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Katja Jähnel, Flüchtlingsberaterin in der Fachstelle Eine Welt des Evangelischen Kirchenkreises Herne.

Katja Jähnel, Flüchtlingsberaterin in der Fachstelle Eine Welt zum Anschlag in Solingen

'Es gibt keine schnellen, einfachen Lösungen'

Die halloherne-Redaktion erreichte ein Kommentar von Katja Jähnel, Flüchtlingsberaterin in der Fachstelle Eine Welt des Evangelischen Kirchenkreises Herne, zum Anschlag in Solingen:

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„Am Samstagmorgen entdeckte ich eine Kerze im Status einer Verwandten aus Solingen. Zunächst erschrak ich, da ich dachte, jemand aus der Familie sei gestorben. Doch im nächsten Bild erfuhr ich von dem Attentat, das am Abend zuvor geschehen war. Sofort las ich die Nachrichten. Trauer und Entsetzen erfüllten mich. Menschen waren zur falschen Zeit am falschen Ort - ein tragischer, schicksalhafter Moment, der grausam und sinnlos bleibt. Wie sollen die Angehörigen das jemals verarbeiten?

Mein zweiter Gedanke war, dass dieses Ereignis Angst vor dem Besuch von Volksfesten, Konzerten oder Freizeitparks schüren könnte. Sofort kam mir in den Sinn, dass auch ich am nächsten Tag beim Stadtteilfest in Castrop-Rauxel stehen würde.

Angst ist aber immer ein schlechter Ratgeber: Schuldige werden gesucht und vermeintlich einfache Lösungen werden präsentiert. Das macht mir Angst.

Mein dritter Gedanke war, dass das Attentat die Diskussionen um Asyl- und Migrationspolitik erneut anheizen könnte. Radikale, schnelle Lösungen und die Suche nach Schuldigen führen oft dazu, bestimmte Gruppen pauschal verantwortlich zu machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses furchtbare Ereignis in Solingen für politische Zwecke instrumentalisiert wird. Die Geschichte hat gezeigt, wohin das führen kann. Es gibt keine schnellen Lösungen, genauso wenig wie es eine plötzliche Radikalisierung von Menschen gibt. Der IS radikalisiert seine Anhänger schrittweise über das Internet. Sein Ziel ist die Zersetzung westlicher Gesellschaften. Demokratie, Vielfalt und Toleranz sind ihm ein Dorn im Auge. Es sind nicht die Syrer, die Afghanen oder die Flüchtlinge aus anderen Ländern – es sind Einzelne, deren Lebensgeschichte sie anfällig für Radikalisierung macht. Auch Deutsche sind davor nicht gefeit, wie die zahlreichen Männer und Frauen zeigen, die sich dem IS angeschlossen haben.

Forderungen wie „Keine Flüchtlinge mehr ins Land, alle abschieben, Einbürgerungen stoppen“ hallten in meinen Ohren wider, als Politiker*innen unseres Landes diese vermeintlich einfachen Lösungen präsentierten. Doch das ist Populismus.

Der Attentäter war ein sogenannter „Dublin-Fall“ – ein Syrer, der zuerst in Bulgarien registriert wurde, womit Bulgarien für sein Asylverfahren zuständig war. Das Dublin-Abkommen regelt dies klar. Allerdings funktioniert die Rücküberstellung in die zuständigen Länder selten, sodass nach Ablauf der Frist von sechs Monaten Deutschland zuständig wird. Hätte man diesen Mann nach Bulgarien zurückgeführt, wäre er letzten Freitag nicht in Solingen gewesen. Aber das allein rechtfertigt nicht den Ruf nach der Abschiebung aller Flüchtlinge. Eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (20/10495) an die Bundesregierung (20/10869) zeigt, dass 2023 zwar 55.728 Zustimmungen für Überstellungen durch die Mitgliedstaaten er- teilt wurden, aber nur 5.053 tatsächlich durchgeführt wurden. Wie kann das sein?

In der Ausreiseberatung der Fachstelle Eine Welt im Kirchenkreis Herne gibt es viele Anfragen zur freiwilligen Rückkehr. Doch selbst diese scheitern oft an langen Wartezeiten, bürokratischen Hürden und zahlreichen Antragsformularen. Gleich- zeitig fordern Politiker*innen öffentlich, dass mehr abgeschoben und weniger Schutz gewährt werden soll. Das passt aus meiner Sicht nicht zusammen.

Für komplexe Probleme gibt es keine einfachen Lösungen. Einfache Lösungen spalten. Es muss aber gerade jetzt darum gehen, zusammenzustehen und eine Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern. Wir müssen auch weiterhin verfolgten Menschen eine Zuflucht geben, Menschenrechte achten und umsetzen. Andererseits müssen wir radikalen Gruppierungen entschieden entgegentreten. Die Politik ist gefordert, etwa Polizei und Nachrichtendienste so auszustatten, dass sie neuen Formen der Radikalisierung im Internet auf die Spur kommen, diese beobachten und Netzwerke zerschlagen können. Einzeltaten wie in Solingen werden vermutlich auch in Zukunft nicht vollends auszuschließen sein, aber eine gesunde, wach- same und zusammenstehende Gesellschaft kann diese zumindest erschweren. Natürlich muss auch die europäische Asylpolitik überdacht werden, denn viele europäische Länder ziehen sich seit Jahren aus der Verantwortung. Es müssen einheitliche Bedingungen geschaffen und kontrolliert werden, denn das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht. Doch auch die Fluchtursachen müssen wir anerkennen. Unser europäischer Wohlstand basiert nicht zuletzt auf der Ausbeutung vieler Länder über Jahrzehnte und Jahrhunderte. Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen haben sich dadurch erheblich verschlechtert. Wundern wir uns wirklich, dass diese Menschen nun nach Europa kommen?

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Wir trauern um die Toten und beten für sie. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen, denen wir Kraft wünschen, die Sinnlosigkeit dieses Todes zu verarbeiten. Den Verletzten und ihren Familien wünschen wir körperliche und seelische Genesung. Ebenso denken wir an Polizei, Rettungskräfte und Seelsorgende, die zur Stelle waren. Sie verdienen unsere Hochachtung. Lassen wir uns durch solche Taten nicht spalten. Nur gemeinsam kann eine Gesellschaft solch Ereignisse begrenzen und bewältigen.“

Dienstag, 27. August 2024 | Quelle: Katja Jähnel