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Dimitrij Schaad und der Titeldarsteller.

Bestseller-Verfilmung auch in Herne

Die Känguru-Chroniken

In seiner Kreuzberger WG wohnt der Kleinkünstler Marc-Uwe Kling (Dimitrij Schaad), der naturgemäß nicht Kleinkünstler genannt werden will, seit kurzem und höchst unfreiwillig mit einem sprechenden Känguru zusammen, das eines Tages auf seiner Türschwelle stand und sich sogleich bei ihm eingenistet hat. Ein fauler, den Tag am liebsten in der Hängematte verbringender Schnorrer, vor dessen Beredsamkeit selbst der klügste Dialektiker kapituliert: „'Kannst du heute mal bezahlen?', fragt das Känguru nach dem Essen. „Heute?“, frage ich, „Mal?“, frage ich. „Ich muss immer bezahlen, weil du nie Geld mitnimmst.“ 'Tja“, sagt das Känguru lächelnd. 'So ist das in der Welt. Der eine hat den Beutel, der andere hat das Geld.'“

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2009 brachte Ullstein die erste von inzwischen drei Textsammlungen der stets hintergründig-witzigen, häufig sehr aktuell-politischen, dazwischen aber auch 'mal belanglosen oder gar flachen Radiofeuilletons des zweimaligen deutschen Poetry-Slam-Meisters Marc-Uwe Kling unter dem Titel Die Känguru-Chroniken heraus, die er für das zum Rundfunk Berlin-Brandenburg gehörende Radio Fritz verfasst hat. Im Jahr darauf wurde der auch selbst in Kreuzberg lebende Sänger (selbstgeschriebener kapitalismuskritischer Lieder) und Texter für seine Radiokolumne Neues vom Känguru mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet.

v.l. Adnan Maral, Rosalie Thomass, Tim Seyfi und Dimitrij Schaad.

Keine Frage, dass das satirische Material schon seit längerem einer Verfilmung harrte. Doch was machen mit der allegorischen Figur des schnapspralinensüchtigen Kängurus, das sich als kommunistisch versteht, weil es die Vergesellschaftung aller Mittel, also nicht nur klassischerweise der Produktionsmittel, für notwendig erachtet, gleichzeitig aber das Dösen in der WG-Hängematte bereits für passiven Widerstand gegen unsere ausbeuterische kapitalistische Klassengesellschaft hält? Und was machen mit den 'mal bissigen, 'mal absurden, 'mal pointiert zugespitzten oder auch augenzwinkernd-ironischen Texten etwa über die Rote Armee Fraktion, die inzwischen ebenso obsolet geworden sind wie die dummdreisten Sponti-Sprüche mit dem langen Methusalem-Bart?

Die Berliner Filmemacher Stefan Arndt und Uwe Schott von X Filme Creative Pool und Regisseur Dani Levy, der mit Henry Hübchen seinen größten Kinohit „Alles auf Zucker“ drehte, haben sich gegen einen aktualisierten Rahmen für die manchmal nur eine einzige Taschenbuch-Seite füllenden Miniaturen entschieden und, zusammen mit dem Autor Marc-Uwe Kling, eine eigenständige neue Story erfunden. Darin werden der rechtspopulistische Immobilienhai Jörg Dwigs (Henry Hübchen) und seine vor allem politisch ehrgeizige Frau Jeanette (Bettina Lamprecht) bekämpft, die mit einem gigantischen Bauprojekt den Kreuzberger Multikulti-Kiez und insbesondere das Drogenidyll des Görlitzer Parks bedrohen.

Leider ist bei dem Vorhaben, einen möglichst publikumswirksamen Kassenknüller zu produzieren, sämtlicher intellektueller Gehalt der Radiofeuilletons auf der Strecke geblieben. Und nicht nur das: die hinzuerfundene Liebesgeschichte mit Nachbarin Maria (Rosalie Thomass) bleibt so blass wie der Humor binnen 93 Minuten flach. Auch Dimitrii Schaad kann überraschenderweise nicht annähernd sein Potential abrufen: der Schauspieler (am Berliner Maxim-Gorki-Theater), Regisseur, Dramatiker und „Ernst Busch“-Dozent, 1985 in Kasachstan geboren und seit 1993 in Deutschland lebend, kam nach seiner Ausbildung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding und der Theaterakademie St. Petersburg ins Ruhrgebiet. Nach einem ersten Engagement in Essen gehörte er von 2010 bis 2013 zum Ensemble des Schauspielhauses Bochum an, wo er für die Titelrolle in Shakespeares „Hamlet“ mit dem Bochumer Theaterpreis und beim NRW-Theatertreffen als Bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet wurde.

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Immerhin gibt es einige positive Ausnahmen im Cast: Carmen-Maja Antoni als hier im Kiez „hinterm Tresen“ geborene Kreuzberger Wirtin mit Herz und Schnauze, Frühsport mit Helge Schneider im TV, Schauspiel-Urgestein Axel Werner als unkonventioneller Richter und nicht zuletzt der österreichische Schauspieler und Theatermacher Paulus Manker als Psychotherapeut. Was kein Wunder ist: seine Szenen gehören zu den wenigen, die ganz nah an der Originalvorlage sind. Hinter dem per VFX-Technik in die Spielhandlung animierte Känguru-Figur steckt übrigens der Komiker Volker Zach, der im Motion Capture Suit samt langem Beuteltier-Schwanz vor der Kamera Filip Zummbrunns agierte. Die Känguru-Chroniken sind am 5. März 2020 bundesweit in die Kinos gekommen und auch in der Filmwelt Herne zu sehen.

| Quelle: Pitt Herrmann