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Die Herner SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering.

Michelle Müntefering über gläserne Decken und wie man sie durchbricht

Serie zum Weltfrauentag: „Frauen ins Scheinwerferlicht“

Anlässlich des nahenden Weltfrauentages am Freitag, 8. März 2024, hat halloherne-Redakteurin Julia Blesgen mit verschiedenen Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen gesprochen. Dabei ging es unter anderem über ihren Werdegang, Herausforderungen, denen sie sich stellen mussten und was sie ihrem jüngeren Ich oder anderen jungen Mädchen nun mit auf den Weg geben würden. Alle weiteren Teile der Serie sind auf halloherne zu finden.

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Dieses Mal berichtet die Herner SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering über ihren Werdegang und warum es so wichtig ist, dass sich auch Frauen politisch engagieren. Seit 2013 sitzt sie im Bundestag und war außerdem die erste Staatsministerin der SPD im Auswärtigen Amt.

Frau Müntefering, nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2023 liegt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag in der aktuellen Wahlperiode bei gut 35 Prozent. Da ist also noch Luft nach oben. Sehen Sie dies ähnlich oder glauben Sie, wir sind auf einem guten Weg? Wie glauben Sie, kann man junge Frauen ermutigen, sich politisch zu engagieren?

Michelle Müntefering (MM): Der Fortschritt ist eine Schnecke. Wir sind längst noch nicht da, wo wir sein könnten. Frauen hatten und haben es schwerer in der Arbeitswelt, auch im politischen Geschäft, als Männer. Die gläserne Decke ist kein Märchen, sondern etwas sehr reales. Wenn wir allerdings die letzen rund 100 Jahre ansehen, dann haben wir zum Glück einiges geschafft: Vom Wahlrecht für Frauen bis zur ersten Bundeskanzlerin - das war aber ein steiniger Weg. Zum Glück gab es immer auch starke Frauen, die sich nicht haben entmutigen lassen. Das ist auch meine Botschaft an eine junge Generation: Seid mutig und selbstbewusst und engagiert euch. Und vor allem: Haltet auch als Frauen zusammen. Dann kommen wir weiter. Stück für Stück.

Sie selbst haben sich schon früh kommunalpolitisch engagiert. Wie kamen Sie zur SPD und wann wurde Ihnen klar, dass Sie sich auch über Herne hinaus politisch engagieren wollen?

MM: Gerd Bollmann, mein Vorgänger im Amt, hat mich eines Tages gefragt, ob ich mir vorstellen kann, seine Nachfolge anzutreten. Bei mir war es so, dass ich die SPD und die Kommunalpolitik für mich entdeckt hatte und das, was diese politische Kraft wirklich bedeutet - nämlich, dass Sozialdemokratie das Beste für das Leben aller Menschen erreichen will: Bildungschancen, die nicht vom Elternhaus abhängen, Wohnraum, den sich nicht nur Reiche leisten können. Und einen Staat, der Sicherheit gibt, für junge und alte Menschen. Freiheit und Gerechtigkeit und Solidarität sind die Grundwerte der SPD und die beginnen sehr konkret, hier bei uns vor Ort. Konsequent gedacht sind sie aber immer auch international. Wir können nur gut leben, wenn wir als Menschheit auf diesem Planeten miteinander klar kommen, in Europa und der Welt, ohne dass der Stärkere den Schwächeren unterdrückt. Das hat mich überzeugt und fasziniert, dabei wollte ich mithelfen. Das gilt bis heute.

Können Sie sich noch an Ihre Anfangszeit im Bundestag erinnern? Vor welchen Herausforderungen standen Sie und wie haben Sie sie gemeistert?

MM: Als ich vor fast elf Jahren das erste Mal gewählt wurde, hatte ich ja schon im Bundestag gearbeitet und während die anderen neuen Abgeordneten sich auf den langen Fluren verlaufen haben, hatte ich da zumindest einen Vorsprung. Was eine Herausforderung war: Meinen Mann, der auch viele Jahrzehnte in der Politik aktiv war, kannten viele. Ich habe mir also bewusst Aufgabenbereiche gesucht, in denen er nicht tätig war. So kam ich dann in die Außenpolitik. Heute merken wir alle sehr stark, wie die Entwicklungen in der Welt uns beeinflussen. Übrigens war diese Entscheidung dann auch wieder etwas Besonderes: Viele junge Frauen gab es in der Außenpolitik damals nämlich nicht.

Michelle Müntefering war die erste Staatsministerin der SPD im Auswärtigen Amt.

Sie sind seit 2013 im Bundestag und waren Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt. Gab es Situationen, in denen Sie das Gefühl hatten, sich mehr beweisen zu müssen oder Ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, weil Sie eine Frau sind?

MM: Wir sehen heute doch wieder, dass manche die Errungenschaften für die Gleichstellung von Mann und Frau sogar wieder zurückdrehen wollen. Stellen Sie sich vor: Ich war die erste Staatsministerin der SPD im Auswärtigen Amt in der ganzen Geschichte. Ellinor von Puttkamer war die erste Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, sie wurde 1969 durch den damaligen Außenminister Willy Brandt ernannt. Zuvor bescheinigte ihr das Auswärtige Amt ganz offiziell: „Sie hat einen durchaus männlichen Verstand.“ Das sollte wohl ein Lob sein. Mit Verlaub, an diesem „männlichen Verstand“ habe ich, nicht nur mit Blick auf so manche Staatenlenker der Welt, grundsätzlich meine Zweifel. Bis heute sind Frauen ganz besonders in der Außenpolitik nicht selbstverständlich, aber ich habe Hoffnung, dass sich auch das noch ändern lässt.

Wir erleben es immer wieder, dass Frauen in Spitzenämtern immer noch nach ihrem Aussehen, Alter oder mit wem sie liiert sind, beurteilt werden. Haben Sie im Bereich dieser Vorurteile schon selbst Erfahrungen machen müssen? Wenn ja, ist es auch etwas, was Sie persönlich ärgert?

MM: Es ärgert mich, wenn über Frauen anders berichtet wird, als über Männer und noch schlimmer, wenn es abfällig wird. Das, was Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, widerfährt, ist tatsächlich teilweise menschenfeindlich. Und ja: Das habe ich selber auch bereits erlebt. Seit die AfD im Bundestag ist, haben persönliche Anfeindungen noch einmal deutlich zugenommen. Deswegen müssen wir auch alle sensibel sein. Erst recht, wenn man bedenkt, dass wir ja nicht weniger Frauen brauchen, die sich engagieren wollen, sondern mehr.

In jüngster Zeit sind vermehrt Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, Opfer von Anfeindungen und Hass im Netz geworden. Haben Sie dies auch schon erleben müssen? Falls ja, wie gehen Sie damit um?

MM: Ja. Es ist tatsächlich so, das hat eine neue Studie gezielt untersucht: Die digitale Gewalt im Netz ist gewaltig wie nie - und auch besonders Frauen sind dem ausgesetzt. Gezielte Desinformation ist außerdem seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine enorm angestiegen, ebenso wie antisemitische Übergriffe. Die SPD hat bereits vergangenes Jahr einen Leitfaden für alle herausgegeben, der helfen kann, mit so etwas umzugehen. Da kann ich empfehlen, einmal reinzuschauen. Aber es reicht nicht, einen persönlichen Umgang zu finden. Gewalt ist Gewalt - auch digital im Netz - und etwas anderes, als Meinungsfreiheit. Deswegen haben auch die digitalen Plattformen da eine Verantwortung. Wir müssen sie in die Pflicht nehmen, so dass die digitalen Algorithmen den Hass nicht noch weiter hochspülen und anheizen.

Wenn Sie auf ihre bisherige politische Karriere zurückblicken, was macht Sie besonders stolz? Was würden Sie vielleicht heute anders machen und welche Ziele möchten Sie noch erreichen?

MM: Ich bin froh, eine der ersten Frauen der Herner SPD im Bundestag sein zu können - vor mir gab es Berta Schulz, die noch gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hat - und allerlei Männer. Von 18 SPD-Bundestagsabgeordneten sind wir heute gerade mal drei Frauen aus dem gesamten Ruhrgebiet. Das ist deutlich zu wenig. Und wie so viele Frauen, habe ich dieses Manko erst nach und nach als junge Frau entdeckt. Umso mehr möchte ich heute auch junge Menschen erreichen und für Politik begeistern. Wir brauchen die kommende Generation für die Demokratie - das ist noch viel wichtiger, als alle persönlichen Ziele.

Eine letzte Frage zum Schluss. Was würden Sie der jüngeren Michelle raten?

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MM: Vielleicht: Sei geduldig. Mit anderen, aber auch mit dir selbst.

| Autor: Julia Blesgen
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