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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Sterbehilfe - ein extrem komplexes Thema

Der Mensch ist das einzige Tier, das sich der Endlichkeit des Lebens bewusst ist. Deshalb machen wir uns Gedanken darüber, wie wir sterben möchten. Mir, wie wohl den meisten anderen auch, wäre am liebsten, dereinst mit angenehmen Träumen einzuschlafen und nicht wieder aufzuwachen. Vielen ist aber ein sanfter Tod nicht vergönnt. Allein das Wissen um eine todbringende Krankheit lässt manchen Betroffenen, aber auch seine Angehörigen verzweifeln.

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In kaum einen Forschungsbereich fließt soviel Geld wie in die Bereiche, die sich mit einer Verlängerung des Lebens befassen. Für den letzten Funken Hoffnung auf Überleben ist mancher bereit, Haus und Hof und auch seine Würde zu verkaufen. Sterben ist aber ein sehr intimer Vorgang. Wenn ich weiß, dass ich sterben muss, möchte ich schmerzfrei, bewusst und gemeinsam mit den Menschen, die ich liebe, den Tod erwarten. Mich, wie viele andere auch, gruselt es bei dem Gedanken, dass diese Intimität von einem ehrgeizigen Medizinapparat gestört wird. In der Zeit meiner Tätigkeit im Krankenhaus war es eine manchmal bedrückende Erkenntnis, dass wir Ärzte im Automatismus des Klinikbetriebes uns oft zu spät und zu inkonsequent aus der Würde des Sterbens zurückzogen und den wichtigeren Personen in dieser Zeit nicht den Raum gaben, den sie brauchten.

Nicht selten wurden aber wurden Patienten in der Endphase ihres Lebens auch zum Sterben ins Krankenhaus abgeschoben, meist eher aus Hilflosigkeit oder Bequemlichkeit. Diese Hilflosigkeit war häufig der wichtigste Grund für die Verzweiflung der Hinterbliebenen. In meiner Praxis habe ich wenn immer möglich versucht, die Sterbenden in ihrer Familie zu belassen und die nächsten Angehörigen darin zu unterweisen, den Patienten die nötigen Medikamente zu verabreichen, wenn erforderlich auch Morphium. Ich habe Angehörige erlebt, die bei aller Trauer so die Intimität des Sterbens sogar als beglückend erlebt haben. Allerdings hätte mir dieses Vorgehen ohne weiteres als Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ausgelegt werden können.

Damals gab es kaum Pflegedienste. Über Patientenverfügungen, Palliativmedizin oder Hospize, wie wir sie heute kennen, hat damals noch keiner nachgedacht. Überhaupt war die Rechtslage absolut unbefriedigend - um nicht zu sagen katastrophal. Letztlich sind es die Defizite der Rechtslage, die zu den millionenfachen Qualen angesichts des nahenden Todes geführt haben.

Seit Jahrzehnten ist das Thema Sterbehilfe in den Medien und in der Politik präsent. Schon vor 30 Jahren lag dem Bundestag ein „Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe“ vor. Dennoch gib es in Deutschland bis zum heutigen Tag kein spezielles Gesetz, welches das Sterben durch Sterbehilfe regelt. Kaum ein Problem wird derart kontrovers mit teils extrem divergierenden Standpunkten diskutiert. So wichtig es ist, in dieser Frage Rechtssicherheit zu schaffen, so schwierig ist es auch, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die dieser Problematik gerecht wird.

Da müssen zum einen Juristen etwas in ein Gesetz gießen, was eigentlich nur Ärzte beurteilen können. Andrerseits sollen und wollen verschiedenste Gruppierunge - Religionsvertreter und Atheisten, Fachleute, wie Ärzte, Juristen oder Patientenvertreter - mitreden, wie solch ein Gesetz aussehen soll. Am Ende sollen Politiker, die gewählt werden wollen, darüber entscheiden. In kaum einer Frage vermischen sich Idealismus, Ethik und Sachverstand einerseits, Geschäftemacherei, Wichtigtuerei und Klugschwätzerei andrerseits so sehr wie beim Thema Sterbehilfe.

Dabei ist schon die Definition des Begriffes extrem schwierig. Was ist aktive, was passive, was indirekte Sterbehilfe? Wo hört das eine auf, wo fängt das andere an? Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet Sterbehilfe nicht nur, den Tod eines Menschen nicht hinauszuzögern, indem man lebensverlängernde Maßnahmen unterlässt oder abbricht. Dazu gehört auch, den Tod durch fachkundige Behandlungen zu erleichtern. Schlussendlich ist dazu auch das Herbeiführen des Todes auf Wunsch eines Sterbewilligen zu rechnen. Wo die rechtliche Problematik bei bewusst Handelnden noch relativ einfach zu lösen ist, wird sie bei Bewusstseinsgestörten wie Alzheimer-Kranken oder Bewusstlosen im Wachkoma extrem schwierig. Es gibt sogar Erkrankungen, bei denen eine vollständigen Kommunikations-Unfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein vorliegt. Wie soll dann der Wunsch des Betroffenen ermittelt werden?

Zur Klarheit erlaube ich mir deshalb, den Versuch zu unternehmen, die Begriffe zu erklären:

Aktive Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist die gezielte Herbeiführung des Todes durch Handeln auf Grund des Wunsches einer Person. Eine Tötung ohne Vorliegen einer Willensäußerung des Betroffenen wird allgemein nicht als aktive Sterbehilfe, sondern sogar als Totschlag oder Mord aufgefasst. Aktive Sterbehilfe ist weltweit nur in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und im US-Bundesstaat Oregon erlaubt. Ganz nahe bei der Aktiven Sterbehilfe liegt die Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid). Eine Beihilfe zum Selbstmord liegt vor, wenn jemand ein Mittel zur Selbsttötung bereitstellt. Von einem Selbstmord kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn der Todeswillige den letzten Schritt selbst tut. Die Juristen bezeichnen das als so genannte Tatherrschaft über das Geschehen.

Normalerweise ist die Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland nicht strafbar. Es gibt aber auch Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Straflosigkeit. Unter Umständen kommt auch eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht, denn die Rechtsprechung interpretiert den Suizidversuch generell als „Unglücksfall“. Sofern für den Suizid Arzneimittel zur Verfügung gestellt werden, kann auch ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz vorliegen. Nimmt jedoch eine andere Person die letzte todbringende Handlung vor, spricht man nicht mehr von aktiver Sterbehilfe oder Beihilfe zur Selbsttötung. In diesem Falle liegt der Straftatbestand der „Tötung auf Verlangen“ vor. Dieser Straftatbestand sieht eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren vor. Die ethisch-moralische Beurteilung des Verhaltens ist dabei von der strafrechtlichen Sicht deutlich zu trennen.

Passive Sterbehilfe

Mit passiver Sterbehilfe meint man die Einschränkung von lebenserhaltenden Maßnahmen. Eindeutiger wäre, von „Sterben lassen“ zu sprechen. Nach der herrschenden Gesetzeslage ist auch hier der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung nicht auszuschließen.

Indirekte Sterbehilfe

Im Gegensatz zur passiven Sterbehilfe wird bei der indirekten Sterbehilfe die Beschleunigung des Todeseintritts als Nebenwirkung einer Medikamentengabe in Kauf genommen, zum Beispiel bei einer gezielten Schmerzbekämpfung. Die Verabreichung starker Schmerzmittel wie Morphin im Rahmen der Palliativmedizin erfüllt in der Regel dieses Kriterium. Obwohl die Palliativmedizin in Deutschland längst etabliert ist, ist dieser Fall in der Strafrechtswissenschaft in Deutschland diskutiert worden. Die Gelehrten sind jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Arzt hier straffrei bleiben muss. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann sogar die Nichtverabreichung notwendiger Schmerzmittel mit der Begründung, keinen vorzeitigen Tod herbeiführen zu wollen, als Körperverletzung oder unterlassene Hilfeleistung bestraft werden. Auch wenn die juristische Diskussion zu diesem Thema manchen Palliativmedizinern als realitätsferne und eher akademische Debatte erscheinen mag, erscheint mir hier eine klare gesetzliche Regelung anstatt einer mehr oder minder unkalkulierbaren Rechtsprechung auf dem Boden des allgemeinen Strafrechts unverzichtbar

Kaum ein Rechtsproblem ist in den europäischen Staaten so unterschiedlich geregelt wie die Sterbehilfe. Während die Benelux-Staaten das Problem rechtlich mit sehr liberalen Gesetzen geregelt haben, herrschen in fast allen anderen Ländern mehr oder weniger ausgeprägte Verbote vor. Dabei reicht die Bandbreite vom Verbot jeder Form einer Sterbehilfe wie in Polen bis zu relativ weitreichender Toleranz in den skandinavischen Ländern. Zwischen den Extrempositionen Benelux einerseits und Polen andrerseits herrscht üblicherweise eine unklare Gesetzeslage, die dazu führt, dass jeder Einzelfall letztlich dem Ermessen eines Gerichts ausgesetzt ist.

Ein moderner Staat mit einem zeitgemäßen Rechtssystem kann dieses schwierige Problem nicht dem Diktat tradierter Moralvorstellungen aussetzen. An die Stelle von religiösen Geboten haben Gesetze zu treten, die einen klaren Rahmen für die Rechtsprechung vorgeben. Wie dieses Gesetz letztendlich aussieht, muss sich im Rahmen einer gesellschaftlichen und politischen Diskussion entscheiden.

Keine Berufsgruppe ist in der Frage der Sterbehilfe so intensiv involviert wie die der Ärzte. Es ist fast immer ein Arzt, der den Hebel von Leben auf Tod umlegt. Deshalb sind für mich als Arzt zwei Ansprüche an ein wie auch immer verfasstes Gesetz unverzichtbar:

Zum einen muss die Gesetzeslage einen eindeutigen und klaren Handlungsrahmen setzen. Ich muss wissen, was ich darf und was nicht. Wenn man sieht, wie in der Vergangenheit unterschiedlichste Urteile zu ähnlichen Sachverhalten gesprochen wurden, ist Rechtssicherheit für den behandelnden Arzt ein schöner Traum. Es ist unerträglich, im Zweifelsfall auf ein Gerichtsurteil angewiesen zu sein, denn vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Nur auf den Zustand mangelnder Rechtssicherheit ist es zurück zu führen, wenn Patientenverfügungen nicht ausreichend respektiert werden oder missverständlich verfasst sind.

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Zum zweiten darf kein Arzt und niemand sonst zu etwas gezwungen werden, was er vor seinem subjektiven und individuellen Gewissen nicht verantworten möchte. Nicht zuletzt ist auch jeder Einzelne gefragt. So wie man ein Testament verfasst, sollte auch eine Patientenverfügung ein normaler Vorgang werden. Wenn eine eindeutige und rechtssichere Patientenverfügung vorliegt, erübrigt sich auch nach der heutigen Gesetzeslage fast jeder Rechtskonflikt.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
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