
Neu in der Filmwelt Herne
Christian Ditter verfilmt Michael Endes 'Momo'
In einer südländischen Stadt, gedreht wurde vom 1. Mai bis 4. Juli 2024 nicht in Rom, wie man angesichts der ersten Location meinen könnte, sondern in Kroatien und Slowenien, taucht wie aus dem Nichts das junge Waisenmädchen Momo (Alexa Goodall) auf. Sie ist arm, hat sich im Amphitheater häuslich eingerichtet und sammelt mit Hilfe des Straßenfegers Beppo (Kim Bodnia), der auch hier in den alten Mauern für Ordnung und Sauberkeit sorgt, Flaschen.
Momo hat sich zudem rasch mit dem jungen Fremdenführer Gino (Araloyin Oshunremi) angefreundet, der mit Begeisterung erfundene Geschichten zum Besten gibt. In den Abendstunden fährt er für seine alleinerziehende Mutter Liliana (Jennifer Amaka Petterson), die auch noch seine beiden jüngeren Geschwister versorgen muss, Pizza aus. Seitdem sie die Bar ihres verstorbenen Gatten fortführt, kommt sie gar nicht mehr zur Ruhe.
Geduldige Zuhörerin
Weshalb sich Gino bei allem Familiensinn in eine bessere Welt träumt – und davon, mit seinem Podcast erfolgreich zu sein. Momo dagegen ist eine ausdauernde Zuhörerin. Mit großer Geduld hört sie sich nicht nur die erfundenen Geschichten Ginos an, sondern auch die Sorgen und Nöte der Menschen, die in immer größerer Zahl zu ihr in die Theater-Ruine strömen. Momo strahlt eine natürliche Ruhe aus, die sogar einen seit Jahren verstummten Kanarienvogel wieder zum Trillern bringt.

Mit Jackie (Laura Haddock) nimmt eine elegante Business-Frau Kontakt zur in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Liliana auf. Mittels eines Hightech-Ringes, der alle körperlichen Daten misst, soll sie nicht nur Zeit einsparen, die ihr später fürs Alter gutgeschrieben wird, sondern auch fitter werden, um so ihre Arbeitsleistung erhöhen zu können. „Sparen Sie Zeit, um sie später zu genießen“: Liliana ist nicht die einzige, die auf den Werbespruch der grauen Damen und Herren hereinfällt – mit schlimmen Folgen für die eigene Familie und das Zusammenleben überhaupt.
Zeit wichtiger als Liebe
Die Menschen haben nun keine Muße, keine Freizeit mehr, in der Bar herrschen Fastfood-Zustände und Gino findet keine Kundschaft mehr für seine Führungen. Der Grey-Konzern setzt sich mit seiner Behauptung, dass Liebe und Freizeit unwichtig sind, weil die Zeit die Hauptsache im schließlich endlichen Leben ist, immer stärker durch. Selbst Gino, den die Zeitdiebe im feinen Zwirn zum Social-Media-Star gemacht haben, ist begeistert von seinem Techno-Buddy „BibiBot“, dem ultimativen Freund, Unterhalter – und Aufpasser.
Nur Momo durchschaut die Ziele der Grey Corporation, weshalb ihr Chef John Richter (Claes Bang) eine ganze Motorradbande auf sie ansetzt, um sie auszulöschen. Doch mit Hilfe von Meister Secundus Minutius Hora (Morgan Freeman), dem Hüter der Zeit, und der erfahrenen Schildkröte Kassiopeia Cassiopeia, durchschaut Momo das Geheimnis der buntschillernden Stundenblumen und rüstet sich zum Kampf…
Remake nach 40 Jahren
Fast 40 Jahre nach dem Welterfolg der deutsch-italienischen Verfilmung des Romans durch Johannes Schaaf mit Radost Bokel als Momo, Mario Adorf und dem sich selbst als Autor verkörpernden Michael Ende kommt ein naturgemäß wesentlich aufwändigeres 91-minütiges Remake in die Kinos, das nach einem ziemlich gruseligen Intro in Schwarz-Weiß die Gefährdungen unserer Zeit thematisiert: weltumspannende Konzerne vereinen sich mit skrupellosen Politikern zu einem allwissenden Überwachungsstaat, wie ihn sich George Orwell in seinem unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschriebenen dystopischen Roman „1984“ noch nicht hatte ausmalen können.
Ja, es gibt auch poetische Momente in Christian Ditters Neuverfilmung, die sich sprachlich und technisch auf der Höhe unserer Zeit bewegt. Genannt seien etwa die verwunschene Tempelstadt des Nirgendhauses in der Niemandsgasse, das über einem riesigen unterirdischen See schwingende Pendel der Zeit oder die bunten Stundenblumen.
Auf der Höhe unserer Zeit
Gedreht „mit einem diversen Cast, der verschiedene ethnische Hintergründe, Hautfarben und Lebensrealitäten repräsentiert“, offenbart dieser zumindest für kleine Kinder aufgrund einiger Szenen problematische Film – sehr realistisch und daher völlig zu Recht – die Kälte der digitalen Welt, die Vereinsamung der Menschen durch den von Multi-Konzernen beförderten Individualismus, den rein kommerziellen Influencer-Wahn einer körperlichen Selbstoptimierung und die Möglichkeit eines totalitären Überwachungsstaates durch den „gläsernen Menschen“ im weltweiten Netz.
Die Poesie ist mir bei diesem, so erneut Ditter im Constantin-Presseheft, „poetischen Fantasy-Abenteuer“ entschieden zu kurz gekommen. Zum Kinostart am Donnerstag, 2. Oktober 2025 wird „Momo“ auch in der Filmwelt Herne gezeigt.