
Bühnen-Blockbuster 'Vier Piloten'
Neue Stadt, neue Schule, immer noch Pickel
„Neue Stadt, neue Schule, immer noch Pickel“: Eben noch Grüne Gesamtschule Ost mit dem Emblem eines weißen Kaninchens mit Möhre, nennt sich die neue Ausbildungsstätte der mit ihrer alleinerziehenden Mutter in die Provinz gezogenen Brüder Gabriel (beide Dominik Dos-Reis) und Sam (Marcel Jacqueline Gisdol) nun Wattenscheid High School.
So jedenfalls die zu Daueroptimismus neigende Schulleiterin aus dem Off (Stimme: Anna Drexler) am ersten Schultag nach den Sommerferien. Die Wand mit den nummerierten Schließfächern hat freilich ebenso wenig eine Auffrischung erfahren wie das vollgestellte Getränkelager, der Multimediaschrank oder das Sprungpferd und die anderen abgewetzten Turn-Gerätschaften. Von den Korridoren und Kursräumen ganz abgesehen, die so schmuddelig sind wie sechs Wochen zuvor.
Dollarzeichen in den Augen
Die ungleichen Zwillinge, die vorgeben, aus dem sonnigen Kalifornien in den freilich auch längst nicht mehr verrußten Ruhrpott gezogen zu sein, werden von Korbinian (Alexander Wertmann) durch die Schule geführt, einem auf den ersten Blick ziemlich miesepetrigen Goth-Kid. In der Sporthalle mit einem Videowürfel unter der Decke treffen sie auf den Mädchenschwarm Skip (Victor IJdens), der als Kapitän der erfolgreichen Curling-Schulmannschaft den selbstüberheblichen Macho heraushängen lässt.
Als die Schulleitung einen Wettbewerb für die beste Leistung einer Schüler-Arbeitsgemeinschaft mit sage und schreibe 100.000 Euro auslobt, haben Sam und Gabriel sogleich Dollarzeichen in den Augen. Die beiden Filmnerds wollen sich weder dem Debattierclub anschließen noch den Streitschlichtern oder gar den Queerflöten. Sie träumen von einer eigenen Serienproduktion und da käme das Preisgeld gerade recht zur Finanzierung einer „Pilot“ genannten ersten Folge, die potenzielle Geldgeber vom Projekt überzeugen soll.
Der Vampir in mir
Freilich muss eine AG aus vier Schülern bestehen. Es dauert eine Weile und höchste Überredungskunst, bis Korbinian und Skip das Quartett komplettieren, das in der alten Curlinghalle besagten Pilotstreifen drehen will. Doch nicht nur die „Amis“ sprühen geradezu vor Ideen, wie ein solcher Serienstart aussehen könnte, auch die Neuen im Bunde steuern Unkonventionelles bis Spektakuläres bei – vom ironisch-kitschigen Märchentrailer „Krone oben ohne“ bis hin zum professionell vor der Greenscreen-Wand aufgenommenen Horrorszene „Der Vampir in mir“.

Genug gespoilert, ob die Film-AG den Wettbewerb gewinnt, wird hier nicht verraten. Nur das: Mit „Vier Piloten“ ist dem Autor Till Wiebel in Zusammenarbeit mit der Drama Control des Jungen Schauspielhauses Bochum ein regelrechter Bühnen-Blockbuster gelungen. Eine schier atemlose Szenenfolge für alle ab dreizehn Jahren über Vorurteile und ihre Überwindung, über Verrat und Wiedergutmachung, über Solidarität und Freundschaft. Und die Erkenntnis, das es im wahren Leben keine Reset-Taste gibt.
Temporeiche Coming-of-Age-Geschichte
In der ungemein temporeich-dynamischen neunzigminütigen Inszenierung der Kasseler Regisseurin, Autorin und Performerin Juli Mahid Carly schlüpfen die vier Protagonisten, drei großartige Bochumer Ensemblemitglieder und der überragend bühnenpräsente nichtbinäre Schauspieler und Performer Marcel-Jacqueline Gisdol, in mehr als ein Dutzend Rollen.
Sie nehmen so das Publikum mit in eine äußerst humorvolle, den ernsten Hintergrund aber nie aus den Augen verlierende und dabei so leichtfüßig daherkommende Coming-of-Age-Geschichte, in der es auch um Identitätsfindung in einer Gesellschaft tradierter, erst allmählich in Frage gestellter Männlichkeitsbilder geht. Und um die Utopie einer Schule als sicherer Ort des vorurteils- wie des gewaltfreien Diskurses.
Zusatzvorstellung
„Vier Piloten“, ein Auftragswerk des Schauspielhauses Bochum für Menschen ab 13 Jahren, trägt den programmatischen Untertitel „Für alle Softies und die, die es werden wollen“. Die Stückentwicklung war nach der Uraufführungs-Premiere am 20. Dezember 2024 bis Ende Februar 2025 ausverkauft. Weshalb am Donnerstag, 20. Februar 2025, um 17 Uhr eine Zusatzvorstellung angesetzt worden ist, für die es noch wenige Karten gibt.
Die nächste „reguläre“ Familienvorstellung findet am Sonntag, 30. März 2025, um 19 Uhr im Theaterrevier des Schauspielhauses neben der „Zeche“ an der Prinz-Regent-Straße 50-60 im Süden Bochums statt, Karten ab sofort unter schauspielhausbochum.de oder Tel. 0234 – 33335555.
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- Donnerstag, 20. Februar 2025, um 17 Uhr
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- Sonntag, 30. März 2025, um 19 Uhr