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Neue Pianisten-Doku

Pianisten-Doku neu im Kino

'Igor Levit - No fear'

„Im nächsten Leben spiel‘ ich Querflöte“: Als Igor Levit, am 10. März 1987 im russischen Gorki zur Welt gekommen und als Achtjähriger mit seinen jüdischen Eltern nach Deutschland ausgewandert, seine neue Berliner Wohnung bezieht, gibt’s Transportprobleme mit dem Steinway-Flügel im engen Treppenhaus. Der deutsche Ausnahme-Pianist ist in Hannover aufgewachsen und seit 2019 dort auch Professor für Klavier an der Kunst- und Medienhochschule.

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Regina Schilling und ein halbes Dutzend Kameraleute haben den Beethoven-Spezialisten zwei Jahre lang auf Konzerten begleitet und ihm bei Studio-Aufnahmen mit seinem Freund Andreas Neubronner über die Schulter geblickt – in dessen Stuttgarter Tritonus-Studio wie in der Berliner Jesus-Christus-Kirche, die dank ihrer Dachkonstruktion mit einer geschlitzten Holzverschalung immer wieder für Klassik-Produktionen genutzt wird. So war vor Igor Levit schon Lang Lang in Dahlem.

Er verfügt über das absolute Gehör

Igor Levit, Mitte dreißig, und sein beinahe väterlicher Freund, der vielfach international ausgezeichnete Tonmeister Andreas Neubronner mit legendärer Grammy-Liste, verfügen offenbar über das absolute Gehör. Ihnen bei der intensiven Arbeit an der Partitur zuzuschauen, ist beinahe ein ebensolches Vergnügen wie den Konzertausschnitten zu folgen, idealerweise in einem tontechnisch auf dem neuesten Stand befindlichen Kino. Im September 2019 wird in Berlin die Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten vorgestellt, mit dabei der heutige Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck.

Igor Levit (li.) und sein Tonmeister Andreas Neubronner.

Igor Levit versteht sich als politischer Künstler, der sich gegen Antisemitismus und Neonazis engagiert, so im Hamburger Thalia-Theater beim „Spiegel-Talk“ mit dem damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble. Als Mitglied der Grünen setzt aber auch Zeichen für eine Klimawende: Nach knapp zwei Stunden endet die Dokumentation mit einem Live-Konzert Levits am 4. Dezember 2020 im Dannenröder Forst in Hessen. Zusammen mit Greenpeace demonstriert er so gegen die großflächige Abholzung des Waldes für den Bau einer neuen Autobahn.

108 Konzerte in 2020 geplant

Berlin, Januar 2020. 108 Konzerte sind in diesem Jahr geplant, jeden dritten Tag tritt er zumeist solistisch auf, fliegt mal eben von Rom nach London und weiter nach Madrid. Starkult ist ihm fremd, was sich aber erst so richtig zeigt, wenn Igor Levit Orchesterkonzerte gibt, so in Leipzig mit dem Gewandhausorchester unter Franz-Welser Möst oder in der neuen Hamburger Elbphilharmonie mit der Potsdamer Kammerakademie unter Antonello Manacorda. Wo er mit Beethovens 3. Klavierkonzert den eigenen Geburtstag feiert im großen Kreis der Freunde, zu denen auch Wolf Biermann zählt.

Und dann das: Corona-Lockdown, über 180 gebuchte Konzerte in der ganzen Welt werden abgesagt. In dieser Situation des unfreiwilligen Stillstands ist Levit einer der ersten, der erfinderisch wird und mit seinen allabendlich gestreamten 52 Hauskonzerten eine musikalische Lebensader zwischen sich und seinem Publikum auf Instagram und Twitter aufbaut. Während dieses Prozesses entdeckt er eine neue künstlerische Freiheit, wendet sich anderen Komponisten bis hin zur zeitgenössischen Musik zu und genießt die Freiheit von den Zwängen des Tourneebetriebs, der Veröffentlichungen und ihrer Vermarktung.

Suche nach Herausforderungen

„Igor Levit - No fear“ begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“, bei der Suche nach den nächsten Herausforderungen, nach seiner Identität als Künstler und Mensch. Dabei bleiben bis auf eine kleine Ausnahme Igor Levits Privatleben und seine Familie außen vor: In einer Aufnahme von 2005 sehen wir einen 18-jährigen Klaviervirtuosen beim Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv, der förmlich aus seinem Anzug zu platzen droht. In dem man den schlanken, modisch-bärtigen Levit von heute auch auf den zweiten Blick nicht erkennt. Was ihn zum Abspecken gebracht hat: der abschätzige Blick eines Modeverkäufers verbunden mit der Aussage, für ihn nichts Passendes im Angebot zu führen.

„Igor Levit - No fear“ ist das inspirierende, mit rund zwei Stunden aber auch herausfordernde Porträt eines Künstlers auf seinem Weg zwischen traditioneller Karriere und neuen Wegen in der Welt der Klassik, seinem Drang zum politischen Engagement und seiner Rastlosigkeit, die kein kontemplatives Zurücklehnen kennt. Die mehrfach preisgekrönte Filmemacherin Regina Schilling („Kulenkampffs Schuhe“, „Titos Brille“) lädt aber das Kinopublikum ein, sich Zeit für Igor Levit zu nehmen. Zum Kinostart am Donnerstag (6.10.2022) zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Gelsenkirchen sowie im Metropol Düsseldorf.

Freitag, 7. Oktober 2022 | Autor: Pitt Herrmann