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Cool Cats zur Organspende.

Parlamentarische Augenwischerei

Jetzt haben sie sich also bequemt, unsere Abgeordneten und haben ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet, die so genannte Entscheidungslösung. Ich weiß nicht, wie viele Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan in der Zeit, die der Bundestag sich genommen hat, um zu einer Entscheidung zu kommen, gestorben sind. Jedenfalls waren es zu viele, viel zu viele.

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Unter der bisherigen Rechtslage konnten nur dann Organe und Gewebe entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt hat. Alternativ wurden die nächsten Angehörigen gebeten, im Sinn der verstorbenen Person über eine Organ- und Gewebespende zu entscheiden. Einen Zwang zur Entscheidung gab es nicht. Das war eine höchst schwammige Situation und für alle lebenden Beteiligten, Angehörige wie Ärzte hochgradig belastend.

Bei der alternativ vorgeschlagenen Widerspruchslösung muss die verstorbene Person einer Organspende zu Lebzeiten ausdrücklich widersprechen, zum Beispiel in einem Widerspruchsregister, sonst können Organe zur Transplantation entnommen werden. Die häufig verbreitete Meinung, die Verunsicherung in der Bevölkerung, verstärkt durch die Transplantationsskandale früherer Jahre sei die einzige Ursache der geringen Zahl an Organspendern, ist definitiv falsch. Im Vergleich zu vielen Ländern Europas war die – erklärte – Spendebereitschaft in Deutschland immer schon miserabel. Tatsächlich ist die Mehrheit der Bevölkerung durchaus bereit, im Fall des Hirntodes Organe zu spenden. Die würden ansonsten nämlich nur den Würmern nützen oder im Krematorium verbrannt, anstatt einem Schwerkranken ein Weiterleben zu ermöglichen. Es war bislang eher die natürliche Trägheit unserer Spezies, die das Ausfüllen eines Organspenderausweises (oder auch mehrerer) und das leicht auffindbare Deponieren verhinderte. Der Bürokratie-Aufwand einer Widerspruchslösung wäre ebenso überschaubar gewesen wie die Zumutung für überzeugte Gegner einer Organspende, sich in das Widerspruchsregister einzutragen. In der vorgeschlagenen Version hatten die Angehörigen sogar das Recht, einer Organentnahme bei der verstorbenen Person zu widersprechen. Bislang konnten nur dann Organe und Gewebe entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organspende ausdrücklich zugestimmt hat. Alternativ mussten die nächsten Angehörigen gebeten werden, im Sinn der verstorbenen Person über eine Organ- und Gewebespende zu entscheiden. Danach zu fragen war für die beteiligten Ärzte immer eine besondere Herausforderung an Takt und Einfühlungsvermögen. Ebenso war die Entscheidung der trauernden Angehörigen für oder gegen eine Organentnahme eine schwere psychische Belastung. Die Widerspruchslösung wäre nach meiner Ansicht eine saubere Lösung mit der größtmöglichen emotionalen Entlastung für alle lebenden Beteiligten, Angehörige wie Ärzte, gewesen.

Jetzt hat sich der Gesetzgeber nur zur Entscheidungslösung durchringen können. Gegenüber der bisherigen Regelung sollen so viele Menschen wie möglich regelmäßig mit neutralen und ergebnis-offenen Informationen berieselt werden, damit sie eine sichere Entscheidung für oder gegen die Organ- und Gewebespende treffen können. Geplant ist die Einbindung von Hausärzten, Einwohnermeldeämtern und Krankenkassen. Ja, es soll auch die Möglichkeit geben, sich online vom privaten Rechner in ein Spender-Register einzutragen. Wie da der Missbrauch verhindert werden soll, dazu hat man offenbar noch keine echte Idee. Statt einer einfachen, ethisch kaum zu kritisierenden Lösung, die relativ zeitnah eine deutliche Verbesserung gebracht hätte, die auch in den meisten europäischen Ländern praktiziert und von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung favorisiert wird, hat man wieder mal ein bürokratisches Monstrum geschaffen.

Ehrlich gesagt, ich halte die neue Regelung für eine realitätsferne Augenwischerei. Die Zahl der verfügbaren Spenderorgane wird sich in absehbarer Zeit nicht einen Deut verbessern. Daran wird auch die geplante Präzisierung des Verfahrens in den Kliniken nichts ändern. Hat die bisherige Schwerfälligkeit des Parlamentes schon viele Leben gekostet, werden es bis zum – höchst fraglichen – Wirkungseintritt des neuen Gesetzes noch viel mehr sein. Aber Tote entscheiden ja keine Wahlen.

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| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey