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Miau, der Bauch tut weh.

Uropas Hausarzt verschwindet

Vor ein paar Tagen kam im Fernsehen mal wieder ein Beitrag über die hausärztliche Versorgung auf dem Land. Gezeigt wurde zum einen der vergebliche Versuch einer älteren Ärztin aus dem ländlichen Brandenburg, ihre Praxis an den Mann oder gar an die Frau zu bringen. Sie hatte sogar eine Interessentin, eine junge Kollegin mit Familie. Die allerdings bevorzugte schlussendlich ein Angestelltendasein in einer größeren Gemeinschaftspraxis. Zum anderen gezeigt wurde der Versuch, die ländliche Bevölkerung im nördlichen Hessen mit einer mobilen Arztpraxis, genannt Medibus zu versorgen. Die Akzeptanz seitens der Bevölkerung ist offensichtlich ziemlich mäßig.

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Die beiden Beispiele zeigen ein Dilemma auf. Einerseits ist mit den derzeitigen Organisationsstrukturen – Einzelpraxis in der Einöde – kein Hund und kaum ein Arzt mehr hinter dem Ofen hervorzulocken. Andrerseits werden alternative Angebote einer mobilen Arztpraxis nicht angenommen, weil der gewohnte Arzt oder das bekannte Wartezimmer nicht zur Verfügung stehen.

Der Landarzt alter Prägung war nicht nur der Beichtvater seiner Patienten, sondern in nicht unerheblichen Anteilen auch ihr Sklave. Das findet in der Rechtslage bis heute seinen Niederschlag. Danach muss jeder Arzt, auch der Facharzt, grundsätzlich rund um die Uhr erreichbar sein. Was in städtischen Umfeld noch durch Vertretungsregelungen organisierbar ist, kann auf dem Land durchaus zu einer sozialen Falle werden, aus der es kein Entrinnen gibt.

Auch eine mobile Arztpraxis hält nicht den ständig verfügbaren Beichtstuhl oder das Wartezimmer als Diskussionsforum zur Lösung regionaler und weltpolitischer Probleme vor. Letztlich wird es auch unter den jungen Ärzten zu wenige mit der nötigen Aussteigermentalität geben, um all die kleinen hausärztlichen Tante-Emma-Läden auf dem Lande oder in sozialen Brennpunkten zu besetzen. Daran ändert auch das Seelenkäuferprogramm unseres NRW-Gesundheitsministers nichts. Ich würde angehenden Medizinern und auch niederlassungswilligen jungen Kollegen dringend raten, sich nicht auf ein fossiles Versorgungsmodell einzulassen. Es ist nicht zu erwarten, dass sie seitens regionaler und überregionaler politischer Akteure bei den sich garantiert einstellenden sozialen Problemen mit irgendeiner Hilfe rechnen können. Ein Häuschen mit Garten in einem kleinen Dorf mag als Ferienhaus attraktiv sein. Als Lebensmittelpunkt einer Arztfamilie mit Ansprüchen an Bildung und Kultur ist das weniger passend.

Das Dilemma zeigt vor allem ein Problem auf: Es geht, nicht nur auf dem Land, nur teilweise um medizinische Versorgung. Es geht in hohem Maße um Sozialkontakte. Auf die Politik, die Krankenkassen, aber auch die Ärzteschaft wird die Aufgabe zukommen, dem Volk klarzumachen, dass das Gesundheitswesens heutiger Provenienz dies nicht bieten kann. Ein durch Zwangsbeiträge finanziertes Gesundheitssystem ist für die Behandlung von Krankheiten zuständig – nicht für Unterhaltung und Freizeitgestaltung. Und man wird auch klarstellen müssen, dass diese Entwicklung irreversibel ist.

Leider scheint sich keiner der beteiligten Akteure dieser Situation wirklich bewusst zu sein. Weder von der Politik noch von Ärztekammern oder kassenärztlichen Vereinigungen kommt auch nur der Ansatz einer praktikablen Idee zur Lösung des Problems. Sie stehen vielmehr ratlos vor der sich abzeichnenden hausärztlichen Versorgungskatastrophe. Die Krankenkassen scheinen nach meinem Eindruck die Situation sogar mit einer klammheimlichen Freude zu beobachten.

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Sinken deren Kosten doch mit jedem Verschwinden einer Arztpraxis. Wenn wirtschaftlich pfiffige Ärzte Praxissitze auf dem Land oder in Problemvierteln der Ballungsräume aufkaufen, um sie in Großpraxen am Rande der versorgungsschwachen Gebiete zu integrieren, werden sie von den Zulassungsausschüssen eher schikaniert als dass man ihnen Anreize bietet, clevere Modelle zur Versorgung der nunmehr verwaisten Regionen zu entwickeln. Die ärztliche Einzelpraxis, nicht nur im hausärztlichen, auch im fachärztlichen Bereich, liegt in den letzten Zügen. Auf dem Land ist sie häufig schon tot.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey