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Tanit Cobas und Kira Metzler in „Shadow Waltz“ von Fernando Melo.

'Boléro' am MiR in Gelsenkirchen

Höchst ansehnliche Kopf-Choreografien

Wer den Titel „Boléro“ hört, hat sofort Maurice Ravels Meisterwerk im Ohr. Dieser rund 16 Minuten dauernde orgiastische Taumel, der unentrinnbar auf Ekstase, Eruption, Katastrophe und Zusammenbruch zusteuert, wurde 1928 ursprünglich als Ballettmusik für die russische Schauspielerin und Tänzerin Ida Rubinstein geschrieben.

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Choreografen ließen sich immer wieder von der enorm konsequenten Struktur des Boléro inspirieren, in dem zwei Themen achtzehn Mal wiederholt werden und dabei nur die Instrumentation variiert. Ravel über sein Werk: „Dies ist ein Tanz mit einer sehr moderaten und durchgängig gleichmäßigen Bewegung, sowohl auf Grund seiner Melodie als auch auf Grund seiner Harmonie und seines Rhythmus. Der Rhythmus wird kontinuierlich von der Trommel vorgegeben. Das Element der Abwechslung kommt durch das Orchester-Crescendo hinzu.“

Von Béjart zu Melo und Ostheimer

Ikonisch ist Maurice Béjarts 1961 in Brüssel uraufgeführte Version – naturgemäß zur Musik Ravels. Die erklingt jetzt in Gelsenkirchen freilich erst am Ende eines 90-minütigen Doppelabends mit Musik u.a. von Quasim Naqvi, Christine Ott, Thomas Köner und Yehezkel Raz. Giuseppe Spota, Direktor der MiR Dance Company, hat zwei gänzlich andere „Handschriften“ nach Gelsenkirchen geholt: Fernando Melo und Sita Ostheimer verfolgen aus einem eher verkopft-theoretischen Konzept heraus, welches ausführlich im Programmheft beschrieben wird, ganz unterschiedliche Ansätze. Die am 30. März 2024 als Doppelabend minutenlang umjubelte Premiere im Kleinen Haus am Kennedyplatz feierten.

Shadow Waltz

Fernando Melo ist in Gelsenkirchener kein Unbekannter seit seiner scheinbar die Schwerkraft verleugnenden Arbeit für „#findyourmuse“ im Kunstmuseum Gelsenkirchen-Buer. Auch für den Boléro-Abend entwickelt der auch für Bühne und Kostüme verantwortliche Brasilianer eine Choreografie, die mit Täuschungen, optischen Tricks und der Filmblenden-Technik arbeitet. Sein Ausgangsmaterial für „Shadow Waltz“ sind die strukturellen Prinzipien von Ravels Komposition: Wiederholung, Schichtung, Steigerung. In einer trotz der Schwere des Materials höchst variablen Sperrholz-Konstruktion auf einer handbetriebenen Drehbühne mit einem Tisch und zwei Bugholz-Stühlen als einzigen Requisiten wird eine Szene in immer wieder leicht abgewandelter Form wiederholt.

Urvil Shah, Camilla Bizzi, Pablo Navarro Muñoz, Hilla Regev Yagorov und Chiara Rontini (v.l.) in „Hasard & Boléro“ von Sita Ostheimer.

In seiner vierzigminütigen Arbeit bewegt der in Rio de Janeiro geborene, in Schweden lebende und global tätige Tänzer, Choreograf und Tanzfilm-Regisseur Fernando Melo also nicht nur die Körper der fünf Tänzer, sondern gleichberechtigt auch die Elemente des Bühnenbilds. So entsteht, etwa durch Spiegelung ohne Sichtkontakt, ein faszinierendes Vexierbild, das die Wahrnehmung des Publikums in jeder Sekunde herausfordert. Kurz: eine auch im wahren Wortsinn gemeinte Kopf-Geburt, die begeistert. Neben Giuseppe Spotas Compagnie-Mitgliedern Tanit Cobas, Dex van ter Meij und Joonatan Zaban sind zwei Gäste in diesem musikalisch kontemplativen Anti- Boléro zu erleben, die Berlinerin Kira Metzler sowie der Kubaner Yordi Yasiel Perez Cardoso vom „Ballet Revolución“.

Hasard & Boléro

Die Berliner Tänzerin und Choreografin Sita Ostheimer arbeitet in „Hasard & Boléro“ mit der Originalmusik von Maurice Ravel und einem daraus destillierten Klavierstück des Pianisten und (Filmmusik-) Komponisten Yehezkel Raz. Die in der Pause vollständig geräumte Bühne wird an beiden Seiten gerahmt von einer Reihe Leuchtstoffröhren (Licht: Barnaby Lionel Booth), die durch wechselnde Intensität und Farbigkeit Stimmungen erzeugen.

Die siebenköpfige Compagnie aus Camilla Bizzi, Marie-Louise Hertog, Hilla Regev Yagorov, Chiara Rontini, Yu-Chi Chen, Pablo Navarro Muñoz und Urvil Shah, von Sita Ostheimer in Alltagskleidung in gedeckten Farben gesteckt, bewegt sich nach einem längeren Warm up auf Socken im diffusen Bühnennebel-Licht zur minimalistischen Musik des israelischen Komponisten. Im ersten Teil begeistern neue, bezüglich der Synchronisation die Tänzer besonders in den Gruppenchoreografien herausfordernde Elemente.

Überflüssigerweise wird das um einiges kürzere Stück zäsuriert durch einen warum auch immer auf Englisch gesprochenen Text Maurice Ravels über seinen „Boléro“, der für den Komponisten „ausschließlich aus Struktur, ohne Seele“ besteht: „Die Behandlung ist durchweg schlicht und gradlinig, ohne den geringsten Versuch von Virtuosität.“ Was man von Sita Ostheimers Choreografie zu eben diesem „Klassiker“ nun wirklich nicht sagen kann, in der sich die Tänzer in ihrer jeweiligen Muttersprache gegenseitig anfeuern – und bis an ihre Belastungsgrenzen gehen. Die zugleich thematisiert werden durch einschleichende Fehler bei den Wiederholungen, die analog zur Musik in einen wahren Rausch münden.

Die weiteren Vorstellungen im Kleinen Haus des MiR

  • Freitag, 5. April 2024, 19:30 Uhr
  • Freitag, 12. April 2024, 19:30 Uhr, anschl. Bargespräch mit den Künstlern
  • Samstag, 20. April 2024, 19 Uhr
  • Samstag, 27. April 2024, 19 Uhr
  • Sonntag, 26. Mai 2024, 18 Uhr
  • Sonntag, 2. Juni 2024, 18 Uhr
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Karten

Karten unter musiktheater-im-rervier.de, an der MiR-Theaterkasse am Kennedyplatz (Montag und Samstag von 10 bis 14 Uhr, Dienstag bis Freitag von 10 bis 18:30 Uhr) sowie unter Tel 0209 – 40 97 200.

Mai
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Sonntag
Sonntag, 26. Mai 2024, um 18 Uhr MIR - Musiktheater im Revier , Kennedyplatz 1 , 45881 Gelsenkirchen
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  • Sonntag, 2. Juni 2024, um 18 Uhr
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  • Freitag, 5. April 2024, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 12. April 2024, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 20. April 2024, um 19 Uhr
  • Samstag, 27. April 2024, um 19 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann
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