
Urban Art Ensemble Ruhr auf großer Tour
'Cracks' jetzt in Havanna
Kleine grüne Notlichter im Bühnensaal des Choreographischen Zentrums PACT Zollverein. Mechanische Geräusche aus dem Off. Allmählich schälen sich sieben Personen in Kapuzen-Parkas aus der Dunkelheit. Geflüchtete, Gerettete? Einer aus der Gruppe bricht zusammen. Rappelt sich mit Hilfe der anderen wieder auf.
So beginnt „Cracks“, die erste Produktion des zunächst für drei Jahre in Wanne-Eickel beheimateten professionellen „Urban Arts Ensemble Ruhr“ unter dem Dach der Herner Compagnie Pottporus, uraufgeführt am Samstag (28.10.2023) während des mehrtägigen „Street Dreams Festival“ in Essen-Katernberg. Die mitreißende, gut einstündige Hip-Hop-Choreografie der Breaking-Legende Rauf „RubberLegz“ Yasit thematisiert Flucht und Migration und das damit verbundenen Gefühl, von der Gesellschaft als Fremdkörper angesehen und ausgeschlossen zu werden.
An einer Graffiti-Wand kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Sprayern. Plötzlich „regnen“ rote Rosen auf die Bühne, werden von einer Frau aufgesammelt. Erst ist ein Besen, dann ein Basketball Requisit für virtuose, geradezu artistische Moves: Erinnerungen an die Kindheit, an Freundschaften, an Kinderspiele wie die „Reise nach Jerusalem“. Dann eine typische Schulsituation: Verzweiflung und Trost an der Tafel. Aber auch ein Bild für niedere Tätigkeiten Geflüchteter sowie Urbanität und den Traum, mit Sport aufzusteigen, dazu zu gehören.

Stilmix aus Breaking, Hip-Hop, Krump und Elementen des kontemporären Tanzes
Neben dem Stilmix aus Breaking, Hip-Hop, Krump und Elementen des kontemporären Tanzes lösen sich großartige Soli ab: ein Stuhl wie aus dem Wartebereich einer Behörde ist Gegenstand fulminanter, so noch nicht gesehener Bewegungen. Ein Rucksack steht nicht nur für den notorisch viel zu schweren Schulranzen, sondern, mit entsprechenden Kriegsgeräuschen unterlegt, für das nicht nur physisch belastende Marschgepäck der Soldaten...
Der aus Los Angeles nach Herne zurückgekehrte, nach Pottporus/Renegade-Anfängen inzwischen weltweit tätige renommierte Choreograph Rauf Yasit und die siebenköpfige Compagnie aus Wenta Ghebrehiwet (Deutschland), Tonia Kyriakou (Zypern), Melena Tortoh (Deutschland), Maksim Kuznetsov (Russland), Stefan Stiller (Deutschland), Leo Vara (Mexiko) und Jonas Krämer (Deutschland) greifen in der Ausstattung von Aaron Stratmann (Bühne) und Frederike Coors (Kostüme) durchaus auf eigene Erfahrungen zurück, wenn sie zwischen Hip-Hop-Kunst und kontemporärem Tanz fragen, wie individuelle und kollektive Narben urbanen Lebens pochen, treiben oder auch innehalten lassen.
Proben in den Flottmann-Hallen
Mit „Cracks“, deutsch „Risse“ (in den Biographien wie in der Gesellschaft), gastiert das im April 2023 neu gegründeten Urban Arts Ensemble Ruhr, das in den Flottmann-Hallen probt, gerade beim „Cube Art“ Festival in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Wo sich die Neu-Herner auch einem Hip Hop Battle stellen. Zunächst für drei Jahre steht die Finanzierung durch die Düsseldorfer Landesregierung, für diesen Zeitraum ist PACT Zollverein fester Kooperationspartner.

„Cracks“ steht für weitere Gastspiele zur Verfügung, was auch für die älteren Produktionen des inzwischen aufgelösten Renegade-Ensembles („Back to the Roots“) gilt. Für 2024 sind bereits neue Inszenierungen mit international gefragten Choreographen und innovativen Stoffen in Vorbereitung: Im April kommt „MC Messer“ im Theater Oberhausen heraus. Wobei die ersten beiden Buchstaben für den Mikrophon-Controller im HipHop stehen und das Wort auf Mackie Messer aus Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ verweist, welche die Grundlage der zweiten Produktion des Urban Arts Ensemble Ruhr bildet. Und im Herbst soll im Theater Gütersloh „Same Love“ Premiere feiern frei nach William Shakespeares unsterblicher „Romeo und Julia“-Liebesgeschichte.