
Lina Beckmann und Charly Hübner lesen John Berger
Einst in Europa bei den Ruhrfestspielen
Die Herner Schauspielerin Lina Beckmann und ihr Hamburger Bühnen- wie Lebenspartner Charly Hübner lesen am Sonntag, 5. Mai 2019, um 11 Uhr im Großen Haus auf dem Recklinghäuser Hügel aus Einst in Europa von John Berger, seine wohl schönste Liebesgeschichte. „Wenn wir heute über Europa reden“, sagt der Verleger Michael Krüger, „reden wir über Macht. John Berger dagegen besteht darauf, über die Machtlosen zu sprechen, die von ihrer Hände Arbeit leben. Seine andere Geschichte Europas ist schon heute ein Klassiker. Er hat ein Panorama des Mitgefühls, des Verstehens und der Zuneigung geschrieben, wie es keines in der europäischen Literatur unserer Zeit gibt.“ John Berger war Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker und einer der großen Denker des 20. Jahrhunderts. Er starb im Alter von 90 Jahren 2017 in Paris. In Einst in Europa blickt Odile Blanc, Tochter eines Bauern in einem kleinen Dorf in Savoyen, zurück auf ihr Leben, den Hof ihres Vaters, die Berge, die Fabrik. In einer der Fabrikbaracken, von den Bewohnern scherzhaft „In Europa“ genannt, hat sie ihre glücklichste Zeit verbracht, zusammen mit Stepan, dem russischen Arbeiter, der dann im Schmelzofen tödlich verunglückt ist. Auch Michel, der Motorradfahrer, der Odile schon als junges Mädchen umwarb, wurde ein Opfer der Fabrik, in der er beide Arme verlor. Doch wie Odile gibt er nicht auf, und Jahre später werden die beiden ein Paar...
Lina Beckmann ist nach den Stationen Schauspielhaus Bochum und Schauspiel Köln nun Ensemblemitglied des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. 2011 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis des Berliner Theatertreffens ausgezeichnet und in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt. 2015 erhielt die Hernerin den 3sat-Preis, den Rolf Mares Preis und wurde für den Deutschen Theaterpreis Der Faust nominiert. 2016 wurde sie mit dem Ulrich-Wildgruber-Preis ausgezeichnet.
Allein im Mai 2019 steht sie ein halbes Dutzend Mal auf den Hamburger Brettern – in William Shakespeares „Lear“, in der Dramatisierung des Romans „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk, in Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ sowie, ihr jüngster Erfolg, als Dene in Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ u.a. an der Seite von Andre Jung, Angelika Richter und Brigitte Cuvelier. Die Regisseurin Karin Henkel hat zusammen mit Claus Peymanns langjähriger Dramaturgin Rita Thiele eine Die Übriggebliebenen betitelte Kompilation dreier Bernhard-Werke verfasst. Das bereits genannte, seinerzeit Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss auf den Leib geschriebene Geschwisterdrama reicher Erben einer Wiener Großindustriellenfamilie wird verschränkt mit dem Theaterstück „Vor dem Ruhestand“ über einen Gerichtspräsidenten als unverbesserlichen Nazi und dem Roman Auslöschung. Ein Zerfall, in dem der unfreiwillige Alleinerbe eines bedeutenden, aber politisch belasteten Immobilienbesitzes auch über die Zukunft seiner beiden Schwestern entscheiden muss.
Lina Beckmanns Ludwig kehrt aus Steinhof, einem vornehmen Sanatorium über den Dächern Wiens, ins Elternhaus und damit zu seinen ledigen Schwestern Dene und Ritter zurück. Wie Franz-Josef Murau in „Auslöschung“ ist er ein Vater-Geschädigter: die Brandteigkrapfen mampfende Hernerin macht die Monstrosität der Bernhardschen Suada geradezu körperlich erfahrbar. „Die Zeit“ lobte: „Der alte Bernhard ist der bessere Houellebecq. Überragend verkörpern Lina Beckmann und Andre Jung die schrecklichen Patriarchen der Familie. Zweieinhalb Stunden demütigen der ehemalige KZ-Lagerleiter und heutige Gerichtspräsident Rudolf (Jung) und der psychisch kranke Ludwig (Beckmann) ihre jeweiligen Schwestern. Bernhards furchtbare alten Männer waren wie Zombies, die aus einer faschistischen Vergangenheit kamen.“
Charly Hübner, der sich derzeit rar macht im Hamburger Schauspielhaus und nur zusammen mit Lina Beckmann in Der goldene Handschuh auf der Bühne zu erleben ist, wurde 2006 durch seine Rolle in dem oscarprämierten Film „Das Leben der Anderen“ bekannt. Seit 2010 ermittelt er als Kommissar Bukow in den Rostocker Polizeiruf 110-Folgen des NDR. Hierfür erhielt er 2013 den Bayerischen Fernsehpreis und wurde als „Bester deutscher Schauspieler“ mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet, 2015 erhielt er den Grimme-Preis und wurde mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring geehrt. Er hat mehrere Filme zusammen mit seiner Frau Lina Beckmann gedreht, darunter die Revier-Hommage Junges Licht, und ergänzt seit geraumer Zeit das Quartett der Herner Spielkinder um Maja, Lina, Nils und Till Beckmann.