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Ina-Lene Dinse als Svenja (vorn) und Julius Schleheck als Sandro.

'Kriegerin' als aktuelles Zeitstück

Es geht um „richtige Jungs mit richtiger Sauflaune“ und ihren Hass auf Ausländer, Politiker, den Kapitalismus und die Polizei: Tina Müllers Bühnenadaption Kriegerin nach dem gleichnamigen Film von David Wnendt ist am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel (WLT) als aktuelles, unter die Haut gehendes Zeitstück zu sehen. Die teilweise neu besetzte Inszenierung von Katrin Herchenröther wechselt nun für drei Vorstellungen vom intimen WLT-Studio in die Stadthalle am Europaplatz. Die 18-jährige Supermarkt-Kassiererin Marisa (harte Schale, weicher Kern, aber keine weiche Birne: Ina-Lene Dinse) ist von ihrem unverbesserlichen Nazi-Opa Franz (Julius Schleheck) zwar kruppstahlmäßig hart rangenommen worden als Kind, hat sich von ihm aber akzeptiert und verstanden gefühlt. Im Gegensatz zu ihrer alleinerziehenden Mutter Bea (Sabrina Sauer), die ständig an ihr herummäkelt und sich strikt weigert, den schwerkranken Großvater im Krankenhaus zu besuchen. „Sowas bedien“ ich nicht“: Marisa gehört zu einer Jugendclique der rechtsextremen Szene, die jeden nicht nur verbal anmacht, der irgendwie nach Ausländer aussieht. Ihr Freund Sandro (Julius Schleheck) führt stets das große Wort, während sich Clemens (Adrian Kraeger) eine effektivere Organisationsform des gewalttätigen Protestes vorstellen kann, aus dem sich der Mitläufer Markus (ebenfalls Kraeger) tunlichst heraushält. Als Letzterer eines Tages die 15-jährige Svenja (Sabrina Sauer) anschleppt, ein naives Ding, das in der Gruppe vor allem den Zudringlichkeiten des Stiefvaters Oliver (Julius Schleheck) zu entkommen trachtet, entfacht die sogleich eifersüchtige Marisa einen veritablen Zickenkrieg. Denn sie fürchtet um Sandros Treue und ist nicht sonderlich erzürnt, als dieser für gewisse Zeit ins Gefängnis muss: Wenn ihr Kerl wieder draußen ist, will sie mit ihm eine Familie gründen.

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„Das hier ist Deutschland. Das hier ist Europa, das ist das Gebiet des Gesetzes, Mann, der Menschenrechte und des Friedens. Deswegen sind wir doch den ganzen verdammten Weg hier hergekommen. Weil wir hier doch sicher sind. Sicher, verdammt noch mal. Wir sind hier so scheißsicher“: Rasul (Felix Zimmermann) beruhigt seinen älteren Bruder Jamil (Adrian Kraeger) nach einer Schlägerei mit Sandros Gang. Beide sind syrische Flüchtlinge, die weiter zu Familienangehörigen nach Schweden wollen. „Was gehen mich zwei Affen an?“ lässt Marisa die beiden Flüchtlinge an der Supermarkt-Kasse abblitzen, als sie mit Sozialscheinen bezahlen wollen. Und dann nähert sie sich dennoch Rasul an, weil sie sich an einer plötzlichen Eskalation und am offenbar damit verbundenen Verschwinden Jamils schuldig fühlt: Der 14-Jährige haust in einer aufgelassenen Fabrik, weil er ohne seinen Bruder sonst in einem Heim leben müsste. Marisa versorgt ihn mit Essen und besorgt ihm eine Transitmöglichkeit über die Ostsee...

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Die nicht nur das Figurenarsenal betreffend stark eingestrichene Castrop-Rauxeler Neuproduktion hat mit dem Handicap einer nicht zu toppenden Vorlage zu kämpfen: Der mit dem Förderpreis Deutscher Film 2011, dem Bayerischen Filmpreis 2011 und dem Deutschen Filmpreis 2012 ausgezeichnete Streifen des 1977 in Gelsenkirchen geborenen Regisseurs David Wnendt war mit Alina Levskin als Marisa, die für diese Rolle mit dem Bundesfilmpreis Lola und dem Bambi ausgezeichnet wurde, und Jella Haase als Svenja grandios besetzt. Was ist da zu tun? Katrin Herchenröther setzt in der düsteren Gitterrost-Einheitsbühne des Ausstatters Jeremias H. Vondrlik binnen 75 Minuten eigene Akzente. Markus' Rolle ist stark marginalisiert, die seines Alt-68er-Vaters Detlef ganz gestrichen wie auch die Rolle der Falafel-Imbiss-Betreiberin Warda und ihrer besten Kunden Jana, Olek und Meret. Auch der Obernazi und potentielle Parteigründer Clemens, eine Hinzuerfindung Tina Müllers, ist zu einer – wenn auch durch eine weiße Gasmaske optisch herausgehobenen - Nebenfigur geschrumpft und das Ziel Marias, den Maulhelden Sandro als Politiker aufzubauen, kaum einer kurzen Erwähnung wert. Die WLT-Regisseurin fokussiert vielmehr auf die Situation der beiden Flüchtlinge, fügt die Realsatire einer Willkommens-Klasse ein und baut im zweiten Teil die allmähliche Annäherung zwischen Marisa und Rasul, den sie in einem rostigen Container, dem einzigen beweglichen Requisit, hausen lässt, zur Haupthandlung aus – einschließlich Marisas Fußverletzung und Sandros finalem Knalleffekt. Katrin Herchenröther hat sich mit knappen Blackout-Szenen sehr geschickt aus der Affäre gezogen. Kriegerin steht für alle ab 15 Jahren (10. Klasse) in Vormittagsaufführungen wieder am Donnerstag und Freitag, 8.-9. November 2018,sowie als Familien- beziehungsweise Erwachsenenvorstellung am Freitag, 9. November 2018, um 20 Uhr, in der Stadthalle Castrop-Rauxel auf dem Spielplan, Karten unter westfaelisches-landestheater.de oder Tel 02305/97 80 20.

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  • Donnerstag, 8. November 2018, um 11:30 Uhr
  • Freitag, 9. November 2018, um 11 Uhr
  • Freitag, 9. November 2018, um 20 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann