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Glänzt als Fiordilgi: die amerikanische lyrische Sopranistin Rebecca Davis gibt ihr umjubeltes MiR-Debüt.

Intensives Klangerlebnis

Mozarts „Cosi fan tutte“ am MiR

„So machen’s alle oder: Die Schule der Frauen“ lautet der Untertitel zu Wolfgang Amadeus Mozarts letzter Opera buffa „Cosi fan tutte“, die es schon immer, eigentlich seit ihrer Uraufführung am 26. Jänner 1790 im Wiener Burgtheater, schwer hatte auf den Bühnen und beim Publikum. Und ganz speziell auch in Gelsenkirchen.

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Die Brüder Gugliemo und Ferrando lassen sich von ihrem Freund Don Alfonso überreden, ihre Bräute, die Schwestern Fiordiligi und Dorabella, auf die Treue-Probe zu stellen. Als „Albaner“ verkleidet machen sie über Kreuz den Damen den Hof – und die gehen nach anfänglichem Zögern darauf ein. Weil letztlich aber Betrüger und Betrogene nicht auseinanderzuhalten sind, stand in Dietrich Hilsdorfs Inszenierung 1993 zum Abschluss seines Da Ponte-Zyklus „Cosi fan tutti“ auf dem Programmzettel – so machens alle.

Diese Leichtigkeit des Seins wurde in der Schlussszene gebrochen, ganz ohne Tiefgang geht es in einem dramaturgisch grundierten deutschen Opernhaus halt nicht: Der Vesuv bricht aus, glühende Lava ergießt sich über die Landschaft, ein Ascheregen geht auf das Hotel und die jungen Leute hernieder, die in Pompejanischer Erstarrung verharren: Libertinage und Aids-Zeitalter wollen nicht zusammenpassen.

Draußen vor der Tür: die körperlich wie seelisch kriegsversehrten Ferrando (Khanyiso Gwenxane) und Guglielmo (Simon Stricker).

Andreas Baesler hat in seiner Inszenierung 2005 am Kennedyplatz nicht nur der beherzten Kammerzofe Despina eine körperliche Behinderung angedichtet, sondern auch die bei Lorenzo da Ponte aus einer Laune heraus nach durchzechter Nacht entstandene Wette umkonstruiert: Despina macht als so intrigante wie geschickte Psychologin den Schwestern die beiden sich vornehm gebenden Freier mit der Aussicht auf pekuniären Gewinn schmackhaft. Sollten ihre Männer nicht aus dem Krieg heimkommen, so blieben ihnen doch wenigstens die neuen, reichen Liebhaber. Aus dem erotischen Begehren wird in Hartz-IV-Zeiten ein rein materielles.

Nun also die Gelsenkirchener Premiere einer zwei Jahre alten Inszenierung an der Opéra national du Rhin, die am 14. April 2022 in Straßburg Premiere feierte. Regisseur David Hermann, der 2023 für die Uraufführung der Oper „Dogville“ des gebürtigen Herners Gordon Kampe am Aalto Musiktheater Essen mit dem wichtigsten Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet worden war, erzählt in der opulenten, an expressionistische Filme erinnernden Ausstattung von Jo Schramm (Bühne) und Bettina Walter (Kostüme) eine Geschichte der Paarbeziehung im 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund zweier Weltkriege – und der aktuellen Bedrohung der russischen Imperialisten: Nach Besetzung der Halbinsel Krim erklärte der russische Präsident Wladimir Putin am 18. März 2014 ihren Anschluss an die Russische Föderation.

Bei Hermann ist die Einberufung der Offiziere zum Kriegsdienst kein Spiel, sondern bitterer Ernst. Gugliemo und Ferrando kehren 1918 als körperliche und seelische Krüppel zurück, eine Szene wie aus Wolfgang Borcherts Schauspiel „Draußen vor der Tür“. Zehn Jahre später amüsieren sich die Damen in einer Revue Tropicale, in der ihre Männer plötzlich völlig unversehrt im Lendenschurz posieren, und eine Dekade weiter sind die Paare wieder vereint – in tödlicher Langeweile. Der könnte nicht nur ein Besuch im Swinger-Club abhelfen samt der einen oder anderen Line Koks, sondern auch ein ganz offener Partnertausch. Mitten in die Vorbereitung zur Doppelhochzeit 1939, Don Alfonso liest die Pariser Zeitung „L’Humanité“, das Organ der Parti communiste français, platzt die Mobilmachung zum Zweiten Weltkrieg…

Tontaubenschießen und Hütchen-Spiel, bei „Feuer in den Augen“ werden demonstrativ Patronenhülsen geschwenkt, die Klage der Kammerzofe geht im Kanonendonner unter, die Krüppel machen den Schwestern regelrecht Angst, das von Liebeshoffnung erfüllte Herz liegt im Lazarett brach und 1945 erhellt der Atombomben-Blitz die Bühne: „Komik und Tragik halten sich dabei, wie von Mozart und seinem Librettisten da Ponte intendiert, die Waage“ will uns die MiR-Dramaturgie weismachen. Gesungen wird das italienische Original, die Fake-Übertitel sprechen dagegen von Gendern, Gleichberechtigung und Emanzipation.

Apropos Original. Warum das MiR-Publikum im Gegensatz zu dieser „Cosi“-Inszenierung in die Konzerte strömt, hat mit leidlichen Regietheater-Erfahrungen zu tun. Dabei sorgt unter der musikalischen Leitung von Giuliano Betta die Neue Philharmonie Westfalen aus dem nur halbhohen Graben für ein bis dato am Kennedyplatz noch nicht erlebtes intensives dreieinhalbstündiges „Cosi“-Klangerlebnis.

Neben den nicht weniger brillanten MiR-Ensemblemitgliedern Margot Genet, Khaniyso Gwenxane alternierend mit Benjamin Lee, Lina Hoffmann alternierend mit Bele Kumberger, Philipp Kranjc und Simon Stricker überzeugt die amerikanische lyrische Sopranistin Rebecca Davis als umjubelter Gast. Die MiR-Debütantin gehörte viele Jahre zum Ensemble der Staatsoper Hannover und ist inzwischen in zahlreichen Häusern beiderseits des Großen Teichs gern gesehener Gast, auch an der Essener Aalto-Oper (Agathe in Webers „Freischütz“).

Die nächsten Vorstellungen

  • Freitag, 21. Juni 2024, 19:30 Uhr
  • Sonntag, 23. Juni 2024, 18 Uhr
  • Samstag, 29. Juni 2024, 19 Uhr
  • Freitag, 5. Juli 2024, 19:30 Uhr
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  • Sonntag, 23. Juni 2024, um 18 Uhr
  • Samstag, 29. Juni 2024, um 19 Uhr
  • Freitag, 5. Juli 2024, um 19:30 Uhr

Karten gibt es online oder an der Kasse unter Tel. 0209 – 4097200.

Montag, 17. Juni 2024 | Quelle: Pitt Herrmann
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