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Auch eine Delta-Variante - der Delta-Flieger. Schießen wir unsere Kinder ohne eine Impfempfehlung ab?

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Der Lockdown für unsere Jugend kommt

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat entschieden, keine allgemeine Corona-Impfempfehlung für Kinder zwischen 12 und 16 Jahren auszusprechen. Nach ihrer Meinung reichten die Daten für die Empfehlung einer Impfung bei allen gesunden Kindern bei Weitem nicht aus.

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Was bedeutet das? Wenn ein Arzt Patienten unter 16 Jahren impft, handelt es sich somit um einen so genannten „Off label use“, eine zulassungsüberschreitende Anwendung. Im Prinzip haften in diesen Fällen die Ärzte nicht nur für die medizinische Richtigkeit und für eventuelle Nebenwirkungen, auch an die Aufklärung der Patienten werden extrem hohe Anforderungen gestellt. Zwar ist der Biontech-Impfstoff von der EMA, der europäischen Behörde, zugelassen. Dennoch kann ich die Kollegen verstehen, die unter den gegebenen Umständen Jugendliche unter 16 Jahren nicht impfen, weil sie die rechtlich möglichen Folgen fürchten.

Über wen reden wir eigentlich? Kinder? Ja, rechtlich betrachtet reden wir über Kinder, tatsächlich aber werden hier junge Menschen bevormundet, die bereits sehr differenziert über ihr Dasein nachdenken können, die sehr mobil und in sozialen Netzen von beträchtlicher Ausdehnung unterwegs sind. Richtigerweise wurden in den letzten Monaten die katastrophalen Folgen der sozialen Vereinsamung dieser Generation von allen, die dazu etwas zu sagen zu haben glaubten, insbesondere auch von den Ärzten für Kinder- und Jugendmedizin, thematisiert. Die Tatsache, dass die Inzidenz gerade in dieser Bevölkerungsgruppe seit Monaten die höchsten Werte erreicht, wurde dabei weitgehend ausgeblendet.

Demgegenüber hält der Virologe Christian Drosten an seiner Einschätzung zu einer Ansteckungsgefahr auch durch Kinder beim Coronavirus fest. Danach hat sich eine ungefähr gleich große Infektiosität aller Altersgruppen in mehreren Studien bestätigt. Zwar seien in Proben der jüngsten Kinder zwischen 0 und 5 Jahren die niedrigsten Viruslasten gefunden worden, die für ein Superspreading wahrscheinlich nicht ausreichen würden. Bei älteren Kindern und Jugendlichen würden sich die Werte mit steigendem Alter denen der Erwachsenen angleichen.

Wenn ich die Meldungen aus der STIKO richtig deute, orientiert sie sich an der rein medizinischen Frage, ob die Impfung eine Risikominimierung gegenüber einer Infektion mit dem Coronavirus darstellt. Dabei wird die Position der STIKO nicht nur vom fehlenden individuellen Nutzen einer Impfung für Kinder geprägt, sondern auch von den Auswirkungen auf die generelle Impfkampagne und den Fortgang der Pandemie. Angeblich sei kein nennenswerter Unterschied erkennbar, wenn sämtliche Kinder dieser Altersgruppe oder lediglich vorerkrankte Kinder geimpft würden.

Wenn also junge Menschen im Alter von 12 – 15 Jahren nicht geimpft werden sollen, wie soll man dann mit ihnen unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung einer Weiterverbreitung der Infektion verfahren? Sollen sie sich weiterhin vor jedem Event, jedem Schulbesuch testen lassen? Zur Erinnerung: Ein Schnelltest bietet eine relative Sicherheit für 5 – 6 Stunden. Zur Qualität der Testung in den wie Pilze aus dem Boden sprießenden Testbuden will ich hier gar nicht explizit Stellung beziehen. Nur soviel – die Annahme, dass mehr als die Hälfte der entnommenen Proben ein aussagefähiges Resultat liefern, halte ich für ziemlich optimistisch.

Für Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr gibt es seitens der STIKO allerdings durchaus eine generelle Impfempfehlung. Dabei unterscheidet sich das gesundheitliche Risiko durch die Impfung der 16 – 25Jährigen nicht von dem der 12 – 16Jährigen.

Derweil breitet sich die Delta-Variante des Virus, die noch einmal ca. 50% infektiöser sein soll als die zuvor dominierende Variante Alpha, besser bekannt als „britische Variante“, rasant aus. Unter britischen Schülern ist in der Woche zum 20. Juni die Zahl der infizierten Fünf- bis Neunjährigen im Vergleich zur Vorwoche um 70 Prozent gestiegen, bei den Zehn- bis 14-Jährigen betrug das Plus 56 Prozent.

Lassen sich Infektionen bei Kindern und Jugendlichen tolerieren, da sie meist nicht schwer erkranken? Machen wir uns nichts vor. Wenn Kinder und Jugendliche nicht geimpft werden, wird das Virus diese Altersgruppe letztlich annähernd vollständig durchseuchen. Und sie sind ja nicht völlig vor Spätfolgen gefeit. Das Long-Covid-Syndrom ist auch bei Jugendlichen, die nur einen milden oder fast symptomlosen Akutverlauf hatten, keinesfalls eine medizinische Rarität. Wesentlich höhere Inzidenzen in den jungen Altersgruppen würden auch zu mehr schweren Krankheitsfällen führen – trotz des eigentlich sehr geringen Anteils an solchen Verläufen. Zudem gibt es Hinweise, dass die Delta-Variante gerade bei jüngeren eine deutlich erhöhte Virulenz, also eine stärker krankmachende Wirkung, hat.

Nicht zuletzt würde eine Ausbreitung des Infektionsgeschehens in dieser Altersgruppe auch zu einem Anstieg der Krankenhauszahlen führen. Einerseits sind derzeit erst 50% der Erwachsenen vollständig geimpft, andrerseits können oder wollen sich nicht alle Erwachsenen impfen lassen. Darauf zu spekulieren, dass die jungen Leute kein Hort des persistierenden Infektionsgeschehens seien, halte ich geradezu für Ignoranz.

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Schlussendlich wird, wenn man bei der ablehnenden Haltung zu einer Impfung für Kinder und Jugendliche bleibt - ich würde auch die Impfung der Kinder unter 12 Jahren ins Auge fassen – der Lockdown nur für diese Altersgruppe wohl kaum zu umgehen sein. Die sozialen Folgen für Kinder und Jugendlich scheint die STIKO weitgehend ausgeblendet zu haben.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey