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Eine Kolumne von Hans-Jürgen Jaworski

Nicht vom Brot allein

In diesem Jahr 2021 ist für mich der Monat März ein besonderer Monat, und der 13. März ist dabei eine Art Gedenktag; denn genau am 13. März vor einem Jahr fand die letzte Vernissage von „Kunst und Kultur im Kirchenkreis Herne“ statt - und zwar wie üblich in der Christuskirche in Wanne-Mitte.

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Die Tage vorher waren schon recht spannend - wir erinnern uns: Ende Januar 2020 gab es den ersten Corona-Fall in Deutschland, Ende Februar 2020 die ersten nachgewiesenen Fälle in NRW, und dazu wurden uns die schrecklichen Bilder aus Bergamo übermittelt. Aber uns wurde uns in jenen Tagen lediglich geraten, Abstand zu halten und uns immer wieder gründlich die Hände zu waschen.

In den Tagen vor dem 13. März 2020 hatte noch die landeskirchliche Visitation im Ev. Kirchenkreis Herne stattgefunden. Dazu gehörten einige Treffen mit den Visitatoren in den Gemeinden und den Fachbereichen und auch ein Treffen mit Kulturleuten im Literaturhaus Herne: immer noch ohne Mundschutz, jedoch mit kontaktloser Begrüßung. Bei der großen Abschlussveranstaltung der Visitation im Mondpalast zwei Tage vor dem denkwürdigen Freitag, den 13., (Ausgerechnet der 13! Natürlich bin ich nicht abergläubig) gab es gute Musik und ein ebensolches Buffet, aber immer noch keine Masken. Dann, innerhalb von zwei Tagen änderte sich alles schlagartig: Die ersten Todesfälle in unserem Land wurden bekannt.

Mir wurde geraten, die Vernissage ausfallen zu lassen, zumindest dürfte es jetzt kein Buffet geben, auch sollte ein Schild angebracht werden mit klaren Anweisungen zum Abstand halten. Maskentragen war immer noch nicht gefordert. So fand die Vernissage statt, gegen den plötzlichen Trend (es gab noch keine Vorschriften des Gesetzgebers) mit großem Hinweisschild, mit Getränken, jedoch ohne Essen und auch ohne Musik, die gar nicht erst erschienen war. Übrig geblieben waren immerhin noch 40-50 Besucher und ebenso viele Exponate und meine auf die neue Situation veränderte Einführung als Zugabe.

Die Vernissage in der Christuskirche.

Was mich ein wenig wunderte, war die Tatsache, dass die schwierigen Umstände der Vernissage keinen Abbruch getan hatten. Die Atmosphäre war sehr dicht und konzentriert, aber dennoch irgendwie gelöst. Vielleicht gerade deshalb, weil das übliche Beiwerk einer Vernissage weggefallen war. Nur noch die Kunstwerke und ihre Betrachter. Doch vor allem lag es wohl am Thema der Ausstellung: „Stichwort: Glaube“. Denn gerade in Krisenzeiten, in der Erfahrung von Gefährdungen bis zur Vergänglichkeit fragen wir eher nach dem, was bleibt, woran wir glauben und worauf wir vertrauen können, das heißt letztlich danach, worauf wir uns im Leben und Sterben verlassen können. Auf einmal, völlig ungeplant, gewinnt das Thema „Stichwort: Glaube“ (und damit auch die nachfolgenden Ausstellungen „Stichwort: Liebe“ und „Stichwort: Hoffnung“) eine neue existenzielle Aktualität.

Noch zwei Tage war die Christuskirche geöffnet, dann wurde auch sie geschlossen, keineswegs auf Befehl von oben, auch nicht aufgrund der Meinung, dass man sich in der Kirche hätte anstecken können, (das glaube ich immer noch nicht, auch nicht für die anderen Herner Orte der bildenden Kunst!), sondern einfach aus Solidarität.

Die Exponate blieben in der Kirche, das Werbebanner außen an der Kirche. Plötzliche Starre wie im Märchen von Dornröschen.

Aber im Mai 2020 ging es dann doch weiter. Jetzt aber nur mit Masken, Hand-und Flächendesinfektion und innerkirchlicher Verkehrsregelung, also nach „allen Regeln der Kunst“. Nur das Ergebnis war das gleiche: Bei bis zu 30 Meter Abstand konnte sich niemand von den höchstens fünf Besuchern zur selben Zeit anstecken.

Einen Monat später fand in den Flottmannhallen die Ausstellung „Mit Abstand“ statt. Der Abstand wurde quasi selbst zur Kunst. Eine tolle Idee. Ich habe die Ausstellung besucht, die einzige in dieser Zeit und habe sie genossen, auch deshalb, weil ich mir längst nicht mehr Kunst auf einem Monitor anschauen konnte. Aber auch dort war ich von der Aufsicht abgesehen, alleine. Das wäre schon ein Kunststück gewesen, mich bei mir selbst anzustecken.

Installation Monumentum.

Falls mich jetzt jemand missverstehen sollte: Ich betone hiermit ausdrücklich, dass ich nicht zu den sogenannten Querdenkern gehöre, die offensichtlich so heißen, weil das Brett vor ihren Köpfen eben quer liegt. Ich bin überhaupt nicht gegen einen Lockdown. Im Gegenteil: Ich fand ihn sogar oft zu inkonsequent. Aber man muss nicht Räume absperren, wo sich keiner anstecken kann - bei normalem Verhalten- und die vielleicht ein wenig dazu beitragen könnten, dass ein Lockdown besser zu ertragen wäre - auch wenn das in diesem Fall wohl nur auf Kunstfreunde zutrifft.

Es wäre doch schön gewesen, wenn man gerade in der schweren Zeit in einem anderen Raum als dem eigenen Wohnzimmer Kunst aus erster Hand hätte betrachten können. Aber da kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein. Es hängt ja letztlich davon ab, wie man die Frage beantwortet, was der Mensch wohl zum Leben braucht.

Der Mensch braucht Brot

Der Mensch braucht Brot. Da sind wir uns alle einig. Aber da gibt es in unseren Breitengraden auch keine Probleme. Vorratskammern und Kühlschränke sind voll, so dass nach Corona bestimmt Diät-Kurse und Abnehm-Gruppen überfüllt sein werden. Aber ist das genug: der volle Magen und die gute Verdauung? Nicht, wenn man bedenkt, dass der Mensch eine Einheit aus Leib, Seele und Geist darstellt.

Allerdings bin ich in der letzten Zeit dahingehend belehrt worden, dass der Mensch auch eine ordentliche Frisur haben muss, um würdevoll zu leben, weshalb die Friseurläden wieder öffnen durften. Also, wenn ich ehrlich sein soll: Das habe ich so noch nie in meinem Leben empfunden. Für mich hätten die Buchläden eher als die Friseurläden geöffnet sein sollen, weil ich ein gutes Buch einem ordentlichen Haarschnitt vorziehe, zumal mir meine Buchhändlerin längst nicht so nahekommt wie meine Friseurin, also infektionsmäßig. Aber da gibt es wohl verschiedene Sichtweisen: für die einen ist wichtig, was auf dem Kopf ist, für die anderen, was im Kopf ist. Für unsere politischen Entscheidungsträger ist offensichtlich das Erste wichtiger gewesen.

Die Ausstellung „Stichwort: Glaube“ ist später im November 2020 trotz des Lockdowns oder des Lockdowns light (ich weiß gar nicht mehr, was für einer es war) in der alten Dorfkirche in Schledehausen bei Osnabrück gezeigt worden. Das war kein Corona-Regelverstoß, weil diese Kirche aus dem 13. Jahrhundert sowieso jeden Tag vier Stunden geöffnet ist, mit oder ohne Corona; denn offene Kirchen sind eigentlich immer wichtig: Eben eine offene Kirche mit Kunst als besondere Zugabe für den Geist und für die Seele. Und das tat dem kleinen Ort und etlichen seiner Bewohner gerade in dieser Zeit gut.

'Der Mensch lebt nicht vom Brot allein…'

Apropos Kirche: Der Kirche müssten Lockdowns eigentlich schon seit ewigen Zeiten vertraut sein. Sie müsste so etwas wie eine Lockdown-Expertin sein; denn ihr Chef praktizierte einen 40-tägigen Lockdown in der Wüste. Völlig allein, ohne eine Menschenseele, ohne feste Nahrung. Daraus entwickelte dann im Laufe der Jahrhunderte das „Fußvolk“ die Fastenzeit, die mit der Karwoche endet. Aber das wissen wir ja, zumindest theoretisch. In dieser Zeit, also innerhalb der 40 Tage, wurde Jesus versucht, das heißt der Versucher wollte ihn von seinem Lockdown abbringen. Dabei spielte die Magenfrage eine große Rolle, was auf der Hand liegt, wenn man so viele Tage nichts isst. So sagt der Versucher dem Fastenden: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Man könnte sagen, der Versucher weiß, dass unser Schwachpunkt, also der Punkt unserer größten 'Versuchlichkeit', die alleinige Konzentration auf die Magenfrage ist. Aber Jesus antwortete, auch wenn höchst wahrscheinlich sein Magen gewaltig knurrte: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein…“

Ich glaube, das würden gerade in dieser Zeit viele unterstreichen. Wir brauchen mehr als geöffnete Lebensmittelläden. Wahrscheinlich auch die Kunst und die Kultur überhaupt, möglicherweise inklusive der Haarkunst. Aber Jesus antwortet weiter: “…sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes geht.“ Das würden wahrscheinlich nicht mehr sehr viele unterstreichen, einfach deshalb, weil sie gar nichts mit diesem Wort anfangen können. Das mag an ihnen selbst liegen oder an einer veränderten Zeit, aber möglicherweise auch mit an denen, die mit diesem Wort schon etwas anfangen können, weil sie wissen, dass es das Wort des Lebens ist, welches jedoch weitergesagt und als Glaube, Liebe und Hoffnung weitergegeben werden will, die aber immer wieder der Versuchung unterliegen, dass das Brot in allen Erscheinungsformen doch das Wichtigste sei.

Der Mensch braucht selbstverständlich das Brot. Deshalb sollen wir beten „unser tägliches Brot gib uns heute.“ Aber der Mensch braucht auch dieses Wort, das uns Glaube, Liebe und Hoffnung vermittelt, weil wir ansonsten trotz voller Mägen und gefüllter Vorratskammern vor die Hunde gehen.

Die Kirchen, in denen dieses Wort verkündigt wird, waren in den letzten Monaten meistens geschlossen. Es gab sehr interessante und gelungene Versuche, es digital rüberzubringen. Aber mir geht es wie bei den Ausstellungen: Ich kann mir kaum noch einen Gottesdienst auf Mattscheibe oder Monitor anschauen. Der Gottesdienst hat etwas mit Präsenz zu tun, der Präsenz Gottes und mit der Präsenz seiner Leute in seinem Haus.

Wo zwei oder drei...

In unseren Kirchen gibt es viel Platz und viel Luft zu atmen. Überlaufen sind unsere Kirchen auch nicht, gerade auch nicht zu Ostern, obwohl es das größte und wichtigste christliche Fest ist, und es gibt ausgeklügelte Hygiene-Konzepte, und die Menschen, die kommen werden, sind in der Regel sehr rücksichtsvoll. Das müsste absolut reichen- so wie im letzten Sommer (da war ich zum letzten Mal in einem sogenannten Präsenzgottesdienst). Doch wenn das alles nicht reichen sollte, dann sollte man unbedingt ein anderes Wort Jesu bedenken: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das könnte konkret bedeuten: Wenn der eine Gottesdienst zu groß sein sollte, dann eben viele kleine mit Zweien oder Dreien.

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Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein!

| Autor: Hans-Jürgen Jaworski