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Helge Salnikau (Mitte), gerade noch der Dichter Nick Greene, schlüpft mit wenigen Kostümteilen in die Rolle der rumänischen Erzherzogin Harriet, die Orlando (Jaëla Probst, r.) nachstellt.

Unorthodoxe Bühnen-Adaption im Bochumer Prinz Regent Theater

Virginia Woolfs 'Orlando'

„Der Geist sollte satirisch sein, die Struktur wild“ schrieb Virginia Woolf am 20. Dezember 1927 in ihr Tagebuch über „eine Biographie, die im Jahr 1500 beginnt und bis zum heutigen Tage führt“: „Orlando. A Biography“ erschien 1928 in der Londoner Hogarth Press. Der rund 300-seitige Schlüsselroman, eine Huldigung Woolfs an ihre Geliebte, die hierzulande eher unbekannte Schriftsteller-Kollegin Victoria „Vita“ Sackville-West, mutierte zum Klassiker der feministischen Literatur.

Annette Müller, deren Adaption am 1. Oktober 2022 im Landestheater Tübingen Premiere feierte, und Regisseurin Magz Barrawasser samt den Ausstatterinnen Clara Eigeldinger (Bühne) und Rabea Stadthaus (Kostüme) haben sich den Tagebuch-Eintrag zu Herzen genommen für eine über neunzig Minuten höchst unterhaltsame Produktion, die am 14. Januar 2024 im Bochumer Prinz Regent Theater „stehend“ gefeiert wurde.

Vier Jahrhunderte und zwei Geschlechter

In die fabelhaften Darsteller Jaëla Probst, Helge Salnikau und Alessandra Wiesemann als Biographen auftreten, die Orlandos vier Jahrhunderte und zwei Geschlechter umfassendes Leben nacherzählen und abwechselnd die Titelfigur selbst sowie die weiteren Protagonisten verkörpern.

Der weiße Bühnenraum spielt auf den „Großen Frost“ an, welcher die geplante Hochzeit Orlandos mit Euphrosyne verhindert. Dieser steht für die historisch belegte „Kleine Eiszeit“ des 16. und 17. Jahrhunderts, wie überhaupt Virginia Woolf immer wieder die Zeitgeschichte über vier Jahrhunderte in ihre fiktive Biographie einfließen lässt. Helge Salnikau, eben noch als russische Prinzessin „Sascha“ auf Schlittschuhen unterwegs, mit der Jaëla Probsts Orlando das erste Wunder der Liebe erlebt, verwandelt sich im Handumdrehen in den Dichter Nicholas „Nick“ Greene, der im zweiten Kapitel auf Shakespeare & Co schimpft und nur die Alten gelten lässt.

Orlando, mittlerweile dreißig, verbrennt 57 seiner poetischen Werke. Er lässt nur „The Oak Tree“ gelten, ein Poem, das sich wie ein Roter Faden durch den Roman – und wie ein Running Gag durch die Inszenierung zieht. Die, nicht ohne fiktionsbrechende Interventionen der „Biographen“, ins dritte Kapitel überspringt zur Begegnung Orlandos mit der übergriffigen rumänischen Erzherzogin Harriet, die ihn zur Flucht nach Konstantinopel treibt. Wo er angeblich die Tänzerin Rosina Pepita heiratet, vor allem aber – nach einwöchigem Schlaf – als Frau erwacht: „Seine Gestalt vereinigte in sich die Kraft eines Mannes und die Anmut einer Frau.“

Sehnsucht nach Sascha

Vom Kapitän Bartolus zurück nach England gebracht machen ihr, nun von Alessandra Wiesemann verkörpert, „die heiligen Verpflichtungen des Frauseins“ zu schaffen – und die Sehnsucht nach Sascha. Andererseits ist aus Harriet der Erzherzog Harry geworden, der Orlando in die Londoner Gesellschaft einführt. Zur Jahreswende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Vorlage und Aufführung sind im 5. Kapitel angekommen, schreibt die nunmehrige Titelheldin bereits seit fast 300 Jahren an ihrem „Eich-Baum“. Und kein Ende ist abzusehen.

Helge Salnikau als Kapitän Nicholas Benedict Bartolus (Mitte) führt Orlando (nun Alessandra Wiesemann) zurück nach England.

Das kommt dann aber doch im sechsten Kapitel: Orlando heiratet „Shel“ und bringt, am 20. März 1928, einen Knaben zur Welt, derweil ihr Gatte um Kap Hoorn segelt. Ganz nebenbei verspricht Nick Green, sich ihres Poems verlegerisch anzunehmen…

Man muss den Roman nicht gelesen haben, um die zahllosen Anspielungen auf die Zeitläufte mitzubekommen, die mit konkreten Ereignissen in der Politik, aber immer wieder auch in der Natur (höchst aktuell: im Klimawandel) belegt werden. Kenner der Vorlage aber haben doppelten Genuss: an der bildmächtigen Sprache im steten Wechsel mit wundervoll (selbst-) ironischer Kommentierung und an einer herzerfrischend unorthodoxen Inszenierung. Wie sie in unseren Cancel-Culture-Zeiten wohl nur von einem rein weiblichen Team möglich ist.

Das PRT-Publikum kennt die Personen

Regisseurin Magz Barrawasser hat bereits zweimal am Bochumer Prinz Regent Theater inszeniert: Die Episoden 1 und 2 der TV-Serie „Der Tatortreiniger“. Mit Helge Salnikau („Der Trafikant“) und Alessandra Wiesemann („Der Tatortreiniger: Currywurst & Anbieterwechsel“) stehen zwei dem PRT-Publikum bereits bekannte Personen auf der Bühne. An ihrer Seite die Schauspielerin Jaëla Probst, die ihr Bochum-Debüt gibt und am DJ-Pult auch den Soundtrack der Produktion beisteuert. Die Kölnerin des Jahrgangs 1992 absolvierte die renommierte Berliner Hochschule „Ernst Busch“, stand u.a. auf den Brettern der Volksbühne Berlin, der Comedia Köln sowie dem Schauspiel Essen und ist seit „4 Blocks“ in zahlreichen Serien auf dem Bildschirm zu erleben.

Karten unter prinzregenttheater.de oder Tel. 0234 – 77 11 17. Die Aufführungstermine jeweils um 19.30 Uhr im Prinz Regent Theater Bochum:

  • Freitag, 19. Januar 2024
  • Dienstag, 30. Januar 2024
  • Mittwoch, 7. Februar 2024
  • Donnerstag, 29. Februar 2024.
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  • Freitag, 19. Januar 2024, um 19:30 Uhr
  • Dienstag, 30. Januar 2024, um 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 7. Februar 2024, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 29. Februar 2024, um 19:30 Uhr
Donnerstag, 18. Januar 2024 | Autor: Pitt Herrmann