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'Trial and Error': Live-Musik (Svea Kirschmeier) zu grandiosem Cyr Wheel mit Reifen (Sina Kiekbusch) auf kleinstem Flottmannhallen-Raum.

„Trial and Error“ macht Kindern Mut

Große Lust am Scheitern

„Ich will den Apfel“ lässt sich eine Kinderstimme (Emilia Schumacher) aus dem Off vernehmen. Und schon versuchen sechs Akteure, die plötzlich den kunstvoll drapierten Stoffbespannungen (Ausstattung: Friederike Külpmann), welche die Theaterbühne im Obergeschoss der Flottmannhallen einhegen, wie ausgespuckt entsprungen sind, das vom Schnürboden hängende grüne Objekt der Begierde zu erhaschen. Das halbe Dutzend entstammt so unterschiedlichen Bereichen wie Artistik, Tanz und Schauspiel und hat sich zur am 2. Juli 2021 in Herne uraufgeführten Stückentwicklung „Trial and Error – Die Lust am Scheitern“ erstmals zusammengefunden.

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Paul Davis Newgate, Urban Art Tänzer des Bochumer Koproduzenten Urbanatix, versucht es wie sein schmächtigerer Kollege Felix Küpper mit genuinen Mitteln seines Fachs. Auch als sie sich mit Oskar Skrypko, heuriger Absolvent der Staatlichen Artistenschule Berlin wie seine grazile Kollegin Sina Kiekbusch, mit der Kohlenpott-Schauspielerin Zeynep Topal zum Quartett vereinen, gelingt es nicht, die wie von Zauberhand bewegte Frucht zu schnappen. Schließlich vervollkommnen besagte Sina, die sich mehrfach Rad schlagend turbulent einführt, und die hochmusikalische Kohlenpott-Schauspielerin Svea Kirschmeier die Pyramide. Versuch und Irrtum – die verblüffende Auflösung wird hier natürlich nicht verraten.

'Trial and Error': Turbulent geht’s zu bei „Versuch und Irrtum“, im Bild v.l. Sina Kiekbusch, Svea Kirschmeier, Paul Davis Newgate, Felix Küpper und Oskar Skrypko

„Ich will tanzen“ ist dem sechsköpfigen Kollektiv Wunscherfüllung statt Befehl. Zu wummernden Bässen eines höchst ansteckenden Rhythmus zeigt es, naturgemäß Paul Davis Newgate vorweg, die breite Palette urbaner Bewegungsmöglichkeiten von Breakdance bis Hip Hop. Mit großem Spaß in den Backen und den Hüften zu einem Ufo-ähnlichen Musikgerät, dem Svea Kirschmeier karibische Klänge entlockt. Welche sogleich den Ausruf: „Ich will singen“ provoziert, dem ein vielstimmiger Chor zu Tönen, wie sie sonst auf Ölfässern erzeugt werden, folgt. Zu laut? Findet offenbar ein – fiktiver – Nachbar: Es klopft lautstark, von Ferne ist ein Schrei zu hören – und dann setzt, ganz ohne reale Windmaschine, ein gewaltiger Sturm ein, der nacheinander alle Akteure von der Bühne fegt. Bis auf Svea, die eine verblüffende Entdeckung macht…

Groteske Effekte

„Ich will spielen“ setzt mit grotesken Effekten der textilen Wandbespannung ein und mündet in geradezu artistisch ausgeführte Schein-Zweikämpfe: pantomimische Slapstick mit hohem Tempo und einer atemberaubenden Präzision, welche ganz nebenbei auch das desillusionierende Making-Of thematisiert. Speziell für das junge Publikum ab acht Jahren (3. Klasse) gibt’s einen Kanon klassischer bis innovativer Ausreden für den Wunsch: „Ich will nicht in die Schule“, lebensnahe Tipps für leider typische Mobbing-Szenen auf dem Schulhof und Trost, wenn aus dem ersten Verliebtsein nicht gleich die große Liebe erwächst. Die Disco-Kugel kreist zum siebten Himmel und das Ensemble gibt ein Flötenkonzert auf präparierten Corona-Schnelltest-Röhrchen: Die Idee ist der Truppe um die beiden Regisseure Frank Hörner (Theater Kohlenpott) und Christian Eggert (Urbanatix) in der Probephase gekommen, in der sich über Wochen alle Beteiligten täglich testen lassen mussten.

Apropos Proben. „Ich will turnen“ fistelt das Kinderstimmchen. Vor der großen Pyramide steht das Üben, wie man schmerzlos fällt. Eine herzerfrischende gruppendynamische Erfahrung als Voraussetzung für die circensischen Höhepunkte des großartigen siebzigminütigen Spektakels mit Spitzen-Artistik ohne Netz und doppeltem Boden auf kleinster Bühnen-Fläche: „Ich krieg das Ding nicht auf“. Gemeint ist eine Kokosnuss, die auf alle erdenklichen Arten geknackt werden soll. Und sei es durch Oskar Skrypo kopfüber von der Spitze der Pole-Stange…

Ende 2020 wurde das „Bündnis Neuer Circus Ruhr“ gegründet, mit dabei u.a. die Flottmannhallen Herne, Urbanatix Bochum und die Ruhrfestspiele Recklinghausen. „Trial and Error“, eine Kooperation des Herner Theaters Kohlenpott mit Urbanatix Bochum, ist eine der ersten Produktionen dieser seit Kurzem durch Landesmittel geförderten Verbindung von Schauspiel, Musik, urbanem Tanz und Artistik. Sie stellt aus der Sicht von Kindern, die sich und ihre Welt erforschen, Fragen: Wie weit kann ich gehen? Wo ist die Grenze? Und wer setzt sie mir? „Versuch und Irrtum“ beantwortet diese Fragen mit einer explosiven, höchst unterhaltsamen und gleichzeitig Mut machenden Mischung unterschiedlichster kreativer Ausdrucksweisen unter der musikalischen Leitung von Sebastian Maier (mit Kompositionen von ihm und Svea Kirschmeier). Ganz im Sinne des der Aufführung vorangestellten Mottos frei nach „Worstward Ho“ (1983) von Samuel Beckett: „Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

Neue Aufführungen

„Trial and Error“ wird gut ein halbes Jahr nach der Uraufführung in den Herner Flottmann-Hallen wiederaufgenommen. Familienvorstellungen sind am Samstag, 5. Februar, um 19 Uhr sowie am Sonntag, 6. Februar 2022, um 16 Uhr. Diesen schließen sich Schulaufführungen von Montag bis Donnerstag, 7. bis 10. Februar 2022, jeweils um 10 Uhr an.

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Karten für die Familienvorstellungen bei den Flottmannhallen unter Tel. 02323 / 16- 2953, Reservierungen für die Vormittagstermine unter karten@theaterkohlenpott.de.

Vergangene Termine (6) anzeigen...
  • Samstag, 5. Februar 2022, um 19 Uhr
  • Sonntag, 6. Februar 2022, um 16 Uhr
  • Montag, 7. Februar 2022, um 10 Uhr
  • Dienstag, 8. Februar 2022, um 10 Uhr
  • Mittwoch, 9. Februar 2022, um 10 Uhr
  • Donnerstag, 10. Februar 2022, um 10 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann