halloherne.de

lokal, aktuell, online.
v.l. Thomas Huber, Gina Haller, William Cooper und Risto Kübar.

Liebe in Zeiten von Krankheit

Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat

Im Paris der 1980er-Jahre verliebt sich der Schriftsteller, Fotograf und „Le Monde“- Filmkritiker Hervé Guibert (auch als Ich-Erzähler: ein überragend-feinfühliger Risto Kübar) mit Vincent (William Cooper) in einen jungen, sich bisher aber als heterosexuell verstehenden Mann. Der sich abwechselnd von Hervés starkem sexuellen Begehren angezogen und abgestoßen fühlt. Als Vincent von einer längeren Reise zurückkehrt, weist sein Körper seltsame Hautflecken auf. Hervés Sehnsucht nach körperlicher Nähe ist stärker als die Vernunft: So zeigen sich auch bei ihm bald erste Anzeichen einer bis dahin unbekannten Krankheit, die sich besonders in homosexuellen Kreisen schnell ausbreitet…

Anzeige: Glasfaser in Crange

Mit seinem 1990 erschienenen autobiographischen Roman „A l‘Ami qui ne m‘a pas sauvé la vie“, der in Frankreich vor allem deshalb so viel Aufsehen machte, weil er den angeblich an Krebs verstobenen Philosophen Michel Foucault als Aids-Kranken outete, erzählt Hervé Guibert von Liebe in pandemischen Zeiten, von der Angst vor körperlicher Berührung bei gleichzeitigem Verlangen nach Zärtlichkeit, von Freundschaft zu seinem Lebensgefährten Jules (auch William Cooper), von Hoffnung auf Heilung durch seinen Arzt (hier Gina Haller als Dr. Claudette Chandi) und von Verrat durch den befreundeten amerikanischen Pharma-Manager Bill (überzeugt auch als Hervés väterlicher Freund Muzil alias Focault: Thomas Huber als Gast aus München).

Angelehnt an die Französische Revolution

Regisseur Florian Fischer und Dramaturg Vasco Boenisch haben „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ erstmals für die Bühne bearbeitet. Angelehnt an die Parole der Französischen Revolution von 1789, „Liberté, Égalité, Fraternité“, ist die zweistündige Inszenierung in die drei Teile „Freiheit“ (promiskuitives Leben in der Stadt der Liebe), „Gleichheit“ (Focaults Aids-Tod als Menetekel für Hervés Zukunft) und „Schwesterlichkeit“ (geradezu zärtliches Verhältnis zwischen dem totkranken Patienten Hervé und seiner machtlosen Ärztin Dr. Chandi) gegliedert. Die zugleich die Stadien des Lebens des bei uns nur Wenigen bekannten Romanciers („Reise nach Marokko“, „Mitleidsprotokoll“, „Das Paradies“) markieren.

Gina Haller und Risto Kübar.

Liebe in Zeiten von Krankheit: Bei aller auch für meinen Geschmack höchst grenzwertigen, da völlig unnötigen Ausstellung körperlicher Nacktheit ist diese zum 30. Todestag Hervé Guiberts am 17. November 2022 in den leider bei weitem nicht ausverkauften Kammerspielen des Schauspielhauses Bochum uraufgeführte Hommage ein hauchzarter, berührender und auch immer noch mutiger Abend, der auch mit der skandalösen Verunglimpfung Aids-Kranker in Deutschland abrechnet und nur vorsichtige, zum Glück nicht plakative Verbindungslinien zur Corona-Pandemie unserer Tage zieht.

Zitate und Fotografien

„Hundert literarische Fotografien“ (Vasco Boenisch): Neben drei Reenactments der fotokünstlerischen Tätigkeit Guiberts auf der Bühne von Jonathan Mertz zwischen Bettstatt und Dunkelkammer (das Rotlicht steht nicht für ein schwüles Liebesnest, sondern für die Foto-Entwicklung in analoger Zeit) unterstreichen Zitate und Fotografien, darunter immer wieder Selbstporträts, auf der Videowand den immer verzweifelter wirkenden Versuch des HIV-Infizierten, an einem geordneten Leben in Würde festzuhalten.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

„Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ steht wieder am Freitag, 25. November (10-Euro-Tag mit anschl. Publikumsgespräch), am Dienstag, 20. Dezember und Mittwoch, 28. Dezember 2022, jeweils um 19:30 Uhr auf dem Spielplan, Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel 0234 – 33 33 55 55.

Vergangene Termine (3) anzeigen...
  • Freitag, 25. November 2022, um 19:30 Uhr
  • Dienstag, 20. Dezember 2022, um 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 28. Dezember 2022, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann