelter Titeldarsteller des Webber-Musicals „Jesus Christ Superstar“ in der vergangenen Spielzeit am Kennedyplatz. Bernstein, zuallererst als Schöpfer der West Side Story ein Begriff, hat mit Mass 1971 ein zutiefst humanes Bekenntniswerk geschaffen zur lateinischen Liturgie der römisch-katholischen Messe und englischen Texten von Stephen Schwartz.

Anlass war zum einen die Eröffnung des John F. Kennedy-Center for the Performing Arts in Washington DC, das den Namen des ersten katholischen Präsidenten der USA trägt. Zum anderen die gespaltene amerikanische Gesellschaft vor dem Hintergrund des Vietnam-Krieges, der sexuellen Befreiung durch Hippie- und Frauen- sowie die Emanzipationsbestrebungen der Black-Power-Bewegung: der Street Chorus liefert kritische Kommentare (Half oft he people are stoned/and the other half are waiting fort he next election) zur Amtskirche wie zur Politik und stellt die Existenz Gottes in Frage.

Mass, eine bisweilen ziemlich wilde Mischung aus Kirchenmusik, Klassik, Blues, Gospel, Rock und Broadway-Musical, verpflanzt die überbordende Lebensfreude amerikanischer (und übrigens auch afrikanischer) Gottesdiensten ins Große Haus am Kennedyplatz. Was zunächst einigermaßen gewöhnungsbedürftig, bald aber einfach nur hinreißend ist, wenn etwa das Ballett im Revier zum Bittruf Kyrie eleison (Herr, erbarme dich!) über die Bühne wirbelt.

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Richard Siegal und der musikalische Leiter Rasmus Baumann haben das weitgehend unbekannte Opus Magnum Leonard Bernsteins in ein packendes Gesamtkunstwerk verwandelt: Bläser- und Rockband-Formationen zu beiden Seiten der Bühne, eine durchs Parkett marschierende Blaskapelle sowie Instrumentalsolisten und beide Chöre auf den Rängen verteilt sorgen für einen so noch nicht gehörten Raumklang. Wenn es ein Werk gab, dass seinem Vater Leonard Bernstein besonders viel bedeutete, war es Mass, so Alexander Bernstein im FAZ-Gespräch mit Gina Thomas, „weil dieses eklektische Stück so viele Kompositionen seines Lebens in sich vereint. Er wäre bestimmt entzückt darüber, dass sein ganzes Werk jetzt gewürdigt wird.“ In Gelsenkirchen versammeln sich das ganze Solistenensemble von Oper und Ballett, der Opern- und Projektchor des MiR, der Knabenchor der Chorakademie Dortmund, eine Rück-Blues-Band und die Neue Philharmonie Westfalen im Großen Haus zur – im Jubiläumsjahr bisher - weltweit einzigen szenischen Aufführung von Mass.

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  • Samstag, 6. Oktober 2018, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann