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Najmeh (Soheila Golestani) und ihre Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki, v.l.) müssen sich in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ einer demütigenden Befragung unterziehen.

Deutscher „Oscar“-Beitrag auf der Shortlist

Die Saat des heiligen Feigenbaums

Update, Donnerstag (16.1.2025)

Läuft weiterhin im Casablanca Bochum, in der Schauburg Dortmund, im Luna im Astra Essen sowie im Atelier Düsseldorf.

Der Kino-Text

Herbst 2022. Eine Pistole und acht Kugeln sind dem linientreuen Staatsanwalt namens Iman (Misagh Zare) ausgehändigt worden. Er soll sich in seinem neuen Amt als Ermittlungsrichter des Teheraner Revolutionsgerichts selbst verteidigen können in diesen unsicheren, von Protesten auf den Straßen nicht nur der iranischen Hauptstadt geprägten Zeiten. Zumal er sich in seiner bisherigen Ermittlertätigkeit für das Mullah-Regime nicht gerade Freunde gemacht hat und zu Kompromissen gezwungen war, die ihn unglücklich gemacht haben.

Seine Gattin Najmeh (Soheila Golestani) ist wenig erfreut über die Waffe in der Wohnung und noch weniger, dass die Familie nun noch mehr unter ständiger Beobachtung der Behörden steht: Der Hijab ist in der Öffentlichkeit Pflicht und Posts in den sozialen Medien mit verräterischen Fotos sind künftig tabu.

Andererseits ist Najmeh stolz auf die Beförderung ihres Mannes und kann es kaum erwarten, in die ihnen nun zustehende Vier-Zimmer-Wohnung umzuziehen. Müssen sich beide Töchter, die 20-jährige Rezvan (eindrucksvolles Debüt: Mahsa Rostami) und die jüngere, noch sehr kindliche Schwester Sana (Setareh Maleki), doch nicht länger mehr ein Zimmer teilen.

Proteste gefährlich für den Vater

Während Sana noch zur Schule geht, studiert Rezvan an der Universität. Die von dort ausgehende Protestbewegung könnte für ihren Vater ebenso gefährlich werden wie ihre Freundin und Kommilitonin Sadaf (Niousha Akhshi), weil die Religionspolizei Protestierende als Kriminelle einstuft und entsprechend verfolgt. Als Sadaf bei einer Demonstration eine Ladung Schrot ins Gesicht geschossen wird, bringen Rezvan und Sana die Verletzte zu sich nach Hause. Wo ihre Mutter Najmeh die Wunden versorgt, da in einem Krankenaus die sofortige Inhaftierung droht.

Doch aus Rücksicht auf Iman darf Sadaf nicht bleiben. Als sie kurze Zeit später die Wohnung verlässt, wird sie verhaftet. Ein deutliches Zeichen dafür, dass auch der Richter und seine Familie unter Beobachtung stehen. Und dann verschwindet auf mysteriöse Weise die Pistole Imans aus der Schublade seines Nachttischs. Natürlich wird sogleich Sadaf verdächtigt, zumal Gattin und Töchter standhaft leugnen, sie entwendet zu haben.

Gegen das eigene Gewissen

Iman, der sich zunächst geweigert hat, Todesurteile ohne vorherige eigene Prüfung zu unterzeichnen, sieht sich einem großen Druck durch die Behörden ausgesetzt. Wird er als Querulant angesehen, droht ihm selbst ein Prozess – mit höchst ungewissem Ausgang. Also ist er bereit, gegen das eigene Gewissen zu handeln. Zumal er daheim nur Gattin Najmeh auf seiner Seite weiß: die Töchter rebellieren selbst beim gemeinsamen Abendessen mit den Eltern gegen das mittelalterliche Frauenbild des Regimes und der geistlichen Führer Irans.

Gattin Najmeh (Soheila Golestani) ist alles andere als begeistert, als der zum Richter ernannte Iman (Misagh Zare) ihr seine Waffe präsentiert, die er zum Selbstschutz erhalten hat.

Fatemeh (Shiva Ordooei), eine Freundin Najmehs, ist die Gattin eines gewieften Ermittlers, der mit Psychologie und der Analyse von Körpersprache herausfinden will, welches Familienmitglied die Waffe an sich genommen hat. Als der Versuch scheitert, packt der zunehmend misstrauische und paranoide Iman, inzwischen von einem Freund im Amt heimlich mit einer zweiten Waffe ausgestattet, seine Familie ins Auto: die Flucht aus Teheran endet in seinem Geburtsort, einer Hütte in den Bergen. Dort will er sie zur Rede stellen und notfalls mit Gewalt Antworten auf seine Fragen erhalten. Damit beschwört er eine Eskalation herauf, die in einer Katastrophe endet…

Frau, Leben, Freiheit

Muhammad Rasoulof, der 2020 auf der Berlinale für „Doch das Böse gibt es nicht“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden ist, wurde 2022 verhaftet und verfolgte die immer stärkere Ausmaße annehmenden Jina-Proteste („Frau, Leben, Freiheit“) nach dem Tod von Mahsa Amini aus dem Gefängnis heraus. Fasziniert von der Größe der Proteste und dem Mut der Frauen war dem Regisseur klar, dass er nach der Haft diesen Frauen ein filmisches Denkmal setzen musste.

Unter großer Geheimhaltung wurde im Iran gedreht mit mutigen Darstellern wie Soheila Golestani in der Rolle der Najmeh, die als Jina-Protestantin selbst eingesperrt worden war. Weil Rasoulof nach der Uraufführung seines Films, in dem authentische Handy-Videos die brutale iranische Polizeigewalt dokumentieren, eine neue Haft bevorstand, floh er ins Exil.

Muhammad Rasoulof zur Wahl des metaphorischen Filmtitels, bei dem es sich um eine Schmarotzerpflanze handelt, die ihren „Wirt“ erwürgt: „Ich habe lange Zeit auf einer der südlichen Inseln des Iran gelebt. Auf dieser Insel gibt es ein paar alte, heilige Feigenbäume. Der Lebenszyklus dieses Baumes erregte meine Aufmerksamkeit. Seine Samen fallen durch Vogelkot auf die Äste anderer Bäume. Die Samen keimen dann, und ihre Wurzeln wandern in Richtung Boden. Wenn die Wurzeln den Boden erreichen, steht der heilige Feigenbaum auf eigenen Füßen und seine Äste erdrosseln den Wirtsbaum.“

Polit-Thriller geht unter die Haut

Der 167-minütige, auch nach all‘ den anderen Iran-Filmen mit ähnlicher Thematik unter die Haut gehende Polit-Thriller „The Seed oft he Sacred Fig“ ist nach erfolglosen Protesten des iranischen Regimes am 24. Mai 2024 im Wettbewerb der 77. Filmfestspiele Cannes uraufgeführt und u.a. mit dem Spezial-Preis der Jury ausgezeichnet worden. Weitere Preise gab es 2024 beim Chicago Film Festival (Silberner Hugo, Bestes Drehbuch), beim Filmfestival El Gouna/Ägypten (Arab Critics' Award for European Films), auf der Filmkunstmesse Leipzig (Preis der Jugendjury) sowie vom Verband der Gilde-Kinos (Bester Film international zusammen mit „Emilia Perez“).

Nach der deutschen Erstaufführung am 27. September 2024 beim Filmfest Hamburg ist „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ als deutscher „Oscar“-Beitrag nominiert worden. Er hat es auf die Shortlist gebracht und startet am Donnerstag, 26. Dezember 2024 in den Kinos, bei uns zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Dortmund, im Luna im Astra Essen sowie im Atelier Düsseldorf.

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  • Donnerstag, 26. Dezember 2024
Donnerstag, 26. Dezember 2024 | Autor: Pitt Herrmann