
Der Wunderheiler Jan Mikolášek
Charlatan
Schon als junger Mann will Jan Mikolášek (Josef Trojan) körperliche Gebrechen mit der Heilkraft der Natur kurieren, weshalb er bei der als Kräuterhexe verschrienen Mülbacherová (Jaroslava Pokorná) in die Lehre geht. Sehr zum Verdruss seiner Eltern (Martin Myšička und Lenka Veliká), die eine Gärtnerei betreiben und ihren Sohn als Nachfolger sehen. Doch bereits als kleiner Junge hat er seiner Schwester Johana (Melika Yildiz) mit einer Kräuterpackung ein bereits zur Amputation freigegebenes Bein gerettet.
Jan, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gegen seinen Willen einem Erschießungskommando angehörte, wollte sich lieber selbst das Leben nehmen, als auf Befehl Kameraden zu töten. Das Bombardement seiner Stellung verhinderte den Plan, fortan hat er sich dem Humanismus verschrieben. Sein frappierendes Talent, anhand von Urin-Schnelldiagnosen per Augenschein Krankheiten gezielt zu erkennen und mit pflanzlichen Mitteln erfolgreich zu behandeln, bringt Mikolášek (nun Josefs Vater Ivan Trojan) bald Ruhm und Reichtum ein.

Nicht nur die kommunistische Presse hetzt gegen den Millionär, der aus seinem Liebesverhältnis zu seinem verheirateten Assistenten František Palko (Juraj Loj) kein Geheimnis macht. Weshalb ihn der Minister Clerk Mrazek (Jan Budar), ein ehemaliger Patient, dringend bittet, mit neuen Papieren das Land zu verlassen. Doch Jan Mikolášek fühlt sich seinen Schützlingen verpflichtet, gibt etwa einer jungen Mutter (Pavlína Štorková) Geld, damit sie mit ihrem unter Vitamin-D-Mangel leidenden Sohn (Adam Hrdy) an die See reisen kann.
Zu seinen prominenten Patienten gehört auch der kommunistische Präsident der Tschechoslovakei, Antonín Zápotocký (Ladislav Kolář). Als der hochbetagte Genosse stirbt, wird Mikolášek der Prozess gemacht. Seine Privatklinik, in der zur Zeit der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg auch prominente Nationalsozialisten behandelt wurden (Bernhard Schütz mit einem markanten Kurzauftritt als Berliner Emissär Dr. Ullrich), soll in ein staatliches Kinderheim verwandelt werden. Obwohl sein Pflichtverteidiger Zlatohlávek (Jiří Černý) entdeckt hat, dass die Prager Staatssicherheit Jans Kräutermischung, an der angeblich zwei kommunistische Funktionäre gestorben sind, mit Strychnin versetzt hat, wird die Todesstrafe verhängt.
Am bitteren Ende nimmt František Palko zum Entsetzen seiner Familie (Jana Kvantiková als seine Gattin, Jana Olhová als seine Mutter) alle Schuld auf sich. Nach knapp zwei Stunden bleibt das Ende offen, was vor dem Hintergrund der realen Geschichte des tschechischen Wunderheilers mehr als nur verwundert: Jan Mikolášek hat Hunderte von Menschen mit pflanzlichen Medikamenten geheilt. Als Familienmensch hat er freilich ebenso versagt wie als Liebhaber: Seine Eifersucht, sein egoistischer Machtanspruch geht so weit, dass er von František verlangt hat, sein Kind abtreiben zu lassen.
„Charlatan“, am 27. Februar 2020 in der Reihe „Gala Special“ der 70. Berlinale uraufgeführt, ist also kein Heldenepos. Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland lässt in langen Rückblenden keinen Zweifel am höchst zweifelhaften Charakter des Wunderheilers, aus dem noch kein Gutmensch wird, nur weil er seinen Patienten Gutes tut. Allerdings maßt sich die aktuelle Präsidentin der European Film Academy kein moralisches Urteil an: Seine Homosexualität war dem katholisch erzogenen Jan Mikolášek selbst eine zu geißelnde Last. Pandemiebedingt ist „Charlatan“ erst am 20. Januar 2021 in unsere Kinos gekommen, zu sehen u.a. in der Endstation Bochum, in der Galerie Cinema Essen und im Düsseldorfer Bambi.