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Kleinbürgermief der 1950er Jahre im Guckkasten (v.l.): Sebastian Pilgrim (Sarastro), Lisa Wittig (Pamina) und Judith Spießer (Königin der Nacht). F

'Die Zauberflöte' in Essen

Mozarts Singspiel als Lehrstück

Wolfgang Amadeus Mozarts letztes Bühnenwerk erblickte am 30. September 1791 das Licht der Bühnenwelt am Freihaustheater auf der Wieden, dem heutigen Theater an der Wien, wo noch heute Papagenos Vogelfänger-Käfig hoch oben an der seitlich Fassade zum – Geheimtipp! – Hotel Beethoven hängt. Mozart hat diesen letzten großen Triumph zu Lebzeiten glücklicherweise noch erlebt, bevor er am 5. Dezember 1791 im Alter von nur 35 Jahren verstarb. Aber natürlich nicht ahnen können, dass seine „Zauberflöte“ heute die meistgespielte Oper deutscher Sprache weltweit ist.

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Die, hierin den Dramen William Shakespeares gleich, alle Bearbeitungen und Interpretationen glänzend überstanden hat – bis jetzt. Mozarts aus lauter Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüchen bestehendes Märchen um den fremden Prinzen Tamino, die Königin der Nacht und ihre Tochter Pamina, um den Hohepriester Sarastro und seinen Mohr Monostratos, um den Vogelfänger Papageno und die liebreizende Papagena konnte sogar im Zirkus bestehen – im Sommer 1998 im Roncalli-Zelt hinter dem Berliner Tacheles in einer wunderbar poetisch-anmutigen Inszenierung George Taboris in Bernhard Pauls glitzernder Artistenwelt.

Geniestreich in Düsseldorf

Kasperletheater v.l. Mykhailo Kushlyk (Monostatos), Lisa Wittig (Pamina) und Tobias Greenhalgh (Papageno).

2012 kam an seiner Komischen Oper Berlin Barrie Koskys Geniestreich heraus, der das Schikaneder-Libretto zu knappen Dialogen in Stummfilm-Manier verkürzte. Die englische Gruppe 1927 (Suzanne Andrade und Paul Barritt) ließ sich von Kupferstichen des 18. Jahrhunderts bis hin zu Comics der Gegenwart inspirieren für ein so noch nicht erlebtes multimediales Spektakel aus Live-Performances, Szene, Video und Musik. Das nach wie vor auf dem Spielplan steht, so im April und Mai 2015 bei der koproduzierenden Rheinoper Düsseldorf.

Auf Musical-Format reduziert mit umgestellten und getauschten Szenen, radikalen Textstreichungen und fragmentierten Musikstücken – das hört sich ganz nach Dietrich Hilsdorf an, der 2.000 in Gelsenkirchen Sarastro als tyrannischen Vater inszenierte mit der Königin der Nacht als seine Gattin. Schließlich Mozart goes Disney: 2016 ließ Stefan Huber das Dortmunder Opernpublikum in die Fantasy-Welten der kommerziellen Unterhaltungsindustrie unserer Tage eintauchen.

Fragen an unsere Gegenwart

Und nun, als erste Opernpremiere der neuen Spielzeit 2024/25 am Aalto Musiktheater in Essen, das Essener Regiedebüt der aus Salzburg stammenden Berliner Regisseurin Magdalena Fuchsberger, durchaus kontrovers aufgenommene Premiere war am 14. September 2024. Sie macht aus dem betont humanistischen Auftragswerk zur Eröffnung der größten Wiener Freimaurer-Loge ein Lehrstück, das Fragen an unsere Gegenwart stellt: „In welcher Welt wollen wir leben? Was suchen wir in unserem Leben? Was ist Freiheit? Was ist Liebe? Wer darf darüber entscheiden?“

Monika Bieglers aseptisch-kaltes Wellness-Center soll ein „Ort der Verzauberung und Verführung“ sein, der sich später nicht wirklich in Sarastros heilige Hallen verwandelt. Sondern in einen an allgegenwärtige Strichcodes erinnernden Irrgarten, durch den sich die von Irina Spreckelmeyer in angeblich klar lesbarer Künstlichkeit kostümierten Liebenden durchschlagen müssen wie durch einen Dschungel. Wie bei Dietrich Hilsdorf sind die Gegenspieler Königin der Nacht und Sarastro ein Paar, das hier von einem mit Hightech ausgestatteten Olymp die nach dem Gott der Heilkunst benannte sektenähnliche Gemeinschaft „Aesculap“ kontrolliert. Sich zwischendurch aber auch, warum auch immer, in einen kleinbürgerlich-miefigen Guckkasten der 1950er Jahre zwängt. Von der finalen Vergewaltigungsszene samt Polizeieinsatz ganz zu schweigen.

Wo, bitte, geht’s zum Sinn?

Die Sinnfrage sollte besser nicht gestellt werden, was auch für Aaron Kitzigs wabenförmiges Videodesign gilt: Alles ist und alle sind permanent in Bewegung. Zum Glück steht mit Christopher Moulds ein Spezialist für die Opern des Barocks und der Klassik am Pult, der bei seiner sechsten „Zauberflöte“ in 30 Dirigentenjahren die Klippen der Regieeinfälle (Unterbrechung der Ouvertüre durch das Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“, Hinzufügung eines Duetts, das „vermutlich zumindest in Teilen von Mozart“ stammt) umschifft und auch die Zugabe, das Adagio aus Mozarts „Gran Partita“, meistert, welche die Aufführung auf 2 ¾ Stunden dehnt.

Die aus musikalischer Sicht bis auf die nur anfängliche Indisponiertheit Andrei Nicoaras in der Partie des Sarastro keine Wünsche offen lassen in der von mir besuchten zweiten Vorstellung: Nicole Wacker als Königin der Nacht begeisterte ebenso wie die beiden Essener Ensemblemitglieder Lisa Wittig als Pamina und Tobias Greenhalgh als Papageno – und einmal mehr der Opernchor.

Die weiteren Vorstellungen

  • Samstag, 28. September 2024, 18 Uhr
  • Donnerstag, 3. Oktober 2024, 19:30 Uhr
  • Sonntag, 10. November 2024, 16:30 Uhr
  • Freitag, 29. November 2024, 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 11. Dezember 2024, 19:30 Uhr
  • Sonntag, 15. Dezember 2024, 16:30 Uhr
  • Donnerstag, 26. Dezember 2024, 18 Uhr
  • Samstag, 11. Januar 2025, 19 Uhr
  • Sonntag, 16. Februar 2025, 16:30 Uhr

Einführung jeweils 45 Minuten der Vorstellung.

Nachgespräch Samstag, 28. September 2024, Aalto-Cafeteria Blaue Stunde Montag, 30. September 2024, 19:30 Uhr, Aalto-Theater Mit Olivier Girardin (Querflöte), Laura Kriese (Gesang), Atsuko Ota (Klavier) und Patricia Knebel (Moderation).

Karten

Karten von11 bis 57 Euro sind erhältlich unter theater-essen.de, im Ticket-Center in der Essener Coty, II. Hagen 2 (Mo 10 bis16 Uhr; Di-Fr 10 bis 17 Uhr; Sa 10 bis 14 Uhr), an der Kasse des Aalto-Theaters, Opernplatz 10 (Di-Sa 13 bis 18 Uhr) sowie unter Tel 0201 - 81 22 200.

Montag, 23. September 2024 | Autor: Pitt Herrmann
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