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Sebastian Schiller und Anke Sieloff.

ENTFÄLLT!!! Berliner Luft am Kennedyplatz

„Frau Luna“ am MiR in Gelsenkirchen

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Schlösser, die im Monde liegen: Seit dem 5. Oktober 2019 feiert im stets ausgebuchten Kleinen Haus des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier (MiR) Frau Luna wahre Triumphe – als eine swingende Revue-Operette mit optischen und musikalischen Verweisen auf die Goldenen Zwanziger des vorigen Jahrhunderts. Uraufgeführt am 1. Mai 1899 im Berliner Apollo-Theater begründete Paul Linckes Meisterwerk nicht nur die Gattung der seit Jahren von Barrie Kosky an der Komischen Oper wiederbelebten Berliner Operette, sondern wurde mit über 600 Aufführungen in Serie am Kreuzberger Ende der Friedrichstraße auch ihr größter Hit.

Die Gelsenkirchener Neuproduktion von Bernhard Stengel, dem genreerfahrenen musikalischen Leiter, und Regisseur Thomas Weber-Schallauer nimmt ihren Ausgangspunkt in einer Dachgeschosswohnung im heutigen Berlin (Bühne: Christiane Rolland, Kostüme: Yvonne Forster). Der Technikfreak Fritz Steppke (sympathischer Nerd: Sebastian Schiller) hat geerbt und träumt davon, mit seiner Start-up-Gründung jedem Menschen zur wörtlich zu nehmenden Erweiterung des eigenen Horizonts eine Reise zum Mond zu ermöglichen, sozusagen eine Demokratisierung des Weltalls mit Hilfe von Virtual Reality.

Dongmin Lee und Joachim G. Maaß.

Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe: Was auf wenig Verständnis trifft sowohl bei seiner liebreizenden Verlobten Marie (Ava Gesell) als auch ihrer resoluten Tante, seiner Vermieterin Frau Pusebach (glanzvoller Abschied am Kennedyplatz: Christa Platzer): Beiden wäre es lieber, wenn er auf den Boden der Realität zurückkehrte und damit auf seinen sicheren Arbeitsplatz in einer Bundesbehörde - samt Pensionsberechtigung. Lediglich seine beiden Freunde, der Hausmeister Pannecke (Joachim G. Maaß) und der Modedesigner Lämmermeier (nicht wirklich in einer Hosenrolle: Patricia Pallmer) würden Fritz zum Mond begleiten.

Als die Reise ins All dann plötzlich doch noch losgeht, ist ausgerechnet Frau Pusebach als blinder Passagier an Bord. Mit ungeahnten Folgen: Auf dem Mond angelangt treffen die „Baliner“ auf einen grimmigen Mann namens Theophil (erneut der Erzkomödiant Joachim G. Maaß), der sich als der untreue Verflossene der Pusebach entpuppt und daher die Erdlinge möglichst schnell wieder loswerden will. Was die Hausherrin freilich ganz anders sieht: Wenn die Sonne schlafen geht. Der Mann im Mond ist in Wirklichkeit eine bezaubernde Frau (strahlende Erscheinung: Anke Sieloff) und von den Berlinern, insbesondere von Steppke, ganz angetan. Frau Lunas Reize treiben Maries Verlobten in einen Gewissenskonflikt...

Das ist die Berliner Luft: Die szenisch und musikalisch abgespeckte MiR-Fassung braucht sich weder vor dem kultigen Dauerbrenner im Berliner Tipi am Kanzleramt noch vor der in jeder Hinsicht üppigen Version der Dortmunder Oper des Jahres 2018 zu verstecken. Was zum einen am Arrangeur-Duo Henning Hagedorn und Matthias Grimminger liegt. Ihr Arrangement für vierzehn Instrumente, darunter auch Gitarren-Banjo und Saxophon, nähert sich entsprechend der Ausstattung (Josephine Bakers Bananenröckchen) dem jazzigen Sound der 1920er Jahre an.

Ist die Welt auch noch so schön, einmal muss sie untergehn: Zum anderen eröffnet der Videokünstler Volker Köster dem Publikum phantastische Bilderwelten. Die mit einem faszinierenden Blick vom All auf unseren Blauen Planeten zur schmissigen Ouvertüre beginnen, sich mit aktuellen Berlin-Ansichten aus Steppkes Dachfenster-Perspektive fortsetzen und schließlich die Verwertung des durchs All schwirrenden Weltraumschrotts anmahnen: Diese Frau Luna dürfte als erste politisch voll korrekte Öko-Operette der Musikgeschichte durchgehen. Wobei Thomas Weber-Schallauer in bekannter Manier zu Übertreibungen neigt beim aktualisierten Stichwort-Vokabular von Abschiebung und Asyl über Migration bis hin zu Überfremdung. Dankenswerterweise ist die Apokalypse nach in jeder Hinsicht turbulenten 150 Minuten noch einmal aufgeschoben…

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Neben Alfia Kamalova als verführerische Venus und Vivien Lacomme als ständig mit Selfie-Stick auf Follower-Jagd befindlicher Mars noch unbedingt zu nennen drei bemerkenswerte Sänger-Darsteller: Dongmin Lee als Stella, Martin Homrich als Prinz Sternschnuppe und Lina Hoffmann („Glühwürmchen-Idyll“) als Mondgroom. Kein Wunder, dass bis hin zur rauschenden Silvester-Aufführung sogleich alle Tickets ausverkauft waren.

Vergangene Termine (5) anzeigen...
  • Donnerstag, 9. April 2020, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 30. April 2020, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 16. Mai 2020, um 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 10. Juni 2020, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 12. Juni 2020, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann