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Das Deutsche Gesundheitswesen – Baustellen ohne Ende. Bedeutet die Reform der Krankenhausstruktur 'Licht am Ende des Tunnels'?

Eine Dunkhase von Hinckeldey Kolumne

Baustellen ohne Ende

Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der teuersten im weltweiten Vergleich. Wenn das den Menschen zugute käme, wäre das zu akzeptieren. Leider ist das nicht so. In der Liste der Vereinten Nationen der Länder nach der durchschnittlichen Lebenserwartung der Bevölkerung von 2016 liegt Deutschland auf Platz 25, in der EU auf Platz 14. Vor Deutschland liegen Länder wie Spanien, Italien, aber auch Portugal und sogar Griechenland. Selbst Großbritannien, bekannt für sein ausgemergeltes Gesundheitssystem, liegt noch vor Deutschland. Auch wenn die Gründe für die Lebenserwartung nicht ausschließlich in der Gestaltung des Gesundheitssystems zu suchen sind, muss man angesichts der Kosten in Deutschland von einem ziemlich miserablen Ergebnis reden.

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Wenn man das Resultat der Bertelsmann-Studie zur Reform der Krankenhausstrukturen, die 2019 einen Abbau von zwei Dritteln der circa 1.500 Krankenhäuser forderte, weiter denkt, lassen sich zielgenau die wesentlichen Baustellen ausmachen.

Erforderlich ist ein Paradigmenwechsel

Weg vom Primat der Wohnortnähe, hin zu einer Orientierung in Richtung Qualität und Effizienz. Wenn der durchaus populäre NRW-Gesundheitsminister und Schützenbruder Karl-Josef Laumann meint, ein Krankenhaus vor Ort sei für viele Bürger ein Stück Heimat, so kann ich ihm nur entgegnen: In Krankenhäusern geht es um medizinische Behandlung auf dem nach der aktuellen Gesetzeslage erforderlichen Niveau (notwendig, ausreichend, wirtschaftlich, zweckmäßig), keineswegs um die Pflege heimatlichen Brauchtums. Das darf sich im Schützenverein ausleben, bei der Gestaltung des Gesundheitswesens ist es wenig tauglich. Letztlich dient die Verschlankung der Krankenhauslandschaft hin zu wirklichen Kompetenzzentren nicht nur der Kosteneffizienz, sondern vor allem dem Wohl der Patienten.

Dabei sind die technischen Probleme bei der Konzentration von Kompetenz in großen Zentren organisatorisch noch am ehesten umsetzbar. Um eine große Klinik noch einmal zu vergrößern, müsste kein grundsätzliches Umdenken aller dort Tätigen stattfinden. Die funktionalen Abläufe von der Aufnahme bis zur Entlassung unterscheiden sich nicht sonderlich nach der Größe der Kliniken. Freilich, es dürften an vielen Standorten erhebliche Um- und Neubauten zu beträchtlichen Kosten erforderlich sein.

Krankenhäuser keine 'Profitcenter'

Viel schwieriger dürfte die Überwindung des Widerstandes der unterschiedlichen Krankenhausträger sein. Viele – konfessionelle, staatliche und kommunale sowie freie (z. B. Helios, Rhön-Kliniken) Träger – werden ihre Pfründen nicht kampflos räumen. Auch wenn prominente Ärztevertreter wie der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund, Rudolf Henke, fordern, Krankenhäuser dürften keine „Profitcenter“ sein, sondern seien Teil der staatlichen Daseinsfürsorge, sieht die Realität doch völlig anders aus. Die wirtschaftlichen Abläufe in allen Bereichen des deutschen Gesundheitswesens, Kliniken, Praxen, Pflegedienste etc., erzwingen geradezu eine Organisation als „Profitcenter“. Private Träger wie Helios- und Rhönkliniken sind alles andere als karitative Organisationen. Sie haben das schon vor Jahrzehnten erkannt. Manche verdanken ihre Gründung gar der Erkenntnis, dass das deutsche Gesundheitswesen mit seinem Goldesel der gesetzlichen Krankenversicherung ein hochprofitable Industrie ist.

Prekär ist dagegen die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser in Deutschland, die dies nicht berücksichtigen – was im übrigen nicht heißen muss, dass sie für die staatliche Daseinsfürsorge bedeutungslos sind. Nicht selten ist ihre Lage auch nur deshalb prekär, weil sie in sozialen Brennpunkten liegen und daher mit hohem personellen Aufwand der dortigen, meist wenig profitablen Morbidität gerecht werden müssen.

Dass die Bertelsmannstudie 2019 in ein Wespennest gestochen hat, sieht man deutlich an den teils hysterischen Reaktionen der unterschiedlichen Interessenvertreter. Angesichts der Tatsache, dass etwa fünf Millionen Patienten pro Jahr genauso gut ambulant behandelt oder operiert werden könnten, ist die Reaktion des Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Gerald Gaß bezeichnend. Er unterstellt nicht nur „die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern“, er fordert auch die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Medizin (Anm.: zu wahrscheinlich abenteuerlichen Kosten). Genau dieses hat aber die Bertelsmann-Studie wissenschaftlich kompetent widerlegt.

Ambulante Behandlungskapazitäten erhöhen

Natürlich setzt eine Reduzierung der Krankenhauskapazitäten in diesem Ausmaß voraus, dass entsprechende ambulante Behandlungskapazitäten im Bereich der niedergelassenen Praxen und/oder im Rahmen neu zu schaffender Versorgungsangebote – auch an den bisherigen Krankenhausstandorten – geschaffen werden. Während der Umbau der Krankenhauslandschaft vor allem gegen den Widerstand der vereinigten Krankenhauslobby (u.a. Deutsche Stiftung Patientenschutz, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Kommunalpolitiker, Landräte etc.) und politischer Dampfplauderer, wie dem aktuellen Ärztekammerpräsidenten, durchzusetzen ist, scheint mir das strukturelle Defizit an unternehmerischer und organisatorischer Kompetenz der niedergelassenen Ärzteschaft eines der größten Hindernisse in diesem Gesamtprojekt zu sein.

Chefarztbehandlung in der Praxis selbstverständlich

Zwar wird in der aktuellen Landschaft der Facharztpraxen durchaus eine Medizin auf einem Qualitätsniveau angeboten, die genau so gut oder gar besser wie im entsprechenden stationären Bereich ist. Die rein medizinische Ausbildung der Ärzte in Deutschland ist exzellent und „Chefarztbehandlung“ ist – anders, als in der Klinik – in der Praxis Kassenleistung ohne Zusatzversicherung. Eine unternehmerische Ausbildung in Hinblick auf gesundheitsökonomische Erfordernisse findet jedoch schlicht nicht statt. Unter anderem deshalb sind mehr als 80 Prozent der Facharztpraxen kleine Tante-Emma-Läden mit maximal zwei bis drei Fachärzten. Wie Ärzte mit rudimentärer unternehmerischer Expertise große Ambulanzzentren aufbauen sollen, erschließt sich mir nicht. Zudem wären die für die geforderten Entwicklungen zu stemmenden Investitionen kaum von den Praxen zu leisten.

Demgegenüber ist der erforderliche, ebenfalls gewaltige Ausbau des ambulanten Pflegesystems vermutlich noch relativ einfach zu realisieren.

Am einfachsten dürfte es sich mit der Entwicklung der Krankentransportstruktur verhalten. Der Rückbau der überflüssigen Krankenhauslandschaft dürfte so viele Milliarden freisetzen, dass die zusätzliche Schaffung eines Patienten-Transport-Systems, vom Patiententaxi über den Rettungswagen bis hin zu nachtflugfähigen Hubschraubern, kein unüberwindliches Problem darstellen dürfte.

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Großbaustellen seit 40 Jahren aufgetürmt

Der gigantische Berg an Großbaustellen, so auch im Straßenbau, bei der Deutschen Bahn, der Landwirtschaft, der Migrationspolitik und ganz schrecklich im Bildungssystem (und das sind nur die sichtbarsten) hat sich seit mindestens 40 Jahren aufgetürmt. Und für die zeichnete, unterbrochen nur von sieben Jahren rot-grüner Koalition, die konservative Mitte verantwortlich. Konserviert wurden im wesentlichen die Probleme, die sich jetzt zu Riesenbaustellen auftürmen, die Demokratie gefährden und die „arme Ampel“ zu zermalmen drohen.

Dienstag, 30. Januar 2024 | Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey