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Susanne zieht in das Wohnhaus an der Bielefelder Straße.

Auszug aus dem Elternhaus mit 50

Fast 50 Jahre hat Susanne Teichert bei ihren Eltern gelebt. Am Dienstag, 4. April 2017, zieht sie aus. Sie bezieht als eine der ersten Bewohner das neue Wohnhaus der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in der Bielefelder Straße, das nach fast 18 monatiger Bauzeit fertiggestellt ist. Für Susannes Mutter, Ingrid Teichert, ist die Entscheidung richtig, aber es fällt ihr auch schwer, die Tochter ziehen zu lassen. “Am Ende der Schulzeit war der Auszug aus dem Elternhaus bei Mitschülern ein Thema. Aber da war ich noch nicht so weit”, erklärt sie. Für Ingrid kam die Wende erst vor drei Jahren: “Ich bin zusammengebrochen und es ging gar nichts mehr. Wir waren froh, dass wir kurzfristig einen Platz für Susanne bekommen haben. Aber es war ein Altenheim und sie war erst Mitte 40.” Als die Mutter sich wieder erholt hatte, ist ihre Tochter zurückgekehrt. Jetzt zieht Susanne in ihr erstes eigenes Zuhause. Es ist ein Umzug um die Ecke, aber ein Riesenschritt für Familie Teichert.

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Monika Krawietz und Susanne Teichert in der neuen Küche.

Nach Ende der Schulzeit hat Susanne Teichert zunächst eine Werkstatt für behinderte Menschen besucht. Seit acht Jahren ist sie den ganzen Tag bei ihren Eltern. “Sie kann sich alleine beschäftigen, Kataloge anschauen, puzzeln oder Steckspiele machen und natürlich Fernsehen gucken und Musik hören. Sie hilft mir aber auch in der Küche", berichtet die Mutter und hat das passende Stichwort geliefert: “Kartoffeln schälen. Ich kann Kartoffeln schälen”, erklärt Susanne Teichert mit lauter klarer Stimme. Sie wiederholt alles, was ihr wichtig ist. Mit Kennerblick mustert Susanne Teichert die Schälmesser in der Küche des neuen Wohnhauses und lächelt: „Ich kann Kartoffeln schälen!“

Dörte Sauer, die als Bereichsleitung für das Wohnangebot für Erwachsene im Obergeschoss des Neubaus verantwortlich ist, sagt: “Wir werden regelmäßig zusammen kochen. In unserem Wohn-Esszimmer mit angegliederter Küche haben wir viel Platz auch für die Frauen und Männer, die mit Rollstuhl im Haus unterwegs sein werden.” In den letzten Wochen hat sie zusammen mit ihrem Team alles vorbereitet für den Einzug: “Vieles wollen wir zusammen mit den zwölf Bewohnern gestalten. Trotzdem haben wir erste Bilder aufgehängt, Bücher ins Regal gestellt und Grünpflanzen besorgt, denn es soll vom ersten Tag an wohnlich sein“, erklärt Sauer.

Im ersten eigenen Wohnzimmer.

Dass sich die Mühe gelohnt hat, bestätigt Susanne Teichert bei einem Besuch: „Boah, ist das schön. Hier will ich bleiben.“ Sie freut sich, dass vertraute Kuscheltiere von Zuhause ist bereits in ihr Zimmer eingezogen sind. Sie tauscht die graphitfarbige Fußmatte in ihrem Badezimmer gegen eine gelbe Matte mit Enten, die ihre Mutter extra für sie gekauft hat. Sie stellt den Leuchtbaum mit Schmetterlingen auf ihren Nachttisch und hat Platz auf dem kleinen Schrank geschaffen: „Hier kommt mein Fernseher hin“, sagt Susanne Teichert und ergänzt: „Ich bring mein Radio und meinen Plattenspieler mit. In meinem Zimmer stört mich keiner. Da habe ich meine Ruhe!“

Mutter und Tochter vor dem neuen Domizil.

In dieser Woche werden elf von zwölf Erwachsenen in das neue Wohnhaus einziehen: „Die Mehrheit kommt direkt aus dem Elternhaus. Die meisten sind deutlich jünger als Susanne Teichert. Ein junger Mann wird erst noch die Schule abschließen und folgt im Sommer“, berichtet Sauer, die die zukünftigen Bewohner in ihrem bisherigen Lebensumfeld besucht hat, um ihre individuellen Bedürfnisse besser kennen zu lernen. Sie war jahrelang als Pflegefachkraft auf der Intensivstation eines Krankenhauses tätig und hat in den letzten Jahren im Wittekindshofer Wohnhaus in Eickel gearbeitet. Dort hat sie auch Susanne Teichert bereits kennengelernt, die ein paar Tage zum Kurzzeitwohnen zu Gast war. An diese Zeit denkt ihre Mutter gerne zurück: „Es war eine wunderbare Zeit. Ich war in Rom. Ich habe zum ersten Mal so eine Reise gemacht. Ich viel Lob bekommen, weil ich mir endlich auch mal etwas gegönnt habe“, berichtet Ingrid Teichert. Jetzt zieht ihre Tochter aus. Sie weiß, dass das für alle Seiten gut ist, trotzdem fällt ihr der Auszug schwer: „Sie ist ganz in der Nähe, das ist das Wichtigste! Wir haben ja kein Auto mehr. In die Bielefelder Straße kann ich zu Fuß gehen oder zwei Stationen mit dem Bus fahren.“

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Wohnhaus für alle Generationen: Der Bau des Wittekindshofer Wohnhauses wurde gefördert durch die Stiftung Wohlfahrtspflege, die Aktion Mensch und das Land Nordrhein-Westfalen. Es bietet auf zwei Etagen Platz für insgesamt 24 Menschen mit Behinderung. „Die 12 Einzelzimmer für Erwachsene sind schon längere Zeit vergeben. Im Erdgeschoss sind noch wenige Zimmer für Kinder und Jugendliche frei. Sie ziehen ab August in den Neubau ein. Wenn sie sich etwas eingelebt haben, werden wir im Herbst ein Einweihungs- und Nachbarschaftsfest feiern“, erklärt Diakon Bernd Samson, der für die Wittekindshofer Wohnangebot in Herne und Oberhausen verantwortlich ist. mehrInfos

v. l. Ingrid Teichert, Tante Renate Griesche, Susanne Teichert, Dörte Sauer.
| Quelle: Wittekindshof