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Kinofilm 'Midwives': Die Idylle täuscht: Archaische Zustände herrschen im Rakhaing-Staat im Westen Myanmars nicht nur bei der medizinischen Versorgung.

Empathische Doku aus Myanmar

Neu im Kino: Midwives

Phantastische Landschaftsaufnahmen von Soe Kyaw Htin Tun offenbaren die Schönheit eines uns weitgehend unbekannten Landes: der Rakhaing-Staat ist eine von 14 Regionen des südostasiatischen Landes Myanmar, das einst unter britischer Kolonialherrschaft Birma oder Burma hieß. Die überwiegende Mehrheit des Vielvölkerstaates von 52 Millionen Menschen, der doppelt so groß ist wie Deutschland, bilden die buddhistische Bamar. Zu den 135 verschiedenen ethnischen Gruppen gehören in der Region am Golf von Bengalen auch die muslimischen Rohingya, für die Vereinten Nationen eine der am meisten verfolgten Minderheiten weltweit.

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Schnitt. Die andere, archaische Seite der scheinbaren Idylle: Eine hochschwangere Frau wird von Familienangehörigen auf dem Fahrrad in eine „Klinik“ gebracht, die aus einer zugigen Wellblechbaracke besteht. Die hygienischen Verhältnisse in der einstigen Garage des Hauses der Inhaberin sind nach europäischem Maßstab unvorstellbar. Ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeiten betreibt die buddhistische Hebamme Hla die auch für Rohingya-Frauen offene Station. Mehr noch, mit Nyo Nyo bildet sie eine Muslima als Hebamme aus. Der für die dreimonatige klinische Ausbildung in der früheren Hauptstadt Rangun, dem heutigen Yangon, sowohl ein Visum als auch das Geld fehlt.

Kinofilm 'Midwives': Nyo Nyo und Hla zünden am Feiertag viele Kerzen an, um Buddha das Licht zu schenken.

In ihrem 92-minütigen Dokumentarfilm „Midwives“ begleitet die in Rakhine geborene, in Myanmar und Deutschland ausgebildete Snow Hnin Ei Hlaing die beiden so unterschiedlichen Frauen über sechs Jahre. Hla spricht arakanesisch, während die meisten Muslime arabischsprachig sind. Nyo Nyo darf keine buddhistischen Patientinnen behandeln, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auch mit Soldaten. Weil sich Hla nicht mehr in die Dörfer der Rohingya traut, müssen die muslimischen Frauen in die Station kommen – und dafür oft weite Strecken zurücklegen.

Weil muslimische Kinder keine staatlichen Schulen besuchen dürfen, hat Nyo Nyo neben der „Klinik“ eine provisorische Schule eingerichtet. Mit Unterricht in der arakanesischen Landessprache. „Ich bin nicht glücklich, eine Frau zu sein“ bekundet Hla, die von schönen Kleidern und städtischem Komfort träumt, während sie ihrem nur „Sir“ genannten Gatten, der selbst nicht arbeitet, das Mittagessen zubereitet. „Single sein ist am besten“ sagt Hlas Mutter in die Kamera. Die medizinische Station dient zugleich als Umschlagplatz für Nahrungsmittel und Lager für die Wassereis-Verkäufer, die mit dem Fahrrad in die umliegenden Dörfer radeln. Sie werden von der buddhistischen Mehrheitsgesellschaft als „Kalar“, als Farbige, bezeichnet: für die Regierung in der Retortenstadt Naypyidaw gibt es „keine Rasse der Rohingya“, sondern nur „illegale Einwanderer“.

Zeitsprung. Nyo Nyo, inzwischen Mutter von drei Kindern, hat sich selbständig gemacht. Und sich beim Ausbau einer vergleichsweise modernen „Klinik“ in Ziegelstein-Bauweise trotz Förderung durch die Europäische Union finanziell übernommen. Weshalb sie nun Reisfelder der Familie verpfänden muss. Ihr Mann arbeitet als Lehrer, sie eröffnet einen Gemischtwarenhandel als Ergänzung ihrer Hebammen-Tätigkeit: Viele Patientinnen können nicht sofort bezahlen. Als Hla ihre Freundin besucht, der sie zunächst böse war, ist sie stolz auf ihre einstige Schülerin. Die nun ein Smartphone besitzt über ihre in Rangun lebende Schwester. Nyo Nyos Tochter soll dort einmal zur Schule gehen und bei ihrer Tante wohnen, um ein besseres Leben zu haben…

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„Midwives“, das bemerkenswerte, weil höchst empathische Langfilmdebüt der Dokumentaristin Snow Hnin Ei Hlaings, ist am 24. Januar 2022 beim Sundance Film Festival im amerikanischen Bundesstaat Utah uraufgeführt und gleich mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden, anschließend auch in Austin und Prag. Der Deutschen Erstaufführung am 7. Mai 2022 Dokfilmfest München folgt nun der Kinostart am 26. Januar 2023. Bei uns im Revier leider nur zu sehen im Roxy in der Dortmunder City.

| Quelle: Pitt Herrmann