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Krähen unter sich – sie sind rücksichtsvoll.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Die Solidarität der Krähen

Die meisten, die ein Medizinstudium beginnen, haben Rosinen im Kopf. Eine solche Rosine ist der Anspruch und die Erwartung, einen wichtigen und moralisch hochstehenden Beruf auszuüben. Bei Polizisten dürfte das ganz ähnlich sein. In der beruflichen Realität aber sehen sich Ärzte wie Polizisten häufig ebenso pauschalen wie unqualifizierten, vor allem aber unerwarteten Anfeindungen und Unterstellungen ausgesetzt. Das tut weh! Dennoch, Ärzte wie Polizisten sind Menschen und wo Menschen arbeiten, machen sie auch Fehler. Wenn ein Handwerker eine fehlerhafte Arbeit abliefert, kann er nachbessern oder muss Schadensersatz leisten. Bei Ärzten wie Polizisten ist es dann häufig nicht nur ein Schadensersatzanspruch, sondern gleich ein Straftatbestand und das ist eine ganz andere Hausnummer. Die Dimension eines derartigen Schuldvorwurfs erklärt vielleicht den in beiden Berufsgruppen ähnlichen Abwehrreflex beim Vorwurf eines Fehlers.

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Wir leben in einem Rechtsstaat – eigentlich, da regeln das Grundgesetz, das Strafgesetzbuch, das bürgerliche und das öffentliche Recht und nicht zuletzt neben anderen die Straßenverkehrsordnung, wie das Zusammenleben in unserer Gesellschaft ablaufen soll. Im Mittelalter und davor war das schon einmal anders. Da bekam derjenige (meist waren es ja Männer) seinen Willen, der am brutalsten zuschlagen, stehlen, brandschatzen, morden und vergewaltigen konnte. Daraus entwickelte sich dann die Aristokratie. Ursprünglich haben die Clans des so genannten Uradels in Europa ihren vielfach heute noch gewaltigen Reichtum mithilfe von Mord und Versklavung der Schwächeren zusammen gerafft, ohne von einem Rechtsstaat kontrolliert zu werden.

Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Rechtsstaat BRD

Ein Rechtsstaat, das ist das gesamte Gesetzeswerk, für das ein durch freie Wahlen geformtes Parlament verantwortlich zeichnet, die Legislative. Es ist, anders als in Russland, der Türkei, auch in Polen oder Ungarn, eine wirklich unabhängige Justiz, die nach den Vorgaben der Gesetze Recht spricht, die Judikative. Und es sind diejenigen, die die so ergangenen Urteile und die öffentliche Ordnung durchzusetzen haben, also letztlich die Polizei, die Exekutive. Einen Rechtsstaat haben wir, wenn man genau hinsieht, in Deutschland noch gar nicht so lange. Erst nach 1949 entstand allmählich in der alten BRD so etwas, was man als Rechtsstaat bezeichnen konnte und in den östlichen Bundesländern erst 1989 mit der Wende.

Im Rechtsstaat hat der Staat das Monopol, Gewalt auszuüben. Im Auftrage des Staates verwaltet die Polizei dieses Recht. Dies hat innerhalb eigentlich klarer rechtlicher Grenzen und nicht nach dem Gutdünken des einzelnen Beamten zu geschehen. Und, daran besteht für mich kein Zweifel, in aller Regel geht die Polizei mit diesem Auftrag maßvoll und gesetzeskonform um. Wir haben in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, eine gute Polizei.

Grenze zwischen Recht und Unrecht

Insgesamt haben wir in Deutschland circa 320.000 Polizisten, davon 260.000 an der Front, wo es auch schon mal heiß hergeht. Wenn Polizisten angegriffen werden, müssen sie sich wehren können. Und wenn sie das geltende Recht durchsetzen, ob bei einer Wohnungsräumung oder bei einer Demonstration ist Gewalt eben nicht immer vermeidbar. Aber, wer das Recht hat, Recht durchzusetzen, für den gelten besondere Maßstäbe. Weil Polizisten das Recht vertreten, ist es nicht trivial, ob sie etwas mehr Pfefferspray benutzen als nötig oder mit dem Gummiknüppel härter, als es angemessen gewesen wäre, zuschlagen. Der Grat zwischen angemessener Härte und überschießender Gewalt ist schmal. Aber genau da verläuft die Grenze zwischen Recht und Unrecht.

Krankenkassen haben ein Interesse, die Zahl der Arztbesuche zu begrenzen, das senkt ihre Kosten. Anwälten, die Patientenrechte vertreten, ist durchaus daran gelegen, die Konjunktur der Arzthaftungsprozesse zu befeuern. Deshalb werden regelmäßig von interessierter Seite spekulativ hochgerechnete Hochrechnungen und Statistiken zu ärztlichen Behandlungsfehlern publiziert. Um Missverständnissen vorzubeugen: Vertretung, auch Bewerbung von Interessen, ist legitim, aber es handelt sich eben um Interessen. Ähnlich wie bei der Polizei werden Ärzten drastisch mehr Fehler unterstellt, als schließlich vor Gericht als solche anerkannt werden. Aber anders als bei der Polizei ist es heute für vermeintlich durch einen ärztlichen Behandlungsfehler Geschädigte ziemlich einfach, ihre Ansprüche geltend zu machen. Die Gutachterkommissionen bei der Ärztekammer oder dem medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) gehen mit beklagten Ärzten heute alles andere als zimperlich um. Auf den Corpsgeist medizinischer Gutachter sollte ein Arzt besser nicht vertrauen. Patientenanwälte kämpfen mit verdammt harten Bandagen. Ganz anders als gegen Polizisten ermittelten Staatsanwälte immer schon mit einem klammheimlichen Vergnügen gegen Ärzte und auch die Gerichte urteilen heute tendenziell eher patientenfreundlich. Aber das ist der Rechtsstaat und für den zahlt man als Arzt keine Vergnügungssteuer. Vor allem aber muss kein Patient fürchten, bei einer Anzeige oder Klage wegen eines Behandlungsfehlers seinerseits wegen Widerstands gegen eine Staatsgewalt belangt zu werden.

Das ist bei der Polizei gänzlich anders. Die Beschwerdemacht der Betroffenen ist minimal, die Definitionsmacht der Polizei enorm. Das Missverhältnis zwischen angezeigtem und gerichtlich bestätigtem Fehlverhalten von Polizisten im Dienst ist dramatisch und war rational noch nie erklärlich.

Der Forscher Tobias Singelnstein hat nun eine 2018 begonnene Studie veröffentlicht, wann es zu rechtswidrigen Übergriffen durch Polizeibeamte kam. Singelnstein ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Sein Interesse an Polizeigewalt ist rein wissenschaftlicher und nicht wirtschaftlicher Natur. Das, was ich von dieser Studie gelesen habe, war eine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit dem Handeln der Polizei. Sie zeigt, dass Fehlverhalten von Polizisten im Dienst drastisch häufiger ist, als gerichtlich festgestellt wird. Ja, sie brandmarkt auch eine offensichtlich interessengeleitete Solidarität zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei. Sie unterstellt aber keineswegs pauschal rechtswidrige Übergriffigkeit. Dennoch, geradezu reflexhaft wird Singelnstein von Funktionären der Polizeigewerkschaften wie von Staatsanwälten methodische Inkompetenz vorgeworfen und seine Studie sogar als unseriös bezeichnet.

Für das Vertrauen der Bürger in die Seriosität der Polizei und der Staatsanwaltschaften ist das eine Katastrophe. Die Reaktion der Polizeigewerkschafter und der Staatsanwaltschaften bestätigt letztlich den vermuteten Corpsgeist und zeigt, dass unser Rechtsstaat da einen enormen Nachbesserungsbedarf hat. Im Gegensatz dazu scheinen im Gesundheitswesen die Krähen, die den anderen kein Auge aushacken, weitgehend vom Rechtsstaat ausgerottet zu sein. Als Arzt empfinde ich eher Genugtuung darüber, dass der Rechtsstaat im Gesundheitswesen so viel weiter ist, aber auch Frust darüber, dass er in Polizei und Staatsanwaltschaften noch nicht wirklich angekommen zu sein scheint.

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Wenn Sie also glauben, durch einen Behandlungsfehler zu Schaden gekommen zu sein, wenden Sie sich an einen auf Medizinrecht spezialisierten Anwalt. Wundern Sie sich aber nicht, wenn der beklagte Arzt seinerseits einen ebenso versierten Anwalt bemüht. Am Ende steht dann ein Richterspruch und den müssen beide Seiten akzeptieren und respektieren. Wenn Sie dagegen glauben, durch ein unrechtmäßiges Verhalten der Polizei zu Schaden gekommen zu sein, möchte ich – gefühlsmäßig – nicht unbedingt zu diesem Verfahren raten...

Donnerstag, 8. Juni 2023 | Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey