
Drama in der Filmwelt Herne zu sehen
Bestseller-Verfilmung '22 Bahnen'
„Wir sind eine Familie. Wir sind ein intakter Organismus, wir funktionieren zusammen. Gestört werden wir nur durch den letzten Teil unserer Familie. Also eigentlich sind wir eine überwiegend intakte Familie. Zu 66,67 Prozent. Wir sind intakte Schwestern. Zu 100 Prozent“: Tilda Schmidt (Luna Wedler), die Ich-Erzählerin, und ihre kleine (Halb-) Schwester Ida (Zoë Baier, gerade auch in „In die Sonne schauen“ im Kino, halloherne berichtete) gehen zusammen ins Freibad. Nicht, obwohl es regnet, sondern weil: bei schönem Wetter muss Tilda allein ihre Bahnen ziehen – und zwar stets exakt „22 Bahnen, die nur mir gehören.“
Denn außerhalb des Freibades sind Tildas chaotische Tage streng durchgetaktet: Die hochbegabte Mathematik-Studentin („Mathe schafft Ordnung, Mathe ist ein Ort, an dem ich zuhause bin“) sitzt quasi für ihre alkoholkranke arbeitslose Mutter Andrea (Laura Tonke) an der Supermarkt-Kasse, um die seit einem Autounfall vor fünf Jahren vaterlose Familie finanziell über die Runden zu bringen.
Sie muss dafür das eine oder andere Seminar an der Universität schwänzen, obwohl sie gerade an ihrer Masterarbeit sitzt. „Mirácoli oder Gut und günstig“ ist keine Frage: Um die wählerische Ida ruhig zu stellen, füllt sie heimlich die billigeren Spaghetti in die Marken-Packung um.
Mordsmäßiger Stress
„Wenn ich nachts auf meiner Matratze liege, dann denke ich, dass ich das Ganze da draußen noch lange aushalten kann. Solange der Wind nachts auf mich fällt, denke ich, kann ich mich tagsüber in den Krieg da draußen stürzen. Gegen meine Mutter, gegen ihre Launen, gegen diese Kleinstadt. Und für Ida“: Wenn nicht ‘mal wieder daheim die Hölle losbricht und die bis zur Bewusstlosigkeit betrunkene Mutter die Küche in Brand setzt, könnte sich Tilda mit dem mordsmäßigen Stress arrangieren.
Weil sie auf ihre beste Freundin Marlene (Zoe Fürmann) zählen kann, mit Professor Klein (Ercan Karacayli) einen verständnisvollen Hochschullehrer hat und es mit ihrer Mutter immer wieder auch schöne Stunden zu dritt auf der Wohnzimmercouch gibt. Und weil plötzlich mit Viktor (Jannis Niewöhner), der Bruder von Marlenes früherem Freund Ivan (Kosmos Schmidt), ein gut aussehender junger Mann seine Bahnen im Freibad zieht – exakt 22 wie sie selbst.

Der jetzt in Hamburg als freiberuflicher Programmierer lebende Computernerd hat vor fünf Jahren seine ganze Familie durch einen Unfall verloren, wobei in Tilda Schuldgefühle hochkommen. Denn sie hatte zusammen mit Marlene Ivan in der Nacht vor der Fahrt mit seinen Eltern nach Russland zu einer Party überredet, auf der Magic Mushrooms die Runde machten.
Blitz aus düsterem Himmel
Als Tilda auf einer großen Fete in der Sandgrube vom offenbar anderweitig liierten Leon (Luis Pintsch), ihrem jetzt in Berlin als Künstler lebenden „Ex“, angebaggert wird, lässt sie sich von Viktor nach Hause fahren. Wo noch Licht in der Wohnung brennt mitten in der Nacht und Tilda signalisiert: Es ist ‘mal wieder soweit, die zugedröhnte Mutter ist gegen Ida auch körperlich ausfallend geworden. Der herbeigerufene Notarzt schließt einen Suizidversuch nicht aus, weshalb er eine Klinikeinweisung verfügt.
Da kommt das Angebot ihres Professors für ein Promotionsstipendium in Berlin wie ein Blitz aus düsterem Himmel: Er gibt seinem „Ausnahmetalent“ nur wenig Zeit für ihre Zu- oder Absage. „Ich kann nur gehen, wenn Ida gewappnet ist“ – wofür nach ihrer durch Idas ausdrückliches Plazet befeuerten Entscheidung für die Hauptstadt nur knapp fünf Monate Zeit bleiben. Die Zehnjährige weiß, dass sich mit Berlin für ihre Schwester ein Traum erfüllt, dass Tilda bisher immer nur für andere da war. Ida ist fest entschlossen, nun daheim das Ruder zu übernehmen…
Grandiose Besetzung
In der ersten halben Stunde des 103-minütigen Films, der von Mitte September bis Anfang November 2024 in München und Berlin samt Umland gedreht worden ist, entsteht der Eindruck eines weiteren typisch deutschen Befindlichkeitsstreifens. Doch dann nimmt „22 Bahnen“ richtig Fahrt auf – auf ganz unspektakuläre Weise. Mit einem grandiosen Protagonisten-Quartett um die Schweizerin Luna Wedler („Mariannengraben“, 2024) und einer ganz eigenen Tonalität. Ja, „22 Bahnen“ ist auch ein Film über das Erwachsenwerden, vor allem aber ein Plädoyer für den bedingungslosen familiären Zusammenhalt. Und für die Liebe, obwohl diese bei allem Licht am Ende des Tunnels zu kurz kommt: Viktor ist nicht die einzige offene Frage nach 103 emotionsgeladenen Minuten.
Elena Hell hat das Drehbuch nach dem Debütroman „22 Bahnen“ von Caroline Wahl, der bisher 600.000 Käufer fand, geschrieben. Mia Maariel Meyers wunderbar unspektakulärer und vielleicht gerade deshalb anrührender Film, uraufgeführt am 24. August 2025 im Münchner Arri-Kino, startet am Donnerstag, 4. September 2025, in den Kinos – auch in der Filmwelt Herne.
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- Donnerstag, 4. September 2025