
WLT-Klassenzimmerstück für alle ab acht Jahren
'Courage. NPC – Level Up'
Peech hat Pech – und fällt erst einmal hin. Ist in ihrem ausladenden pfirsichfarbenen Rock (Ausstattung: Rabea Stadthaus) auf Rollschuhen unterwegs, umkurvt sie die Stuhlreihen in der Aula des Recklinghäuser Marie-Curie-Gymnasiums, in der das Klassenzimmerstück „Courage. NPC – Level Up“ Uraufführungspremiere feiert, mit Höchstgeschwindigkeit.
Peech ist reichlich verwirrt – und fragt die Künstliche Intelligenz Neya erst einmal, wo sie sich gerade befindet. Das sieht hier nämlich verdammt real aus und nicht so wie ihr Computerspiel, dessen sechstes Level sie erreichen will: In dieser dreidimensionalen Welt kann sie sich sogar selbst anfassen!
Mut zur Courage
Die Auftragsarbeit des Westfälischen Landestheaters (WLT) für die Regisseurin Tamó Gvenetadze und die Schauspielerin Mirjam Radović als Solo-Darstellerin fragt nach Courage und Mut. Zusammen mit Peech soll das Publikum, hier Kinder ab acht Jahren, das nächste Level einer sozial gerechten Gesellschaft erklimmen. „Was soll diese ,Courage‘ überhaupt sein? Ist sie irgendwo versteckt? Ist sie groß? Ist sie klein? Ich muss nach Hinweisen suchen. Das Level scheint diesmal ein Detektivspiel zu beinhalten, ja?“, fragt Peech und nestelt ein Vergrößerungsglas aus ihrem rosafarbenen Mantel.
Das junge Publikum kann im Gegensatz zum Autor dieser Zeilen mit dem Begriff „NPC“ ganz selbstverständlich ‘was anfangen: Er stammt aus der Welt der Computerspiele und bezeichnet Randfiguren ohne eigenständigen Charakter. Doch wer will im wahren Leben schon ein Non-Playing-Charakter sein, weshalb das Kürzel in der Jugendsprache auch abwertend und diskriminierend benutzt wird gegenüber vermeintlich Andersartigen, die zu Außenseitern abgestempelt werden.
Gefühle zeigen
Im Dialog mit der Künstlichen Intelligenz Neya lernt die anfangs noch etwas unbeholfene Peech nach und nach die Codes und Spielregeln kennen - und nicht zuletzt sich selbst. Umarmungen? Körperliche Nähe? Findet Peech „wirklich blöd“, bis Neya und die Fünftklässler sie eines Besseren belehren: Gefühle zu zeigen ist nicht ein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke.

Das mit der eingeschobenen Geschichte der afroamerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks (1913 bis 2005) etwas überfahren wirkende Publikum bekommt mit, dass Courage etwas bewirken kann, auch wenn es etwas dauert wie bei der skandalösen Rassentrennung in den USA. Wie Rosa Parks will Peech eine Heldin werden, an die sich alle erinnern. Und gesteht gleichzeitig ein, oft selbst in scheinbar ausweglosen Schwierigkeiten zu stecken.
Plädoyer fürs Gendern
Wie bei dem zum Scheitern verurteilten Versuch, die Geschichte der Menschheit auf einen Nenner zu bringen. Peech bricht unter der Fülle an förmlich auf sie niederprasselnden Informationen zusammen, begnügt sich am Ende mit einem Plädoyer für eine Gendersprache, die niemanden ausgrenzt: „Wenn wir zusammenhalten, können wir die Welt besser machen.“
So mutiert eine hierarchische Pyramide zu einem Kreis gleichwertiger und daher gleichberechtigter Menschen. Im finalen, in kleinen Gruppen erstellten Manifest geht’s um ein liebevolles, faires, respektvolles und hilfsbereites Miteinander. Die Stichworte dazu sprudeln aus den Schülern wie auf Knopfdruck heraus: Ob das ein gutes Zeichen für eigene humane Überzeugungen ist oder nur die Erfüllung erwarteter Reaktionen ist eine Frage, die bei jeder Straßenumfrage neu gestellt und nicht beantwortet werden kann.
Thesen an Aulatür geheftet
Tamó Gvenetadze, in Georgien geborene Autorin und Regisseurin, lebt seit 2011 in Deutschland, hat in München studiert und u.a. am Schauspielhaus Bochum als Assistentin gearbeitet. In ihrer ersten Arbeit am WLT werden am Ende nach 45 Minuten wie bei Martin Luther an der Wittenberger Schlosskirche Thesen der Schüler an die Tür der Schulaula geheftet, zu denen auch die Einsicht gehört, dass es ganz in Ordnung ist, einmal nicht die Hauptfigur zu sein.
„Courage NPC – Level Up“ ist häufig eher Lehrstunde als Theateraufführung, wird aber sehr lebendig durch die großartige Präsenz der quirligen Mirjam Radović inmitten des Publikums. Forever young ist kein Kompliment, sondern Tatsache: Die in Mainz als Tochter serbisch-kroatischer Eltern geborene Schauspielerin, deren wirkliches Alter nur zu ungläubigem Staunen führen würde, ist zum dritten Mal gern gesehener Gast am WLT und steht regelmäßig auf der Bühne des Gelsenkirchener Consol-Theaters, derzeit in George Orwells „Farm der Tiere“.
Bei Interesse an der Produktion für Kinder ab acht Jahren (ab 3. Klasse) können sich Schulen gerne an Jutta Dahlhausen aus der Theaterpädagogik des Westfälischen Landestheaters wenden unter oder telefonisch unter 0 23 05 - 97 80 26 wenden.