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Szene aus

Zum 100. Todestag Franz Kafkas

'Der Prozess' im Prinz Regent Theater

„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet“: In Franz Kafkas Fragment gebliebenem Roman „Der Prozess“, entstanden 1914/15 und erstmals publiziert 1925, ist Josef K. ein Bankprokurist in Prag, der ein ruhiges, beinahe glückliches Leben führt. Wir erfahren, dass er keine „Familie“ hat, sondern zur Untermiete wohnt bei einer Frau, mit der er ein beinahe familiäres Verhältnis pflegt – höfliche Umgangsformen wahrend und alle Bescheidenheit eines Quasi-Beamten mit geregeltem Arbeits- und Tagesrhythmus an den Tag legend.

Wir erfahren weiter, dass er von einem anonym bleibenden Gericht angeklagt wird. Doch der Grund dieser Anklage, sein angebliches Vergehen, wird nicht deutlich, ebensowenig der Antrieb dieser unbekannten Macht, ausgerechnet Josef K. in den Mittelpunkt eines Prozesses zu stellen.

Versuch, seine Unschuld zu beweisen

Wir werden Zeuge, wie dieses Verfahren Josef K. aus seinen gewohnten Bahnen wirft, wie er vergeblich versucht, seine Unschuld nachzuweisen. Wir lernen Bekannte des Josef K. kennen, die ihm vermeintlich gut Ratschläge erteilen. Und wir lernen Angehörige der „Unterschicht“ kennen, die sich zu einer Art Nebenkläger aufschwingen, ohne ihre Motivation oder gar Legitimation preiszugeben.

Die Paradoxie unseres Daseins, so die gängige Lesart, ist die Quintessenz der Werke Kafkas. Danach handelt „Der Prozess“ vom aussichtslosen Kampf des Einzelnen gegen die staatliche Bürokratie oder eine andere undurchschaubare Macht, handelt von der Verstrickung in ein Beziehungsgeflecht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und das solchermaßen verknotet ist, dass nur noch das bittere Ende, am Vorabend seines 31. Geburtstages wird Josef K. in einem Steinbruch vor den Toren der Stadt mit einem großen Fleischermesser ermordet, nicht jedoch der Anfang, der Ursprung, erkennbar wird.

Andere Lesart möglich

Dabei ist auch eine ganz andere Lesart möglich. In einem Bericht über eine Lesung des Autors in seinem Prager Freundeskreis heißt es in Max Brods Kafka-Biographie: „So zum Beispiel lachten wir ganz unbändig, als er uns das erste Kapitel des „Proceß“ zu Gehör brachte. Und er selbst lachte so sehr, daß er weilchenweise nicht weiterlesen konnte.“ Josef K. eine tragikomische Figur, die sich allen Ernstes eine Schuld aufoktroyieren lässt, die es gar nicht gibt? Und deshalb ungewollt selbst Bestandteil eines irrwitzig-surrealen Systems wird?

Leni (Nicolas Martin) bietet Josef K. (Jonny Hoff) ihre Hilfe beim bevorstehenden Prozess an – und nimmt ihn schon ‘mal huckepack.

Zum 100. Todestag Franz Kafkas hat das Leitungsduo des Prinz Regent Theaters, Anne Rockenfeller und Hans Dreher, eine Dramatisierung des 220-Seiten-Romans in Auftrag gegeben, zumal die letzte Bochumer „Prozess“- Inszenierung lange zurückliegt: 2012 bildmächtig als in einer Nervenklinik spielendes Zehn-Personen-Stück von Julila Baccar und Fahdel Jaibi in den Kammerspielen des Schauspielhauses in Szene gesetzt mit Marco Massafra als Josef K.

Remo Philipp hat sich dem Stoff angenommen

Nun hat sich Remo Philipp dem Stoff angenommen und sich ganz offenbar an die Schilderung Max Brods über eine Lesung des Autors im Freundeskreis erinnert: Die gut zweistündige Inszenierung des Absolventen des Regie-Studiengangs der Folkwang-Universität, der nach mehreren Produktionen im Bochumer Rottstr5-Theater, am Staatstheater Mainz und den Bühnen Halle/Saale erstmals am Prinz Regent Theater Regie führt, beginnt furios – mit einer Pantomime.

In Clara Eigeldingers Bühnen-Environment aus plastikverpackten Häusern auf sich allmählich auflösendem grünen Rasen tragen Franz (der Bühnentechniker Dennis Philipp, jüngerer Bruder des Regisseurs) und Willem (die Regieassistentin Kerstin Sommer) ein museumsreifes Radiogerät herein, aus dem immer wieder die Erzählerstimme Hans Drehers zu hören ist. Und tolle Oldies vom herrlich schrägen Humor des Regisseurs zeugen – von „A Beautiful Morning“ (The Rascals, 1968) über „Torn Between to Lovers“ (Mary MacGregor, 1976) und „Last Christmas“ (Wham, 1984) bis hin zu „The Winner Takes It All“ (Abba, 1980).

Absurde Komödie

Remo Philipp konterkariert nicht nur die eingefahrenen Sehgewohnheiten des Publikums, sondern befreit Franz Kafka von der erdenschweren Interpretations- und Rezeptionsgeschichte seiner Werke. Eine absurde Komödie mit zwei Klasse-Darstellern, soviel Dialog muss bei einer Dramatisierung fürs Theater schon erlaubt sein: Jonny Hoff, der als Seemann in „Moby Dick“ am PRT glänzte, als Josef K., der von Clemens Malinowski immer wieder in Großaufnahme auf die Videowand geworfen wird.

Sowie Nicolas Martin, zuletzt „Hal Hannah Hannibal“, in atemlos-fliegendem Rollenwechsel als Aufseher, Fräulein Bürstner, Onkel, Untersuchungsrichter, Waschfrau, Gerichtsdiener, Advokat, Kanzleidirektor, Leni, Prügler, Titorelli, Geistlicher und Stimme im Telefon. Aber auch das Publikum wird eingebunden in der Gerichtsszene, in der Franz und Willem als Wächter wieder auf der Bühne erscheinen.

Karten unter prinzregenttheater.de oder Tel. 0234 – 771117. Weitere Termine:

  • Samstag, 21. Dezember 2024, 19:30 Uhr
  • Samstag, 4. Januar 2025, 19:30 Uhr
  • Samstag, 18. Januar 2025, 19:30 Uhr
Der Kunstmaler Titorelli (Nicolas Martin im Leuchtrahmen) ist für Josef K. (Jonny Hoff) nicht wirklich eine Hilfe.
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  • Samstag, 21. Dezember 2024, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 4. Januar 2025, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 18. Januar 2025, um 19:30 Uhr
Freitag, 20. Dezember 2024 | Autor: Pitt Herrmann