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Julia Schubert, Daniel Jaroma, Dietrich Lehmann und Robert Neumann in „Prima Klima“.

Familienstück 'Prima Klima' online

'Weniger ist mehr'

April, Osterferien – und dreißig Grad im Schatten. Es ist nicht zum Aushalten für die drei Schüler Paul Gessler (Daniel Jaroma), Katharina „Rina“ Borgstedt (Julia Schubert) und Kevin Steinert (Robert Neumann). Beide Jungs sind, natürlich insgeheim, hinter dem Mädchen her, das eine ziemlich schräge Idee gegen die lähmende Langweile äußert: Wie wäre es, den geheimnisvollen Garten hinter einer Mauer am Luisenweg zu erkunden? Dort soll ein gefährlicher Sonderling sein Unwesen treiben, der sich tagsüber nicht blicken lässt. Kevin, der sich offenbar zu viele Horrorgeschichten 'reingezogen hat, warnt vor dem Vampir. Und Paul spielt lieber mit seinem Vater Günther Gessler (Jörg Westphal) Autorennen auf der Playstation 2. Schließlich träumt er von einen Porsche Cayenne, wie ihn Kevins Vater, ein wohlhabender Berliner Diskothekenbesitzer, fährt.

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„Prima Klima“ ist das erste Theaterstück des gebürtigen Bochumers Fabian Scheidler.

Sein Vater dagegen ist Handwerker, genauer gesagt Klempner mit Rund-um-die-Uhr-Notdienst. Als er anderntags bei Dauerregen zu einem Einsatz gerufen wird, fällt das virtuelle Autorennen ganz real ins Wasser. Zu Pauls großer Überraschung und noch größerer Freude steht stattdessen eine völlig durchnässte Rina in der Tür: Sie hat sich daheim ausgeschlossen und braucht dringend trockene Klamotten. Dabei kommt heraus, dass ihre Mutter Susanne Borgstedt (Ester Daniel) Kolumnistin einer Frauenzeitschrift ist und ihr Papa Joachim, der als Fotograf um die Welt reist, gerade im fernen Brasilien weilt. Was die Tochter nicht wirklich cool findet: Sie wäre allzu gern mitgefahren, zumal jetzt Ferien sind.

„Beim verrückten Alten über die Mauer steigen“: So bleibt nur das Abenteuer um die Ecke. Das besondere Spannung verspricht, nachdem die Eltern den Kindern strikt verboten haben, mit diesem Querkopf in Kontakt zu treten. Der sich hartnäckig weigert, sein Grundstück an die Stadt zu verkaufen: Dort soll eine Verbindungsstraße zum Einkaufszentrum Euro Shopping entstehen, das Bauschild kündigt das Vorhaben bereits seit geraumer Zeit an. Besonders Pauls Papa ist sauer auf den Alten, muss er doch nun immer einen Umweg durch die Siedlung fahren. Und hätte beinahe selbst, mit 60 km/h in der Tempo-30-Zone, besagten betagten Außenseiter unsanft vom Fahrrad geholt.

Als die drei Jugendlichen über die Mauer blicken, schärft der pensionierte Hochschullehrer Doktor Elmar Abendroth (Grips-Urgestein Dietrich Lehmann) gerade eine Sense – und nimmt einen Schluck roten Saftes aus einem Solarzellen-Kühlschrank zu sich. Für den notorisch ängstlichen Kevin ist die Sache klar: der leibhaftige Sensenmann stärkt sich am Blut seiner Opfer. Rina lässt sich nicht beirren – und entdeckt in dem angeblichen Kinderschreck einen nur auf den ersten Blick vierschrötigen Professor der Naturwissenschaften, der vierzig Jahre lang über den Klimawandel und die ihn verursachenden Treibhausgase geforscht hat. Und der dem bald alle eingeimpfte Skepsis ablegenden Trio – und damit dem Publikum ab zehn Jahren im Grips-Theater am Hansaplatz - anschaulich verklickert, dass der Mensch dafür verantwortlich ist, wenn es schon zu Ostern hochsommerlich heiß ist, viel zu wenig Regen fällt und es in den afrikanischen Dürreregionen zu kriegerischen Auseinandersetzungen und entsprechenden Fluchtbewegungen kommt.

Mit Folgen: Rina, Paul und Kevin sind nicht länger bereit, die „Grütze“ ihrer Eltern nachzuplappern. Das Mädchen ängstigt sich um ihren Vater, der bei einem Hurricane in Brasilien ins Lebensgefahr geraten ist, Kevin findet den Porsche seines Vaters peinlich, weil umweltschädlich, und Paul empfiehlt seinem Papa die Anschaffung eines Hybrid-Fahrzeugs statt eines protzigen SUV.

Und der Grundstücksstreit? Ist in die Verlängerung gegangen, weil der Naturschützer in erster Instanz Recht bekommen hat. Der gemeinnützige Verein Kinderhof Abendroth soll es den in Revision gehenden Betonköpfen der Berliner Verwaltung schwer machen, das Urteil in den höheren Instanzen noch zu kippen. „Weniger ist mehr“ lautet nach gut einhundert höchst unterhaltsamen und nebenbei auch noch auf leicht verständliche Weise lehrreichen Minuten nicht nur gesanglich (Musik: Daniel Zenke / Michael Brandt) das Fazit eines Theaterstücks für alle ab zehn Jahren, das am 22. November 2007 im Grips Theater Berlin uraufgeführt und in Verbindung mit einer Reihe theaterpädagogischer Angebote als offizielles Projekt der Weltdekade 2007/2008 der Unesco-Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation ausgezeichnet worden ist.

Prima Klima stammt aus der Feder des 1968 in Bochum geborenen Fabian Scheidler, von 2003 bis 2007 Dramaturg am Berliner Grips-Theater. Thomas Ahrens, einst langjähriger Schauspieler am Hansaplatz, inszeniert die Geschichte eines kongenial von Dietrich Lehmann verkörperten frustrierten Klimaforschers, der sich von der Welt in seinen Garten zurückgezogen hat und den die neugierigen Jugendlichen um die forsche Rina zu neuem kämpferischen Leben erwecken.

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Das von Dirk Immich (Bühne) und Christine Köpf (Kostüme) mit einfachen, effektiven Mitteln ausgestattete Stück widerlegt die Eingangsbehauptung des Professors: „Kinder sind heutzutage schon so bekloppt wie ihre Eltern.“ Klimaanlage? Ein einfacher Ventilator tuts auch. Wäschetrockner? Warum nicht die gute alte energiesparende Wäscheleine? Themen, die auch noch 13 Jahre nach der Uraufführung aktuell sind. Im corona bedingten Lockdown und dem damit verbundenen frühzeitigen Spielzeitende offeriert das Grips-Theater jede Woche von freitags 18 Uhr bis folgenden Freitag 17.55 Uhr Repertoire- und Archivaufzeichnungen. Prima Klima, eine Aufzeichnung vom Mai 2009, kann unter grips.online/events/prima-klima von Freitag (24.4.2020) bis einschließlich Donnerstag, 1. Mai 2020, gestreamt werden.

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  • Freitag, 24. April bis Freitag, 1. Mai 2020
| Quelle: Pitt Herrmann
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