
VHS-Filmforum in der Filmwelt Herne
'Der vermessene Mensch'
Berlin, Treptower Park, im Jahr 1896. Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher), Doktorand an der Friedrich-Wilhelms-Universität, ist ein so ehrgeiziger wie idealistischer Ethnologie. Wie sein verstorbener Vater, ein weitgereister Völkerkundler, will der wissenschaftliche Assistent von Professor Josef Ritter von Waldstätten (Peter Simonischek) die Kulturen anderer Völker bewahren.
Als im Zuge der „Deutschen Kolonial-Ausstellung” eine Delegation von Herero und Nama aus der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ nach Berlin reist, lernt Hoffmann die Dolmetscherin der Gruppe, Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama), auf der sog. Völkerschau kennen. Sie ist in der Hoffnung nach Deutschland gekommen, im Gespräch mit Politikern und womöglich sogar mit dem Kaiser nach diplomatischen Lösungen für den zunehmend gewalttätigen Konflikt in ihrer Heimat zu finden.
Würdelose Prozedur
Hoffmann und seine Kommilitonen nehmen als Teil einer von Rassismus und Sozialdarwinismus geprägten Wissenschaftswelt damals übliche Schädelvermessungen vor. In einer würdelosen Prozedur tragen sie Schädelbreite, Nasenabstand und die Zahl der Zähne in Listen ein. Die reale Figur des im Film von Anton Paulus verkörperten Friedrich Maharero, Sohn des berühmten Ovaherero-Führers Samuel Maharero, verfasste später einen bitteren Bericht über seine Teilnahme an der Berliner Kolonialschau.

Hoffmann entwickelt ein intensives Interesse an den Herero und Nama – und widerspricht nach den Begegnungen und Gesprächen mit ihnen der gängigen evolutionistischen Rassentheorie. Nachdem der Aufstand der indigenen Völker in der Kolonie niedergeschlagen worden ist, beginnen die Kolonialherren einen blutigen Vernichtungskrieg. Hoffmann reist im Schutz der kaiserlichen Armee durch das Land und sammelt für das Berliner Völkerkundemuseum zurückgelassene Artefakte und Kunstgegenstände.
Auf der Suche nach Beweisen
In Wahrheit jedoch sucht er weiter nach Beweisen für seine wissenschaftliche These – und nach Kezia. Vor Ort erlebt Hoffmann mit, wie deutsche Soldaten rund um den Waterberg im Herero-Gebiet mit unmenschlicher Härte einen Militärbefehl vom 2. Oktober 1904 ausführen, der nicht weniger zum Ziel hat als die Auslöschung eines ganzen Volkes. Die „Proklamation“ des Generalleutnants Lothar von Trotha (Alexander Radszun) ist ein direkter Aufruf zum Völkermord: „Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf“. Doch auch der Ethnologe Hoffmann überschreitet moralische Grenzen, als er einwilligt, seinem Berliner Professor Schädel und Skelette von toten Herero zum Zwecke der Forschung zu schicken...
Nach „Das schweigende Klassenzimmer“ und „Der Staat gegen Fritz Bauer“ widmet sich der Drehbuchautor und Regisseur Lars Kraume erneut der deutschen Geschichte – diesmal einem nahezu unbeleuchteten, aber hochaktuellen Kapitel: Den Kolonialverbrechen, die Deutschland zur Jahrhundertwende 1900 in „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia, begangen hat. Der Genozid zwischen 1904 und 1908 hat bis zu 60 000 Ovaherero und rund 10 000 Nama das Leben gekostet.
Ur-ur-Großmutter der Schauspielerin selbst betroffen?
In der Hauptrolle spielt Leonard Scheicher („Das schweigende Klassenzimmer“, „Das Boot“) neben der namibischen Schauspielerin Girley Charlene Jazama („The White Line“), selbst Angehörige der Herero. Ihre Ur-ur-Großmutter soll eine Gefangene des Konzentrationslagers „Alte Feste“ gewesen und dort vergewaltigt worden sein. Die genauen Umstände sind nie geklärt worden, doch wurde ihre Urgroßmutter 1909 dort geboren. Nach den Erzählungen einer Tante war sie eine „Tee-Dame“ des dortigen Kommandeurs.
„Der vermessene Mensch“ wurde am 22. Februar 2023 in der „Special“-Reihe der 73. Berlinale uraufgeführt und kam am 23. März 2023 in unsere Kinos. Das Filmforum der Volkshochschule zeigt den 116-minütigen Spielfilm am Sonntag, 25. Juni, um 12.30 Uhr, am Montag, 26. Juni, um 17.30 Uhr sowie am Mittwoch, 28. Juni 2023, um 20:15 Uhr in der Filmwelt Herne.
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- Sonntag, 25. Juni 2023, um 12:30 Uhr
- Montag, 26. Juni 2023, um 17:30 Uhr
- Mittwoch, 28. Juni 2023, um 20:15 Uhr