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Als gäb's kein Morgen - Simone Schuster (vorn) und Jessica Kessler überzeugen nicht nur musikalisch in Tankred Schleinschocks großartiger Hommage an die 1920er Jahre.

Hommage an die wilden 1920er Jahre

'Als gäb's kein Morgen'

„Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit“: Mischa Spoliansky, später noch vertreten u.a. mit seinem von Marlene Dietrich gesungenen Foxtrott „Wenn die beste Freundin“, gehört zu den heute weitgehend vergessenen Komponisten der auch „The Roaring Twenties“ genannten „Goldenen Zwanziger Jahre“ des vorigen Jahrhunderts. Dieser brodelnden, viel zu kurzen Zwischenkriegszeit, in der die Moderne unaufhaltsam in alle Lebensbereiche eindrang.

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Zum „Tanz auf dem Vulkan“ gehören erste Demokratie-Versuche der von den politischen Rändern stets bedrohten Weimarer Republik wie neue Musikrichtungen und (Stepp-) Tanzstile. Zum 1925er Foxtrott-Schlager „Was macht der Maier am Himalaya?“ gesellten sich bald jazzige Töne von jenseits des Großen Teichs. Josephine Bakers nackter Hintern und Willi Roses „Ausgerechnet Bananen“, Coco Chanels „Kleines Schwarzes“ und Fred Astaires „Puttin‘ On The Riz“ elektrisierten die unterhaltungsdurstigen Massen gleichermaßen.

Als gäb's kein Morgen - Führen durchs Programm und erzählen Hintergrundgeschichten v.l. Tobias Schwieger, Mario Thomanek und Mike Kühne.

Und nicht nur in Berlin mit Claire Waldoffs Erfolgssongs „Wegen Emil seine unanständ’ge Lust“ und „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“, sondern auch in München blühte das politische Kabarett, etwa mit dem „Song von den brennenden Zeitfragen“ der Gruppe „Die vier Nachrichter“ oder dem „Pfeffermühle“-Hit „Wer hat denn das Kind mit dem Hammer geweckt“. Als am 29. Oktober 1923 die „Sendestelle Berlin im Voxhaus“ on air ging, brach mit der Geburtsstunde des Rundfunks in Deutschland eine neue Zeit an.

Diesem Lebensgefühl, das es so noch nicht gegeben hatte und das es auch nachher nie wieder geben sollte, hat der musikalische Leiter des Westfälischen Landestheaters, Tankred Schleinschock, eine zweieinhalbständige Hommage gewidmet, die seit der mit Ovationen gefeierten Premiere am 11. Juni 2021 auf dem Außengelände des gerade eröffneten Proben- und Logistikzentrums des WLT unweit des Castrop-Rauxeler Europaplatzes einen wahren Siegeszug weit über das Ruhrgebiet hinaus angetreten ist. Gewidmet ist sie dem früheren Intendanten Herbert Hauck, der den Bremer 1983 ans WLT holte: „Er war ein großer Sammler von Chansons der 20er Jahre und als er verstorben ist, hat er mir die Kisten mit seinen ganzen Liederschätzen vermacht, aus denen ich jetzt schöpfen konnte.“

Als gäb's kein Morgen – Die wilden 20er Jahre“ deckt die drei Stationen Berlin, Paris und New York mit 41 sehr unterschiedlichen Songs in teilweise modernen Arrangements ab. Zwar sorgen die Bühne Elke Königs und die wundervollen Kostüme Maud Herrleins für nostalgische Atmosphäre, Tankred Schleinschock fesselt das Publikum aber nicht mit einer musealen Bestandsaufnahme an der Rampe: „Viele Songs stellen eine Situation dar, sodass die Schauspieler mit ihnen kleine szenische Geschichten verbinden können.“ Dazwischen führt ein Trio aus Tobias Schwieger, Mike Kühne und Mario Thomanek durch das Programm mit Liedern, Moderationen und vielen Hintergrundgeschichten.

Tankred Schleinschock über seine Playlist: „In den 20er-Jahre-Shows, die ich kenne, werden meistens nur Chansons gespielt. Meine Songauswahl beginnt aber schon 1918, mit Kriegsende, und geht bis 1933, dem Jahr, in dem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen sind. Für mich sind dieser frühe Jazz und Blues, der teilweise auch rein instrumental war, auch ein ganz wichtiges Moment dieser Zeit. Zum Beispiel Duke Ellington, Louis Armstrong, Jelly Roll Morton, der sich ja selber als Erfinder des Jazz bezeichnet hat. Dieser ganz frühe Jazz hat auf mich schon immer eine unglaubliche Faszination ausgeübt und ich freue mich, dass wir das mit unserer Band wirklich toll spielen können.“

Damit ist das achtköpfige Lippe-Saiten-Orchester gemeint, das dem ebenfalls achtköpfigen Ensemble um die Musical-Allrounderin Jessica Kessler ordentlich einheizt, noch zu nennen Franziska Ferrari, Samira Hempel, Simone Schuster und der multitalentierte Patrick Sühl, der mit „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ den Schlusspunkt setzt. „Meine Schwester liebt den Buster, liebt den Keaton“: Friedrich Hollaenders Schlager begleitet den Untergang des expressionistischen Stummfilms, während Kurt Gerron („Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“) für die allzu kurze Glanzzeit des neuen Mediums vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs steht: Sein Leben wird im Konzentrationslager ausgelöscht.

Als gäb's kein Morgen – Die wilden 20er Jahre“ ist am Mittwoch, 16. Februar 2022, um 19:30 Uhr im Ruhrfestspielhaus auf Recklinghausens Grünem Hügel zu erleben. Karten unter kultur-kommt-ticket.de oder im Ticket Center der Recklinghäuser Zeitung unter Tel 02361 – 1805270.

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  • Mittwoch, 16. Februar 2022, um 19:30 Uhr
Dienstag, 15. Februar 2022 | Autor: Pitt Herrmann