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Die engagierte Jung-Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) ist schon bald gezeichnet vom Stress mit Kollegen, Eltern und Schülern.

Auftakt des vhs-Filmforums

'Das Lehrerzimmer' in der Filmwelt Herne

„Es gibt Regeln, und die sind für alle da“: Carla Nowak (Leonie Benesch), eine engagierte Sport- und Mathematiklehrerin Anfang Dreißig, hat vor wenigen Monaten ihre erste Stelle an einem Hamburger Gymnasium angetreten. Ihr Idealismus trifft im Kollegium nicht auf einhellige Zustimmung. Als es zu einer Reihe von Diebstählen kommt, sieht sich die Direktorin Dr. Bettina Böhm (Anne-Kathrin Gummich) zum Eingreifen gezwungen.

Als bei einer offiziell freiwilligen Taschenkontrolle in Carla Nowaks siebter Klasse Ali Yilmaz (Can Rodenbostel) verdächtigt wird, nur weil sich in seinem Portemonnaie auffallend viel Geld befindet, werden seine Eltern in die Schule zitiert. Das mit dem Geld klärt sich auf, außerdem gibt Alis Vater (Özgür Karadeniz) zu Protokoll: „Mein Sohn klaut nicht. Denn wenn er klaut, breche ich ihm die Beine.“

Nachdem sich Carla Nowak und die Vertrauenslehrer Thomas Liebenwerda (Michael Klammer) und Milosz Dudek (Rafael Stachowiak) mit den beiden Klassensprechern der Siebten, Jenny (Antonia Luise Krämer) und Lucas (Oscar Zickur), getroffen haben, ist keine Lösung in Sicht. Sodass Erstere beschließt, mit ihrem Laptop im Lehrerzimmer eine Fotofalle zu installieren. Ausgerechnet Friederike Kuhn (Eva Löbau) aus dem Sekretariat, die Mutter ihres aufgeweckten Lieblingsschülers Oskar (Leonhard Stettnisch), tappt in diese. Wobei ihr Gesicht nicht zu erkennen ist, aber ihre auffallend gemusterte Bluse. Sie streitet die Tat vehement ab, auch nach der unmittelbaren Konfrontation mit den Videobildern im Rektorat.

Das Kollegium ist gespalten

Das Lehrerkollegium ist gespalten. In Hardliner wie Dr. Bettina Böhm und Thomas Liebenwerda, in mobbenden Opportunisten wie Vanessa König (Sarah Bauerett), die sich ganz selbstverständlich aus der Kaffeekasse des Lehrerzimmers bedient, und in Wohlmeinende wie Milosz Dudek (Rafael Stachowiak), welcher der ebenfalls polnischstämmigen Carla zunächst den Rücken stärkt, um dann vor dem ersten Gegenwind einzuknicken. Allein Lore Semnik (Kathrin Wehlisch) steht auf der Seite der zunehmend verunsicherten Junglehrerin.

Die nicht nur von der Null-Toleranz-Schulleiterin zurechtgewiesen wird, ihre heimlichen Aufnahmen verletzten Persönlichkeitsrechte, sondern sich auch empörten Eltern und rechthaberischen Kollegen erklären muss. Als sich Carla in schon schmerzhafter Naivität von gewieften Schülerzeitungs-Redakteuren aufs Glatteis führen lässt, muss sie sich nicht über Fake-News wundern: „Wir haben nur geschrieben, was Sie uns nicht sagen wollten.“ Zwischen alle Stühle geraten ist Carla Nowak dennoch bemüht, Oskar Kuhn als schwächstem Glied in der Kette gerecht zu werden, auch wenn dieser vor Gewalt nicht zurückschreckt, um seine Mutter aus der Schusslinie zu ziehen. Am Ende muss die Polizei gerufen werden.

Im klassischen 4:3-Format gedreht

Mit „Das Lehrerzimmer“, im klassischen 4:3-Format gedreht im Oktober und November 2021 in der ehemaligen Theaterakademie Winterhude, ist dem preisgekrönten Regisseur İlker Çatak („Es gilt das gesprochene Wort“) ein elektrisierender Film gelungen über den Mikrokosmos Schule als Spiegel unserer Gesellschaft. Leonie Benesch („Der Schwarm“, „Das weiße Band“) kreiert durch ihre fesselnde Darstellung einer jungen Pädagogin, die mehr und mehr zwischen die Fronten gerät, eine dichte Atmosphäre, die von Anfang an in den Bann zieht. Anhand ihrer Geschichte hinterfragen Drehbuch-Autor Johannes Duncker und İlker Çatak auf kritische Weise nicht nur das System Schule, sondern generell unsere aktuelle Debattenkultur.

Binnen knapp einhundert Minuten entfachen sie eine grundlegende Diskussion rund um Wahrheit und Gerechtigkeit. „Das Lehrerzimmer“ wurde am 18. Februar 2023 auf der 73. Berlinale 2023 in der Sektion Panorama uraufgeführt und erhielt dort das Europa Cinemas Label als bester europäischer Film sowie den CICAE Arthouse Cinema Award. Zudem wurde Leonie Benesch in Berlin als „European Shooting Star“ ausgezeichnet.

Carla Nowaks begabter Lieblingsschüler Oskar (Leonhard Stettnisch) tut alles, um seine des Diebstahls bezichtigte Mutter aus der Schusslinie zu ziehen.

Beim Festival des deutschen Films im September 2023 in Ludwigshafen gabs eine Auszeichnung für Kamerafrau Judith Kaufmann. Zuvor hatte es beim 73. Deutschen Filmpreis im Mai 2023 in Berlin geradezu Lolas gehagelt – für Gesa Jäger (bester Schnitt), Leonie Benesch (beste weibliche Hauptrolle), Johannes Duncker (bestes Drehbuch) und İlker Çatak (beste Regie) – sowie die Lola in Gold für den besten Spielfilm.

Zum Auftakt des neuen VHS-Filmforum-Programms (mit neuen Anfangszeiten!) läuft „Das Lehrerzimmer“ dreimal in der Filmwelt am Berliner Platz in Herne: Am Sonntag, 19. November 2023, um 12.30 Uhr, am Montag, 20. November 2023, um 20.15 Uhr sowie am Mittwoch, 22. November 2023, um 17.30 Uhr.

Samstag, 4. November 2023 | Autor: Pitt Herrmann