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Faust (Maximilian Strestik, l.) ist zum Pakt mit dem Teufel in Gestalt des Verführers Mephistopheles (Oliver Möller) bereit.

Animationen des Wanne-Eickelers Patrick Praschma

Goethes „Faust“ in Bochum

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne: Mit einem kunterbunten, musikalisch-theatralisch-kulinarischen Fest Ende September 2019 und einer großartigen, am Premierenabend mit Ovationen gefeierten „Faust“-Inszenierung startete das neue Leitungsteam um den Intendanten Hans Dreher und Geschäftsführerin Anne Rockenfeller am Bochumer Prinz Regent Theater in eine Ära mit zahlreichen Höhen und, pandemiebedingt, ebensolchen Tiefen: Der zweimalige, gefühlt jahrelange Lockdown hat ein Riesenloch in der Kasse des „freien“ Theaters zurückgelassen, das durch die aktuellen Lockerungen der Corona-Hygienerichtlinien nicht aufgefangen werden kann.

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Licht am Ende des Tunnels aber ist in Sicht, denn nun steht – endlich – Hans Drehers knapp zweistündiger „Faust“ (der Tragödie erster Teil) wieder auf dem Spielplan mit unveränderter Top-Besetzung: die Titelrolle spielt Maximilian Strestik, als eleganter Mephistopheles brilliert Bochum-Rückkehrer Oliver Möller, der in der Intendanz Elmar Goerdens u.a. an der Johnny-Cash-Show mitwirkte und die Titelrolle in „Roberto Zucco“ von Bernard-Marie Koltés spielte, während er aktuell in Knut Hamsuns „Hunger“ mit einem fulminanten Solo am PRT begeistert. Die vierköpfige Besetzung komplettieren Nele Sommer, als Gretchen weder eine unterwürfige Minderjährige noch ein „arm unwissend Kind“, und Laura Thomas als junge, lebensfrohe Marthe Schwerdtlein, aber auch als Margarethes Bruder Valentin sowie in weiteren kleineren Rollen.

Kitschige Madonna überm Erntedank-Altar: Nele Sommer als Gretchen und Laura Thomas als Marthe Schwerdtlein komplettieren das großartige „Faust“-Ensemble am PRT.

„Habe nun, ach!...“: Das zwischen 1771 und 1808 verfasste und 1829 von Erst August Klingmann am Hoftheater Braunschweig uraufgeführte Trauerspiel greift die Geschichte des historischen Doktor Faustus auf. Der Dozent Heinrich Faust hat von seinem enthaltsamen Leben im Elfenbeinturm der Wissenschaft die Nase voll, will endlich draußen an der frischen Luft – und in der Kammer eines jungfräulichen Mädchens – ‘was erleben und schließt deshalb mit dem Teufel in Person des dämonischen Verführers Mephistopheles einen Pakt ab. Erst wenn er all‘ die Verlockungen des Weltlichen genossen hat und diesen überdrüssig ist, darf der Teufel seine Seele holen…

„Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?“: Der höchst unterhaltsame, kurzweilige und dennoch erfreulich „traditionelle“ Klassiker-Abend beginnt draußen auf dem Theater-Vorplatz in einem Gartenhäuschen mit dem „Vorspiel auf dem Theater“ in einer Audio-Licht-Installation mit dem Schauspielhaus-Ensemblemitglied Manfred Böll als Theaterdirektor, mit Maximilian Strestik als Dichter und Oliver Möller als Lustige Person. Die naturgemäß stark gekürzte und dennoch sinnstiftende, ja geradezu zeitlos-moderne Strichfassung Hans Drehers verzichtet auf den „Prolog im Himmel“, die Walpurgisnacht, den österlichen Chor der Engel, der Faust daran hindert, die „holden Schlummersäfte“ zum letzten Trunk zu erwählen und das finale „Ist gerettet!“ in der Kerkerszene.

Entschlacktes, temporeiches, anti-deklamatorisches Stationendrama: Oliver Möller stößt mit seinen nackten Füßen einen Bücherstapel des mit altem Grammophon und Schellack-Platten nostalgisch ausstaffierten Studierstuben-Environments (Ausstattung: Rabea Stadthaus) um und legt sich rücklings darauf: Statt geistiger Genüsse sinnliche Freude zu Austro-Pop („I will ham nach Fürstenfeld“ von STS). Welche in der Liebeszene so aussieht: Faust und Gretchen reiben sich gegenseitig den „Staub“ aus den Gesichtern, bis die Wangen ganz rot anlaufen. Auch der häufige Schauplatzwechsel wird sehr innovativ gelöst durch großformatige (Scherenschnitt-) Animationen der Wanne-Eickeler Video-Koryphäe Patrick Praschma. Die zudem die zahlreichen metaphysischen Szenen der Vorlage wie Fausts Begegnung mit einem seltsamen Hund kongenial bebildern.

In Auerbachs Keller zu Leipzig, Hans Dreher hat die berühmte Szene mit Text von Robert Gernhardt angereichert und so näher an unsere Zeit gerückt, vereint Laura Thomas gleich drei Zecher (Frosch, Brandner und Siebel) zu einer Person. Die bei Goethe folgende Hexenküche bedarf es in diesem sehr geerdeten, trotz des Versmaßes ganz ungekünstelten „Faust“ am PRT nicht, für Geister ist hier kein Platz. Aber auch nicht für den Glauben an die Rettung durch die Religion, von der Institution Kirche ganz zu schweigen: das Kitschbild einer Madonna mit fröhlich lächelndem Jesuskind thront über dem reich gedeckten Erntedank-Altar in der Kerkerszene, davor Gretchens Bibel mit dem Blut ihres erstochenen Bruders.

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„Faust“ wird wieder am Donnerstag, 28. Oktober 2021, am Freitag, 29. Oktober 2021, am Samstag, 30. Oktober 2021 und am Samstag, 13. November 2021 jeweils um 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 14. November 2021, um 18 Uhr aufgeführt, Karten unter prinzregenttheater.de oder Tel 0234 – 77 11 17.

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  • Donnerstag, 14. Oktober 2021, um 18 Uhr
  • Donnerstag, 28. Oktober 2021, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 29. Oktober 2021, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 30. Oktober 2021, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 13. November 2021, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann