
Zeche Hannover beleuchtet das Verhältnis von Mensch und Tier
Boten, Helfer und Gefährten
Bochum (lwl). Hausschlachtung, Galopprennsport, Brieftaubenzucht und Urban Beekeeping - das Verhältnis von Menschen und Tier im Revier ist vielfältig und hat sich seit der Industrialisierung grundlegend gewandelt. Wo früher Wildpferde grasten, wurden später Grubenpferde zur Arbeit in die Zeche verfrachtet. Heute säumen zahlreiche Pferdehöfe für Hobbysportler das Revier. Welche Rolle spielen Tiere im Alltag der Menschen? Wie wandelten sich die Einstellungen zu ihnen? Das fragt die neue Ausstellung „Boten, Helfer und Gefährten“, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) vom 26. Juni bis 25. Oktober in seinem Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum zeigt.
Die Ausstellung folgt den Spuren von Bienen, Schweinen, Tauben und Pferden in Westfalen und im Ruhrgebiet. Über 300 Exponate und zahlreiche Medienstation beleuchten das wechselvolle Verhältnis von Tieren und Menschen vom Industriezeitalter bis heute. Das Spektrum reicht von einem Bienenkorb aus den 1930er Jahren über das Geschirr des letzten Grubenpferdes der Zeche Zollern in Dortmund über historische Postkarten bis zu einem Fallschirm für Nachrichtentauben aus dem Zweiten Weltkrieg.
„Trotz der Dominanz der Maschinen haben bis in die 1960er-Jahre hinein Menschen und Tiere gemeinsam gearbeitet. Erst danach sind die Pferde aus den Bergwerken und aus dem Straßenbild verschwunden. Heute ist der Umgang der Menschen mit den Tieren in den Städten der Region vor allem eine Sache der Freizeit und des Wohlbefindens - vom Sport bis zum Haustierliebe“, sagt LWL-Museumsleiter Dietmar Osses. Das Verhältnis der Menschen zu den Tieren ist dabei vielfältig. „Aus dem Alltag der Menschen sind viele Tiere verschwunden. Eine sich ändernde Einstellung zu Tieren zeigt sich auch im Trend zu vegetarischer oder veganer Ernährung. Gleichzeitig investieren viele Menschen Geld, um ihre Sport- oder Haustiere mit speziellem Futter oder Accessoires zu verwöhnen“, erläutert Projektleiterin Lisa Egeri.

Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Mensch und Tier im Ruhrgebiet entstanden, einem interdisziplinären Zusammenschluss von Forschenden und Museumsfachleuten aus Nordrhein-Westfalen, koordiniert vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Zusammen mit der Ausstellung „Mensch und Tier im Revier“ im Ruhrmuseum Essen (bis 16. August) und der Ausstellung „Modische Raubzüge durch die Tierwelt“ im LVR-Industriemuseum Textilfabrik Cromford (ab 21.3.2021) bietet die Ausstellung „Boten, Helfer und Gefährten“ im LWL-Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum vielfältige Einblicke in die Beziehungen von Mensch und Tier in der Region.
Themen der Ausstellung
Pferde

Westfalen gilt als Pferdeland - und das mit Recht. Wildpferdbestände im Emscherbruch begründeten einst die Pferdemärkte in Crange und Umgebung. Seit dem Mittelalter ist ein aufsteigendes Pferd das Wappentier von Westfalen. Bis 1966 arbeiteten Zehntausende von Grubenpferde in den Bergwerken unter Tage. „Das Industriezeitalter brachte aber auch den Pferdesport ins Ruhrgebiet. Der irische Unternehmer William Thomas Mulvany veranstalte in der eigens angelegten Pferderennbahn in Castrop 1875 das erste große Pferderennen im Ruhrgebiet. Galopp- und Trabrennbahnen folgten in zahlreichen Revierstätten. Sie boten Pferderennsport auf höchstem Niveau und gesellschaftliche Anlässe für Prominente und Arbeiterschaft“, erläutert Kuratorin Jana Golombek. Eine Glocke des Castroper Rennvereins von 1874 und historische Postkarten zeugen von der Hochzeit des Rennsports im Revier. Heute ist der Reitsport ein Massenphänomen. So hält Nordrhein-Westfalen die Spitzenposition bei der Anzahl der Reisportvereine in Deutschland. Pferdebücher, Pferdefilme und Pferdeblogs im Internet sind vor allem bei Mädchen beliebt und verschaffen der Zubehörindustrie hohe Umsätze.
Schweine
Ob schlau und niedlich oder verfressen und unrein - die Einstellungen der Menschen zu Schweinen ist voller Widersprüche. „Während bis in die 1960er-Jahre die Haltung und Schlachtung eines Hausschweins in der Bergarbeitersiedlung noch üblich war, haben sich heute die Lebenswelten von Schweinen und Menschen im Ruhrgebiet weit voneinander entfernt“, erklärt Museumsmitarbeiterin Julia Bursa. Die Haltung, Tötung und Verarbeitung der Schweine sind im Alltag kaum sichtbar. In der Populärkultur begeistern Figuren wie „Peppa Pig“ und „Pottpauli“ vor allem Kinder. Wildschweine sind in den speziell angelegten Wildgehegen gern gesehen. Im Stadtwald und in Gärten gelten sie dagegen als Eindringlinge, an Autobahnraststätten als Seuchenherde und werden daher vertreiben und gejagt. Die Ausstellung zeigt in diesem Bereich zum Beispiel die Ausrüstung für die Hausschlachtung aus einem Bergmannshaushalt mit Leiter, Krummholz und Messern und ein „Wühlophon“ zur Beschäftigung von Schweinen.
Tauben

Weiße Tauben gelten als Zeichen für Unschuld, Frieden und Gottes Segen. Die Populärkultur des 19. Jahrhunderts prägte vor allem das Motiv der Tauben als Liebesboten. Eine Serie von 60 Ansichtskarten zeigt die weite Verbreitung dieser Motive. Aus militärischen Gründen unterstütze die preußische Regierung ab 1876 die Gründung von Brieftaubenzuchtvereinen. Im Ruhrgebiet fiel die Idee der Taubenzucht und der Veranstaltung von Wettflügen auf besonders fruchtbaren Boden. Die Siedlungshäuser der Arbeiterkolonien boten mit den großen Gärten und Dachböden ideale Voraussetzung für den Betrieb eines Taubenschlags. Neben der Taubenzucht waren Wetten auf den Ausgang der Preisflüge, aber auch der gesellige Austausch der meist männlichen Brieftaubenzüchter für viele attraktiv. „Um 1900 entwickelte sich das Ruhrgebiet zum Zentrum der Brieftaubenzucht in Deutschland und hält diese Position trotz eines deutlichen Rückgangs der aktiven Taubenzüchter und Züchterinnen auch weiterhin“, so Museumsleiter Dietmar Osses. Als ein „Himmelbett für Tauben“ besang Herbert Grönemeyer seine Heimatstadt Bochum. Tatsächlich sind Tauben in den Innenstädten heute von vielen Menschen nicht gern gesehen. Mit aufwändigen Maßnahmen von Netzen über Abwehrspikes bis zu Stromschienen werden die Stadttauben vergrämt - und dabei oft verletzt oder getötet. Zahlreiche Initiativen setzten sich für den Schutz der frei lebenden Tauben und ein friedliches Miteinander von Menschen und Tauben ein. Sie versorgen verletzte Tiere und bieten sich für Beratungen an. Ein Erste-Hilfe-Set für Stadttauben ist in diesem Bereich ausgestellt.
Bienen

Für viele Menschen gelten Biene als fleißige und nützliche Tiere. Produkte der Honigbienen sind als Genuss- und Heilmittel sehr begehrt. Der Bochumer Gelehrte Carl Arnold Kortum verfasste 1776 ein umfassendes Werk über die Grundsätze der Bienenzucht in Westfalen. In der Hochphase der Schwerindustrie beklagten Imker im Ruhrgebiet die negativen Auswirkungen der Rauchplage auf ihre Bienenvölker und den Rückgang der Honigerträge. „Heute gelten die Bienen als Botschafterinnen im Kampf für Umweltschutz und Artenvielfalt“, weiß Egeri, die selbst als Imkerin tätig ist. Die Urban-Beekeeping-Bewegung hat die Städte des Ruhrgebiets erreicht. Seit 2012 widmen sich auch die „Ruhrstadtimker“ der Bienenzucht und betreuen eine ständig wachsende Zahl von Nachwuchsimkern. Im Mittelpunkt steht die Arbeit mit den Bienenvölkern - die Frage nach dem Honigertrag tritt dabei in den Hintergrund. Zu sehen sind Exponate wie ein historischer Bienenkorb, eine Imkerpfeife, aber auch eine Sammlung von Honigtöpfen und das BVB-Maskottchen Biene „Emma“ und ein Insektenkasten mit Wildbienenarten.
Begleitprogramm
Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus werden gegenwärtig nur Führungen für angemeldete Gruppen bis maximal zehn Personen und Führungen für Familien angeboten. Informationen und Anmeldung unter Te 0234 282539-0 oder per Mail an: . Ab September sind je nach Entwicklung der allgemeinen Lage Begleitveranstaltungen geplant.