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Sandra Hüller und Franz Rogowski in der Mitarbeitercafeteria.

Kirchen und Kino: In den Gängen

Zum Auftakt des ökumenischen Projekts Kirchen und Kino im Jahr 2019 zeigt die Filmwelt Herne am Sonntag, 6. Januar 2019, um 17.45 Uhr und am Montag, 7. Januar 2019, um 20.15 Uhr Thomas Stubers In den Gängen. Der gut zweistündige, vielfach preisgekrönte Film ist eine Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichte von Clemens Meyer aus seinem Erzählband Die Nacht, die Lichter. Mit dabei: Sandra Hüller, Neu-Mitglied im Ensemble des Schauspielhauses Bochum.

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„An der schönen blauen Donau“: Zu den melancholischen Klängen des Johann-Strauß-Walzers zeigen die Bilder des Kameramannes Peter Matjasko, unterlegt mit dem Rauschen der nahen Autobahn, die triste Abendstimmung eines beinahe leeren Supermarkt-Parkplatzes irgendwo auf der Grünen Wiese in der grauen Steppe der neuen Bundesländer. Die Kraftfahrzeug-Kennzeichen weisen auf den Landkreis Nordsachsen mit seiner Kreisstadt Delitzsch hin.

„Wir duzen uns hier alle“: Rudi (Andreas Leupold), so etwas wie der Chef der Abendschicht, der alle Mitarbeiter bei Dienstschluss persönlich mit Handschlag verabschiedet, versorgt Christian (überragend: Franz Rogowski), der seinen Job auf dem Bau verloren hat, mit der Grundausstattung: Cutter und vier Kulis in der Kitteltasche. Mit dem erfahrenen Gabelstapler-Fahrer Bruno (Brummbär mit Herz: Peter Kurth) gibt er dem bescheidenen, ja geradezu schweigsamen Neuen zudem einen Mentor zur Hand, der sich auskennt im Labyrinth schier endloser Gänge des Supermarkt-Warenlagers.

„Ohne Dampf kein Kampf“: Bruno, für die Getränke-Abteilung zuständig, lädt Christian erst 'mal zu einer hier „Fünfzehn“ genannten und eigentlich verbotenen Raucherpause im Schutz raumhoch gestapelter Flaschenpaletten ein. Es ist spät geworden, nur noch wenige Lagerarbeiter füllen die Regale auf. Aus den Lautsprechern erklingt statt der tagsüber wohl unumgänglichen, da konsumfördernden Kommerzmucke klassische Musik wie Johann Sebastian Bachs „Air“: Rudi legt die CD-Scheiben seines guten Geschmacks ein.

Der schmächtige Christian mit den bärbeißigen Bulldoggen-Tatoos auf den Schulterblättern taucht mit großen Kinderaugen in eine fremde Welt ein. Als er versonnen Irina (Ramona Kunze-Libnow) beim Sortieren neu angekommener Süßware zuschaut, wird er beinahe von einem Stapler überrollt. „Nicht im Weg stehn, Frischling“ ruft Marion (Sandra Hüller) ihm zu. Er sieht die offen-freundliche, ihm gegenüber aber stets leicht ironisch-herausfordernde Kollegin der Süßwarenabteilung in der Mitarbeitercafeteria wieder, wo sie sich vom „Frischling“ einen Cappuccino ausgeben lässt.

„Eine Tratschtasche bist du ja nicht“: der Kaffeeautomat wird bald ihr regelmäßiger Treffpunkt. Behutsam kommen sie sich näher, was der Großmarktfamilie, der Christian nach mit Ach und Krach vor der Berufsgenossenschaft bestandener Staplerfahrprüfung endgültig angehört, nicht verborgen bleibt. Sein väterlicher Freund Bruno fühlt sich veranlasst, ihm zu stecken, dass die geheimnisvolle Marion verheiratet ist, wenn auch ganz offenkundig unglücklich. Christian schenkt seiner bald gar nicht mehr so heimlich Angebeteten dennoch ein Yes-Törtchen samt Miniaturkerze zum Geburtstag.

Es stammt aus dem alltäglich frisch befüllten Container für abgelaufene Ware, aus dem sich offiziell niemand bedienen darf, obwohl alle Lebensmittel noch in einwandfreiem Zustand sind. Was sich nicht nur Paletten-Klaus (Michael Specht) zunutze macht, auch Christian füllt den Kühlschrank seiner tristen Plattenbauwohnung mit dem Abfall der Wohlstandsgesellschaft.

Beim improvisierten, von Rudi traditionell organisierten betriebsinternen Weihnachtsgrillen auf der Laderampe, kommen sich Christian und Marion so nah wie nie zuvor. Doch über Weihnachten ist sie zu Hause bei ihrem Mann – und im Neuen Jahr ist nichts mehr so wie vorher. Marion will keinen Kaffee mehr trinken, weist alle schüchternen Annäherungsversuche Christians brüsk ab. Und der gerät aus dem Gleichgewicht, verbringt die Nächte in der Kneipe und kommt zu spät zur Arbeit. Bruno setzt sich für ihn ein und Rudi gibt ihm noch eine Chance, sonst wäre die Probezeit abrupt zu Ende.

Dann kommt Marion nicht mehr zum Dienst, ist offiziell krankgeschrieben. Bruno, der Christian auf seinen Bauernhof einlädt, verrät den wahren Grund: Sie ist von ihrem Mann geschlagen worden. Christian schleicht sich heimlich durch den Garten ins Haus und bemerkt Marion summend-entspannt in der Badewanne – übersät mit blauen Flecken. Doch er wagt nicht, ihr gegenüberzutreten und verschwindet wieder.

Plötzlich taucht Marion wieder im Großmarkt auf, als wäre sie nie weg gewesen. In „Sibirien“, der Tiefkühlabteilung, bedankt sie sich bei Christian für seinen Besuch, den sie sehr wohl bemerkt hat. Doch es bleibt beim zärtlichen Eskimo-Nasenstüber: in der gleichen Nacht hat sich der vereinsamte Bruno aufgehängt. Nach seiner Beerdigung erhält Christian dessen Job – und mit Marion könnte es irgendwie doch noch klappen...

„In den Gängen“, am 23. Februar 2018 im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführt, ist eine feinfühlige Suche nach dem kleinen Glück, die nicht nur die Geschichte einer hauchzarten tragikomischen Liebesbeziehung im Arbeitermilieu erzählt. Sondern auch die Geschichte der Abwicklung der DDR-Wirtschaft nach der Wiedervereinigung und was sie für die Menschen bis heute für Folgen hat. Rudi, Bruno und die anderen männlichen Lagerkräfte, die heute auf vergleichsweise filigranen Staplern durch die Gänge des Supermarktlagers flitzen, waren vor der Wende stolze Fernfahrer im Volkseigenen Betrieb. Wenigstens einen Teil der Wärme, der Solidarität untereinander haben sich die Männer mit den gebrochenen Biographien erhalten können, auch wenn es am bitteren Ende für Bruno nicht gereicht hat.

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Thomas Stuber, gebürtiger Leipziger des Jahrgangs 1981, der mit „Von Hunden und Pferden“ 2012 des Studenten-Oscar in Silber gewann, erhielt zusammen mit dem Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer bereits vor Drehstart den Deutschen Drehbuchpreis. Bei der Berlinale gesellten sich die Lola“ für Franz Rogowski in der Kategorie „Beste männliche Hauptrolle“ (der 32-jährige „European Shooting-Star“ war mit „Transit“ gleich zweimal im Wettbewerb der 68. Berlinale vertreten), der Preis der ökumenischen Jury sowie der Gilde-Preis der Filmkunsttheater hinzu.

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  • Sonntag, 6. Januar 2019, um 17:45 Uhr
  • Montag, 7. Januar 2019, um 20:15 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann