
Eine Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
Europa - Insel der Glückseligen
Derzeit studiere ich täglich die Landkarten über die Entwicklung der Covid-19-Pandemie. Die großen Kreise finden sich in China, Korea und Europa. Auf den ersten Blick wirken diese Regionen wie die Epizentren der Covid-19-Pandemie. Fast der ganze Rest der Welt scheint kaum betroffen. Ich bin sicher, dies ist ein furchtbares Trugbild und die Landkarten werden sich bald ändern und zwar dramatisch.
Das Virus dringt bis in die Slums vor

Es ist völlig absurd, zu glauben, dass dieses Virus vor den Slums von Rio de Janeiro, Sao Paulo oder irgendwo sonst auf diesem Planeten Halt machen wird. In Europa werden die Gesundheitssysteme ins „Schwitzen“ geraten, vielleicht werden sie wie in Italien „in die Knie“ gehen, aber sie werden – wahrscheinlich – nicht zusammenbrechen. Was aber ist mit Ländern wie zum Beispiel Mexiko, Brasilien, Ecuador, Haiti in Südamerika, wie Nigeria, Mosambik, Simbabwe oder Kongo in Afrika, was passiert in Indien, Bangladesch? So etwas, was wir unter „Gesundheitssystem“ verstehen, gibt es in diesen Ländern nicht. Aber sie haben gigantische Ballungszentren, Megacities wie Mexiko-Stadt mit 21.581.000 Einwohnern, Lagos (Nigeria) mit 22.711.000 Einwohnern oder Dhaka (Bangladesch) mit 14.543.000 Einwohnern, um nur drei Beispiele zu nennen. Dort leben mehr Menschen als in ganz NRW und die Mehrheit vegetiert unter unsäglichen Bedingungen auf engstem Raum. Diesen Menschen fehlt aber nicht nur der Zugang zu halbwegs erträglichen Lebensbedingungen, geschweige denn zu einem leistungsfähigen Gesundheitssystem. Ihnen fehlt vor allem der Zugang zu Bildung und Informationsfähigkeit. So konnte die Ebolafieber-Epidemie 2018 sich zeitweise dramatisch ausbreiten, weil trotz schwerster Erkrankungsfälle und massenhaften Toten eine Isolierung der Betroffenen seitens großer Teile der Bevölkerung aus dubiösen kultischen Gründen verweigert wurde.
Covid-19, die hinterhältige Erkrankung
Sie ruft nur bei einem relativ kleinen Teil der infizierten Personen ernsthafte Erkrankungen hervor. Deshalb scheint sie auf den ersten Blick so harmlos, dass sogar die kritischen Experten Europas sie anfangs unterschätzt haben. Aber gerade in der vermeintlichen Harmlosigkeit liegt die Tücke. Die aktuelle Entwicklung in Italien ist mit großer Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass sich das Virus zwei – drei Wochen unbemerkt und ungehindert ausbreiten konnte. Man hatte schlichtweg nicht damit gerechnet, dass es schon da war. Die aktuellen tatsächlichen Infektionszahlen dürften weit über den bekannten liegen.
Die teils verschwindend niedrigen Zahlen in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas sind schlicht darauf zurückzuführen, dass nicht nur die dortigen Gesundheitssysteme, auch die Gesellschaftssysteme von einer Fähigkeit zur flächendeckenden Testung weit entfernt sind. Gerade die vermeintliche Banalität der Covid-19-Erkrankung wird die Länder der dritten Welt deshalb voll treffen. Das Ebolafieber betrifft Junge wie Alte und ist eine fulminant verlaufende Erkrankung und für jeden noch so Naiven dramatisch. Wie aber soll man diesen Menschen das Risiko von Covid-19 vermitteln.
Ich bin sicher, Covid-19 wird sich in den unterentwickelten Ländern der dritten Welt in wenigen Wochen mit einer Dramatik verbreiten, die uns den Atem verschlägt und uns grausen lässt.
Seien wir also froh und demütig, in Europa leben zu dürfen. Die meisten Menschen in der dritten Welt tragen keine Schuld daran, wenn sie keinen Zugang zu Bildung, menschenwürdigem Wohnen und Gesundheit haben und deshalb schlicht außerstande sind, sich vor der Infektion zu Schützen. Wer in Europa und im Besonderen in Deutschland den Ernst der Lage und die notwendigen Maßnahmen ignoriert, ist sträflich dumm und verantwortungslos.
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