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Ruhrfestspiele: Mein Name sei Gantenbein - Matthias Brandt im ovalen Guckkasten Hansjörg Hartungs.

Matthias Brandt bei den Ruhrfestspielen

'Mein Name sei Gantenbein'

In seinem nach „Stiller“ (1954) und „Homo faber“ (1957) dritten – und letzten - großen Roman „Mein Name sei Gantenbein“ (1964) setzt Max Frisch seiner hochdramatisch gescheiterten Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann ein literarisches Denkmal. Aber es wäre zu kurz gegriffen, dieses hochkomplexe 300-Seiten-Werk nur auf das Biographische des Züricher Schriftstellers (1911-1991) zu reduzieren.

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„Ich probiere Geschichten an wie Kleider!“ bekennt der namenlose, ständig von der ersten in die dritte Person wechselnde Erzähler, der zumeist unter Theo Gantenbein firmiert, welcher der äußeren Welt überdrüssig sich nicht nur gegenüber der heimlich als Prostituierte tätigen Maniküre Camilla Huber, welche ihn beinahe auf der Straße überfahren hat, und der prominenten Schauspielerin Lila, welche später seine Frau wird, als blind ausgibt.

„Alltag ist nur durch Wunder erträglich“ weiß Gantenbein und verwandelt sich zwischendurch in Dr. phil. Felix Enderlin („Der fremde Herr“), einem nach Harvard berufenen Professor, und in einen Böhmen namens Frantisek Svoboda, beides Liebhaber seiner Gattin: „Ich bin blind. Ich weiß es nicht immer, aber manchmal. Dann wieder zweifle ich, ob die Geschichten, die ich mir vorstellen kann, nicht doch mein Leben sind. Ich glaub’s nicht. Ich kann nicht glauben, dass das, was ich sehe, schon der Lauf der Welt ist.“

Mit Ovationen gefeiert bei den Ruhrfestspielen: Matthias Brandt als Gantenbein.

„Eine alte Leidenschaft von Gantenbein, so nehme ich an, ist das Schach“: Der Erzähler stellt sich Figuren (wie den Klinikarzt und Schachpartner Burri) und Situationen immer nur vor, durchaus auch in mehreren Varianten. So verwandelt sich die hausnamenlose Schauspielerin Lila nacheinander in eine Medizinerin, eine venezianische Contessa und in die „Dame mit dem blauen Kopftuch“ auf einem Kreuzfahrtschiff. Der Erzähler weiß dennoch seine Erkenntnisse etwa über die Ehe und die für ihr Gelingen notwendige Diskretion und Rücksichtnahme als absolute Gewissheiten glaubhaft darzulegen.

Diese zeitlos modernen „Entwürfe zu einem Ich“ haben der Regisseur Oliver Reese und der BE-Dramaturg Johannes Nölting zu einem knapp einhundertminütigen Monodram verdichtet, mit dem der Ausnahme-Schauspieler Matthias Brandt nach 20 Jahren erstmals wieder in einer Inszenierung auf die Theaterbühne zurückgekehrt ist, heftig umjubelte Premiere war am 14. Januar 2022 am Schiffbauerdamm. Wer kann ich sein, wer will ich sein? Aus individualistischen Lebensfragen nach der eigenen Identität werden Fragen nach der gesellschaftlichen Rolle des Einzelnen: Was sollte ich tun, was will ich tun?

Die Ausstattung von Hansjörg Hartung (Bühne) und Elina Schnizler (Kostüme) orientiert sich an den 1960er Jahren, der Entstehungszeit des Romans. Aus dem neonlichtgerahmten, holzvertäfelten ovalen Guckkasten mit seinen zahlreichen Schubladen gibt es für Gantenbein kein Entkommen – und für den hochkonzentrierten Schauspieler Matthias Brandt keinen Rückzugsraum. Beide, Figur und Darsteller, sind dem Leben – und dem Publikum – ausgeliefert. Die von Max Frisch „Blindnis“ genannte gespielte Blindheit seines Protagonisten versetzt diesen in die Lage, Verantwortung für das eigene Handeln, das eigene Selbst zu übernehmen.

Fassung und Inszenierung konzentrieren sich naturgemäß allzu sehr auf Gantenbein: zwischenzeitlich mit clownesken (Pappnase) und karnevalistischen Requisiten (Augenbrauen-Brille) ausgestattet läuft Matthias Brandt zu komödiantischer Hochform auf, ohne in Slapstick zu verfallen. Lila, eine für die 1960er Jahre erstaunlich selbstbewusste, emanzipierte, beruflich erfolgreiche und dadurch finanziell unabhängige Frau, kommt auf der Bühne im Vergleich zum Roman entschieden zu kurz.

Die Produktion des Berliner Ensembles gastiert zweimal während der Ruhrfestspiele im Theater Marl: am Samstag, 4. Juni 2022, um 20 Uhr sowie am Sonntag, 5. Juni 2022, um 18 Uhr. Karten unter ruhrfestspiele.de oder Tel 02361 – 92 180.

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  • Samstag, 4. Juni 2022, um 20 Uhr
  • Sonntag, 5. Juni 2022, um 18 Uhr
Donnerstag, 2. Juni 2022 | Autor: Pitt Herrmann