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Güner Yasemin Balci las zum Start der neuen Caritas-Gesprächsreihe aus ihrem SPIEGEL-Bestseller „Heimatland“ vor.

Güner Yasemin Balci für ein stärkeres Miteinander der Kulturen

Caritas-Gesprächsreihe 'Sicht im Schacht'

Mit einer Lesung der Berliner Journalistin, Filmemacherin und SPIEGEL-Bestseller-Autorin Güner Yasemin Balci startete der Herner Caritasverband am Freitag (17. 10.2025) in seine neue Gesprächsreihe „Sicht im Schacht“. Nach der Begrüßung durch Caritas-Fachbereichsleiter und Moderator Ahmad Omeirate las Balci im gut gefüllten VHS-Saal im Kulturzentrum Herne aus ihrem SPIEGEL-Bestseller „Heimatland“, sprach mit Omeirate über ihre Beweggründe für das Buch und diskutierte mit dem Publikum über Gemeinschaft und Abgrenzung, falsche Toleranz und Möglichkeiten, demokratiefeindlichen Tendenzen entgegenzutreten.

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Jahreskampagne 'Caritas öffnet Türen'

Mit der Reihe „Sicht im Schacht“ möchte der Caritasverband passend zur bundesweiten Jahreskampagne „Caritas öffnet Türen“ Raum für Debatten und Begegnungen geben und neue Türen öffnen. "Der Name ist angelehnt an „Schicht im Schacht“. Wir möchten mit Ihnen, dem Publikum, über Themen sprechen, die sonst sehr dunkel und düster erscheinen, und gemeinsam den Schacht zum Erleuchten bringen“, erklärte Omeirate auf Nachfrage einer Besucherin.

Balci, ebenso wie Omeirate im Berliner Rollbergviertel aufgewachsen und seit 2020 auch Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, begann ihre Lesung mit Passagen zu ihrer Kindheit und Jugend im Rollbergviertel, wo sie mit Menschen aller Nationalitäten zusammenlebte. „Es gab keine Schranken zwischen uns Rollbergkindern, keine nennenswerten Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, Blonden und Dunklen. Entscheidend waren der Charakter, die Klamotten und die Musik, die man hörte.“

Moderator Ahmad Omeirate, Fachbereichsleiter beim Caritasverband, und Güner Yasemin Balci im Gespräch.

Sie beschrieb, wie sich das Leben im Rollbergviertel in den 80ern durch den Zuzug arabischer Großfamilien spürbar veränderte. Kinder seien jahrelang nicht zur Schule gegangen, die Eltern nicht zur Arbeit. Untergebracht waren sie in einem Abbruchhaus. Die großen Gangster wie Arafat Abou-Chaker, die man heute aus der Presse kennt, seien gemeinsam dort aufgewachsen. Durchmischung war nicht mehr selbstverständlich. „Die Jungs, die den ganzen Tag nichts zu tun hatten, haben gerne ihre Schwestern drangsaliert und zu Hause eingesperrt. Sie hingen draußen ab, während die Mädels drinnen verschwanden.“

Fehlende Durchmischung ist ein riesiges Problem

In der fehlenden Durchmischung sieht Balci nach wie vor ein riesiges Problem. Noch heute, in der 3. Generation, würden 9 von 10 Mädchen im Rollbergviertel zwangsverheiratet. Für die Arbeit im Themenfeld Integration braucht sie Partner:innen, die ihren persönlichen Lackmustest bestehen müssen: „Wie sieht es aus mit Frauenrechten, also mit Gleichberechtigung der Geschlechter? Wie ist das Verhältnis zu Queerfeindlichkeit und Homophobie? Wie stehen sie zu jüdischem Leben in Deutschland?“

Jede Art von Kultur- und Religionsrelativismus lehnt Balci ab. Wenn man beispielsweise kleine Mädchen unter dem Verweis auf die Religionsfreiheit zwinge, sich komplett zu verschleiern, oder sie nicht mehr Fahrrad fahren dürften, dann sei für sie eine Grenze überschritten, weil Kinder- und Menschenrechte eingeschränkt würden. Auch ein Schulterschluss und Kooperationen mit Islamisten und extremistischen Institutionen, die ohnehin nur eine Minderheit vertreten, seien für sie nicht hinnehmbar. Sie fordert klare wohnungs-, bildungs- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen, um die Abgrenzung einzelner Milieus aufzubrechen und das Miteinander verschiedener Kulturen zu fördern.

Nach und bereits während der Lesung kam nicht nur Omeirate, sondern auch das Publikum mit Balci ins Gespräch. Die Meinungen und Fragen waren vielfältig und führten zu lebhaften Diskussionen. Es ging um Fremdheitsgefühle, Unsicherheiten und unterschiedliche Standpunkte, aber auch um Möglichkeiten und Wege eines demokratischen Miteinanders, Selbstbestimmung und Chancengleichheit. Balci bedankte sich für die zahlreichen Wortmeldungen: „Ich finde es gut, dass wir offen reden. Wir müssen offen miteinander reden, auch und gerade, wenn wir unterschiedliche Meinungen haben.“ Die Veranstaltung endete mit einer Signierstunde der Autorin und der Ankündigung Omeirates, dass die nächste Ausgabe von „Sicht im Schacht“ bereits in Planung sei.

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Im Frühjahr wird die Autorin Sineb El Masrar mit ihrem Buch „Heult leise, Habibis“ zu Gast sein. Die Gesprächsreihe „Sicht im Schacht“ wird von der Integrationsagentur des Caritasverband Herne e.V. organisiert.

Dienstag, 28. Oktober 2025 | Quelle: Andrea Sudkamp / Caritas