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„Lucrezia Borgia“: Marta Torbidoni als Donna Lucrezia Borgia und Francesco Castoro als ihr Sohn Gennaro.

„Lucrezia Borgia“ in Essen

Fülle des Wohlklangs

Bereits vor zwei Jahren sollte Gaetano Donizettis hierzulande kaum bekannte Oper „Lucrezia Borgia“ als zweite Produktion des Regisseurs und Bühnenbildners Ben Baur im Essener Aalto Musiktheater herauskommen. Was die Corona-Pandemie verhinderte. Am Samstag (26. 11.2022) war es endlich soweit – vor so gut wie ausverkauftem Haus. Doch wenn mit Dr. Merle Fahrholz die (neue) Intendantin vor Beginn der, soviel vorweg, nach gut zweieinhalb beglückenden Stunden mit stehenden Ovationen gefeierten Aufführung vor den Vorhang tritt, gibt’s normalerweise schlechte Nachrichten.

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Diesmal wurden sie mit guten Nachrichten zumindest wettgemacht: Krankheitsbedingt musste die Aalto-Sopranistin Jessica Muirhead ihren Premierenauftritt in der Titelpartie absagen. Und mit ihr gleich zwei weitere Ensemblemitlieder mit der Mezzosopranistin Liliana de Sousa und dem Bass Baurzhan Anderzhanov. Doch damit noch nicht genug: Mit dem Bass-Bariton Almas Svilpa, seit vielen Jahren gern gesehener Gast am Essener Opernplatz, fiel auch noch der Sänger des Don Alfonso aus.

Umso erleichterter waren alle Beteiligten, das der Gennaro der Baur-Inszenierung, der italienische Tenor Francesco Castoro, ab 28. Dezember 2022 auch in der Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis „La Traviata“ am Aalto zu genießen, Anfang Mai 2022 am Teatro Communale di Bologna eine Woche lang en suite diese Partie an der Seite eines Quartetts erstklassiger Belcanto-Gesangssolisten gesungen hatte, die sämtlich bereit waren, für die Erkrankten kurzfristig einzuspringen: Davide Giangregorio aus Bologna, der als Don Alfonso nun sein Deutschland-Debüt gegeben hat, Marta Torbidoni, aktuell aus Antwerpen, als Donna Lucrezia Borgia, Na’ama Goldman aus Berlin als Maffio Orsini und Tommaso Caramia aus Palermo als Don Apostolo Gazella.

„Lucrezia Borgia“: Davide Giangregorio gibt als Don Alfonso sein Deutschland-Debüt, hier mit Marta Torbidoni und dem Opernchor.

Papsttochter, angebliche Geliebte des eigenen Bruders, Giftmischerin, Mörderin – und jedenfalls Femme fatale: Um die italienische Fürstin Lucrezia Borgia (1480-1519) bilden sich bis heute Legenden aus historisch verbrieften Partikeln, gezielten Fake News und mythenbildender reiner Fiktion. Als erster hat sich Victor Hugo 1833 in seinem Schauspiel „Lucrèce Borgia“ mit Dichtung und Wahrheit beschäftigt, das Gaetano Donizetti noch im selben Jahr zu seinem am 26. Dezember 1833 im Teatro alla Scala in Mailand uraufgeführten „Melodramma“ in einem Prolog und drei Akten inspirierte.

Darin hat Donna Lucrezia Borgia ihren unehelichen Sohn Gennaro abseits des Hofes von Ferrara aufziehen lassen, um ihn vor allen Intrigen zu schützen. Als sich beide zufällig begegnen, berichtet er von seiner großen Zuneigung zu der ihr unbekannten Mutter – und Lucrezia bringt ihn, ohne sich zu erkennen zu geben, unweit des Palastes unter. Was zum einen bei Gennaros Freunden, darunter Maffio Orsini, nicht gut ankommt, welche die Tochter des Papstes Alexander VI. als skrupellose Politikerin und Mörderin beschimpfen. Und zum anderen ihren Gatten, Herzog Alfonso d’Este, eifersüchtig macht, angestachelt durch seinen Diener Rustighello (Mathias Frey). Nun setzt sich eine Spirale von Hass und Gewalt in Gang, bei der es am Ende nur Verlierer gibt – und Tote.

Gleich zu Beginn bei der nur kurzen Sinfonia setzt Ben Baur ein Zeichen, indem er in einer stummen Szene in Entsprechung zur Vorlage Victor Hugos Gennaro seine Mutter Lucrezia erdolchen lässt. Seine mit Stilelementen der Renaissance eher spärlich ausgestattete Einheitsbühne ist Außen- und Innenraum zugleich, der Vorhang ersetzt zeitraubende Umbauten bei den häufigen Szenenwechseln. In seiner Kammerspiel-Inszenierung rückt Baur das Trio aus Don Alfonso, Donna Lucrezia und Gennaro ganz in den Mittelpunkt: Stimmungen sind ihm wichtiger als spektakuläre Szenen.

Was zur höchst abwechslungsreichen Musik Donizettis passt, der es an verdihaften Paukenschlägen mangelt: Es ist die Fülle des Wohlklangs aus lebhafter Leichtigkeit, romantischem Pathos, schmelzenden Belcanto-Kantilenen und tragischer Dramatik. Der musikalische Leiter und designierte Generalmusikdirektor Andrea Sanguinetti spricht von einer „Essener Fassung“, welche die Titelheldin vom blutdrünstigen Image zu befreien trachtet – von ihrer Auftrittsarie „Com‘ è bello“ im Prolog bis zur Cabaletta „Era desso il figlio mio“ am Ende des 2. Aktes.

Immer wieder, und das erklärt sich nicht auf den ersten Blick, nimmt Ben Baur Bezug zur historischen Person Lucrezia Borgia, wenn etwa fünf kleine Kinder als „Geisterfiguren“ an die zahlreichen Fehl- und Totgeburten dieser Frau erinnern, die zum Spielball der (Kirchen-) Politik gemacht wurde, bereits im Kindesalter zweimal verlobt wurde und dreimal heiratete. Oder Lucrezia ihren Gatten Don Alfonso coram publico ohrfeigt, für den Regisseur Sinnbild der gefühlten Überlegenheit einer Frau, die in Abwesenheit ihres Vaters wochenlang selbst auf dem Papstthron im Vatikan saß und die Geschicke der nach eigenem Verständnis allein seligmachenden Kirche leitete.

Andererseits liebt Baur surreale Momente wie diese: Als der römische Adlige Maffio Orsini (stets eine Hosenrolle für eine Koloratur-Mezzosopranistin) im zweiten Akt seinen besten Freund Gennaro zum Fest der Fürstin Negroni locken möchte, tritt er als eine Art Erscheinung der Lucrezia auf. Kurzum: Gaetano Donizettis „Lucrezia Borgia“ ist ganz unabhängig von der augenblicklichen Essener Ensemble-Situation eine Entdeckung, mit dieser aus der Not heraus geborenen Besetzung aber ein unbedingtes Muss!

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Karten

Karten für das Melodramma in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln im Wert von 11 bis 49 Euro gibt es auf der Homepage oder am TicketCenter am II. Hagen 2 Mo 10 bis 16 Uhr; Di-Fr 10 bis 17 Uhr; Sa 10 bis 14 Uhr. Oder an der Aalto-Kasse: Di-Sa 13 bis 18 Uhr.

Die weiteren Vorstellungen

  • Mittwoch, 30. November 2022, 19:30 Uhr mit Nachgespräch
  • Sonntag, 4. Dezember 2022, 16:30 Uhr
  • Donnerstag, 5. Januar 2023, 19:30 Uhr
  • Samstag, 14. Januar 2023, 19 Uhr
  • Samstag, 4. Februar 2023, 19 Uhr
  • Mittwoch, 15. Februar 2023, 19:30 Uhr
  • Freitag, 10. März 2023, 19:30 Uhr
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  • Mittwoch, 30. November 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 4. Dezember 2022, um 16:30 Uhr
  • Donnerstag, 5. Januar 2023, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 14. Januar 2023, um 19 Uhr
  • Samstag, 4. Februar 2023, um 19 Uhr
  • Samstag, 4. Februar 2023, um 19 Uhr
  • Freitag, 10. März 2023, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann