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Kinofilm-Intrige: Von Lehrer zu Schüler: Picquart (Jean Dujardin) und Dreyfus (Louis Garrel).

Roman Polanskis Venedig-Sieger

Neu im Kino: Intrige

Am 5. Januar 1895 wird der junge Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel) wegen Hochverrats in einer erniedrigenden Zeremonie degradiert und zu lebenslanger Haft auf die Teufelsinsel im Atlantik verbannt. Der Hauptmann und einzige Jude im 14. Artillerieregiment soll militärische Geheimnisse an den deutschen Erbfeind verraten haben. Einziges Indiz ist ein Brief, den eine Bedienstete aus der deutschen Botschaft herausgeschmuggelt hat

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Zeuge dieser spektakulären öffentlichen Entehrung vor Hunderten aufmarschierter Soldaten im Innenhof einer Kaserne und einer aufgestachelten Volksmasse hinter einem Metallgitterzaun, deren skandiertem Antisemitismus Dreyfus mehrfach „Ich bin unschuldig“ entgegen ruft, ist mit Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) ein wahrlich nicht als Philosemit bekannter Ermittler. Der gegenüber Freunden jedoch eingesteht, dass ein katholischer Offizier ein ordentliches juristisches Verfahren, das man dem Juden verweigert hat, bekommen hätte.

Kinofilm-Intrige: Pauline Monnier (Emmanuelle Seigner) mit ihrem Ehemann Philippe (Luca Barbareschi).

Als der an Syphilis erkrankte General Sandherr (Eric Ruf) abtreten muss, wird sein Schüler auf der Militärakademie, Picquart, als jüngster Offizier der Armee zu seinem Nachfolger als Leiter des Archivs ernannt. Das ihm, der sich bei seiner Einführung ins Amt für neue Methoden der Überwachung eingesetzt hat, reichlich verstaubt vorkommt – vom verschlafenen Torwärter über eine ihm von Sandherr persönlich übergebenen geheimen Kasse mit 48.000 Franc bis hin zu den verzogenen und daher nicht zu öffnenden Fenstern seines Büros.

Frische Luft täte gut, stattdessen muss sich Picquart mit seiner rechten Hand, Major Henry (Gregory Gadebois) herumschlagen, der Neuerungen von vornherein ablehnend gegenübersteht und sich selbst als heimlicher Archivchef sieht, der mit den Vorgesetzten des „Neuen“ auf bestem konspirativem Fuße steht. Zumal die es gar nicht goutieren, dass dem neuen Geheimdienstchef der Abteilung, die Dreyfus der angeblichen Spionage überführte, nun plötzlich Zweifel an dessen Schuld kommen. Denn offenbar geht der Verrat weiter und der Berliner Attaché warnt vor einem deutschen Spion in der französischen Armee.

Picquart hat Esterhazy (Laurent Natrella) im Verdacht und setzt Desvernine (Damien Bonnard) von der Security auf ihn an. In der Tat häufen sich die Indizien und Bertillon (Mathieu Amalric), der seinerzeit das graphologische Gutachten im Militärgerichtsverfahren gegen Dreyfus erstellt hat, gesteht Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage ein. Als sich auch noch das Material des Geheimdossiers Dreyfus, welches sich in Henrys Tresor befindet, als weithin unbrauchbar entpuppt, ja den Verdacht auf einen gewissen Debois lenkt, teilt Picquart seine Zweifel seinem Vorgesetzten mit. Doch der Geheimdienstchef General Gonse (Herve Pierre) befiehlt, nicht weiter am Dreyfus-Fall zu rühren.

Als er entgegen des Befehls weiter ermittelt, wird Picquart kaltgestellt und auf eine Inspektionsreise geschickt, die ihn durch diverse Provinzen bis nach Afrika führt. Durch seine mit dem einflussreichen Philippe Monnier (Luca Barbareschi) verheiratete Geliebte Pauline (Emmanuelle Seigner) erpressbar gemachte Offizier findet bei seiner Rückkehr in Paris eine verwüstete Wohnung vor. Er wird unter dem Vorwand, Teil einer jüdischen Verschwörung zu sein, verhaftet. Der berühmte Schriftsteller Emile Zola (Andre Marcon) und die Tageszeitung „L'Aurore“ nehmen sich seines Falls an: In einem Leitartikel unter der Überschrift „J´accuse“ („Ich klage an“) wird das skandalöse Verhalten führender Militärs öffentlich gemacht. Was auch Zola eine Gefängnisstrafe einbringt. Aber nun ist die Affäre Dreyfus in der Welt. Sie kann nicht länger verschwiegen werden, auch wenn es weitere Prozesse bedarf, bis die Wahrheit an Licht kommt...

Roman Polanskis aufwändig produzierter Film „Intrige“ nach dem Bestseller „An Officier and a Spy“ (dt. „Intrige“) von Robert Harris aus dem Jahr 2013 erzählt von dem wahrscheinlich größten politischen Skandal des späten 19. Jahrhunderts, der die französische Gesellschaft zutiefst erschütterte: ein ungeheuerliches Geflecht aus Antisemitismus, Macht und Vertuschung. Historisch präzise wie thrillerhaft-packend inszeniert und bildnerisch umgesetzt (Kamera: Pawel Edelmann) wirft das Historiendrama von erschreckender Aktualität universelle Fragen nach Schuld, Gewissen und Wahrheit auf. Der mit Oscar-Preisträger Jean Dujardin („The Artist“) hochkarätig besetzte Film gewann bei den Filmfestspielen von Venedig, wo er am 30. August 2019 uraufgeführt wurde, den Großen Preis der Jury.

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„Intrige“ ist bereits die zweite Leinwandadaption Polanskis eines Harris-Romans nach „The Gost“ von 2007, den er drei Jahre später unter dem Titel „Der Gostwriter“ mit Pierre Brosnan und Ewan McGregor inszenierte und dafür 2010 mit dem Europäischen Filmpreis und 2011 mit dem französischen Cesar ausgezeichnet wurde. Zeitnah zum Filmstart des hochspannenden und mit 132 Minuten keinesfalls überlangen Polit-Thrillers am 6. Februar 2020, zu sehen im Casablanca Bochum, im Roxy Dortmund sowie im Sabu in der Essener Lichtburg, darf mit weiteren angeblichen, aber Jahrzehnte zurückliegenden und daher kaum mehr verifizierbaren Skandalgeschichten über angebliche sexuelle Vergehen Polanskis gerechnet werden.

| Autor: Pitt Herrmann