halloherne.de

lokal, aktuell, online.
Der Trafikant. im Bild: Simon Morze und Bruno Ganz.

Neu im Kino

Der Trafikant

Schörfling am Attersee, 1937. Ein junger Mann sitzt an einem See, als ein Gewitter aufkommt und wird Zeuge, wie der Gastwirt Loris Preininger (Fritz Egger), der aktuelle Beschützer seiner Mutter Margarete, vom Blitz erschlagen wird. So muss der 17-jährige Franz Huchel (berührend naive Offenheit: Simon Morze) die heimatliche Alpenidylle verlassen, um in der Metropole Wien beim kriegsversehrten Trafikanten Otto Trsnjek (brummig auf den ersten, herzlich auf den zweiten Blick: Johannes Krisch), einem früheren Liebhaber seiner Mutter (Regina Fritsch), in die Lehre zu gehen. Der vaterlos aufgewachsene Franz bewohnt eine kleine Kammer im Laden und lernt bei seinem Ersatzvater, der im ersten Weltkrieg ein Bein verloren hat, nach und nach die große Welt kennen. Und wie sie sich im Kleinen widerspiegelt.

Anzeige: DRK 2024 1

Zu den Stammkunden des kleinen Geschäftes für Zeitungen, Zeitschriften, darunter auch anzügliche wie „Mocca“, das „zärtliche Magazin“, unter dem Ladentisch, Ansichtskarten und Tabak gehört neben dem stadtbekannten Sozialisten Roter Egon (Michael Fitz) auch der 82-jährige, von seiner Krebserkrankung gekennzeichnete „Deppendoktor“ Professor Sigmund Freud (ratloser Weiser: Bruno Ganz). Als dieser einmal seine Havanna-Import-Zigarren im Laden vergisst, trägt Franz sie ihm in die Berggasse nach – und kommt so mit dem berühmten Mann, der daheim von seiner Gattin Martha (Elfriede Irral) und Tochter Anna (Karoline Eichhorn) umsorgt wird und nur noch wenige, zumeist ausländische Patienten wie Mrs. Buccleton (Barbara Spitz) behandelt, ins Gespräch.

„Wenn der Kopf nicht weiter weiß, soll man dem Herzen folgen“: Als Franz sich beim Hernalser Kirtag Hals über Kopf unglücklich in die schöne, zwar nur um wenige Jahre ältere, aber wesentlich reifere böhmische Variete-Nackttänzerin Anezka (so raffiniert wie frivol: Emma Drogunova) verliebt, sucht er Rat bei dem lebenserfahrenen Psychoanalytiker, der mit Gesprächen auf langen gemeinsamen Spaziergängen so etwas wie sein väterlicher Freund geworden ist. Freud gibt ihm zwar zur Aufgabe, seine Träume aufzuschreiben, belässt es aber im Grunde mit Küchenweisheiten dieser Art: „Mit Zigarren ist es wie mit den Frauen. Wenn Du zu fest an ihnen ziehst, verweigern sie den Genuss.“

Schörfling am Attersee, 1938. Margarete Huchel, die sich kaum den Zudringlichkeiten des neuen Dorfwirts (Rainer Doppler), eines verkappten Nazis, erwehren kann, lernt beim Pfarrer (Carl Achleitner) das Fotografieren. Und kann ihrem geliebten Sohn, dem sie regelmäßig Briefe schreibt, ein Bild von sich in die Hauptstadt schicken – als kleiner Gruß aus dem heimatlichen Salzkammergut.

Wien, 1938. Im Vorstadt Nachtclub Schwarze Katze, in dem sich die schöne Böhmin als barbusige indianische Tänzerin verdingt, haben jetzt Judenwitze die Hitler-Parodien abgelöst. Der von der Liebe geplagte und von Anezka als Burschi verspottete Heranwachsende wird schlagartig politisiert, als er mitansehen muss, wie sich der Rote Egon vom Dach eines Hauses in den Tod stürzt, um sich den nationalsozialistischen Mördern zu entziehen, die inzwischen auch in Adolf Hitlers Heimatland die Macht übernommen haben. Endgültig zum Mann reift Franz heran, als der faschistische Fleischhauer Rosshuber (Raiser Wöss), nicht zuletzt angestachelt von seiner eifersüchtigen Gattin (Sabine Herget), den bis zuletzt vorbildlich-demokratischen Otto Trsnjek, der sich bis zuletzt konsequent weigerte, die National-Zeitung anzubieten, denunziert, der unter dem Vorwand der Verbreitung unzüchtiger Druckerzeugnisse verhaftet wird.

Nun ist über Nacht Franz Huchel der Trafikant – und macht sich die liberal-demokratische Haltung seines Vorgängers, von dem bald nur noch ein Päckchen mit persönlichen Gegenständen wie Schlüssel, Geldbörse und Hut übrig bleiben, nachdem er in Haft einem Herzleiden erlegen sein soll, zu eigen. So bedient er ganz selbstverständlich auch weiterhin die nun immer heftiger in der Öffentlichkeit verleumdeten, ja unter den Augen der Polizei körperlich angegriffenen jüdischen Kunden. Seinen prominentesten, mit dem er sich öffentlich nur noch im Hinterzimmer des Cafe Central verabreden kann, verliert er: Sigmund Freund emigriert nach England und erhält von Franz kostbare kubanische Zigarren als Abschiedsgeschenk.

„Hier kauft der Jud“ prangt an der Scheibe der mit blutigen Tierkadavern verwüsteten Trafik. Schon als er sich seinerzeit im Nazi-Hauptquartier nach dem Verbleib des verhafteten Otto Trsnjek erkundigt hatte, holte sich Franz eine blutige Nase und einen ausgeschlagenen Zahn. Er lässt sich auch weiterhin von den Zumutungen der braunen Schergen von der Geheimen Staatspolizei (Hermann Scheidleder) und der SS (Tom Hanslmaier und der Buchautor Robert Seethaler) nicht unterkriegen. Als er eines Nachts vor dem Nazi-Hauptquartier die Hakenkreuzflagge durch die einbeinige Kriegsversehrten-Hose des ermordeten Otto Trsnjek ersetzt, gelingt Franz ein kleiner trotziger Triumph. Sein letzter…

Mit „Der Trafikant“ ist Nikolaus Leytner („Schwarzfahrer“, „Drei Herren“, „Der Besuch der alten Dame“) eine kongeniale, sich eng an die Vorlage von 2012 haltende und doch eigenständige Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Robert Seethaler gelungen, die am 1. November 2018 bundesweit startet und hierzulande u.a. im Casablanca und Metropolis Bochum gezeigt wird. Leytner trifft zum einen den bittersüßen Tonfall des Romans, einer Coming-of-Age-Geschichte vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Nazi-Machtübernahme Österreichs.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

Zum anderen baut der 1957 in Graz geborene Regisseur die berührende Annäherung, ja am Schluss gar Freundschaft zwischen dem jungen Träumer Franz und dem reifen Weltbürger Freud noch aus – und visualisiert die im Roman nicht so explizit ausformulierten Traumsequenzen. Die allerdings auch im Film nur Ansätze bleiben, mit denen Franz nichts anzufangen weiß. Leytner: „Ich habe versucht, die Träume sehr intuitiv zu erfinden. Es gibt darin Elemente, die so im wirklichen Leben nicht zueinander gehören. Die gehen in diesen Bildern eine neue Beziehung ein und können so vielleicht im Kopf des Zuschauers etwas anstoßen.“

| Autor: Pitt Herrmann