Von der Ästhetik totalitärer Macht
Andres Veiels 'Riefenstahl'
Update, Donnerstag (7.11.2024)
Weiterhin zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Gelsenkirchen, im Filmstudio Glückauf Essen sowie im Atelier Düsseldorf.
Leni Riefenstahl (22.8.1902 Berlin – 8.9.2003 Pöcking) gilt als eine der umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts. Die ikonografischen Bildwelten ihrer Filme „Triumph des Willens“ und „Olympia“ stehen für perfekt inszenierten Körperkult, für die Feier des Überlegenen und Siegreichen. Und zugleich auch für das, was diese Bilder nicht erzählen: die Verachtung des Unvollkommenen, des vermeintlich Kranken und Schwachen, der Überlegenheit der einen über die anderen.
Der aus 700 Kisten bestehende persönliche Nachlass Riefenstahls, die 1923 als Mary Wigman-Schülerin als Tänzerin begann, bevor sie als Schauspielerin in Bergfilmen Arnold Francks („Stürme über dem Montblanc“, „Die weiße Hölle vom Piz Palü“) reüssierte und 1932 mit „Das blaue Licht“ ihre erste Regie verwirklichte, befindet sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die TV-Journalistin Sandra Maischberger erhielt als erste Zugang zu dem Material, das ein Team aus Archivaren und Rechercheuren über vier Jahre sichtete, bevor der Dokumentarist Andres Veiel („Die Spielwütigen“, „Der Kick“, „Beuys“) ins Spiel kam. Allein der Schnitt seines Materials dauerte 18 Monate.
Tiefere Wahrheit freilegen
Abseits der bekannten Meinungen über Leni Riefenstahl versucht der knapp zweistündige Film, eine tiefere Wahrheit freizulegen, die sich aus den Widersprüchen des Nachlasses dieser Meisterin der Selbstdarstellung und Manipulation ergibt. In „Riefenstahl“ spricht Ulrich Noethen, Neuland für einen Veiel-Film, einen wertenden Kommentar, der zu Beginn die Funktion hat, Riefenstahls Lügengebilde zum Einsturz zu bringen. Was später beinahe allein die Montage übernimmt. Die Dokumentation arbeitet ausschließlich mit Archiv-Material: der Nachlass aus in Ordnern gesammelten persönlichen Schriftstücken, Fotoalben und Kontaktbögen in Schutzhüllen und Kartons wird auf einem Leuchttisch präsentiert, aber auch in Bewegung abgefilmt oder als Standbild gezeigt.
Andres Veiel verzichtet zwar bewusst auf Zeitzeugeninterviews, nutzt aber die O-Töne, die Gestik und Mimik Riefenstahls in zahlreichen Interviews und Auftritten im Fernsehen, Höhepunkt ihr Verhalten in der WDR-Talkshow „Je später der Abend“ am 30. Oktober 1976 gegenüber der gleichaltrigen Hamburger Gewerkschafterin Elfriede Kretschmar, welche dem Selbstbild einer unpolitischen, ahnungslosen Künstlerin vehement entgegentrat: „Wir waren doch schon Menschen um dreißig herum, wir haben doch gewusst, was wir machen.“ Was zu einer Flut von erschreckenden Zuschauer-Rückmeldungen zugunsten der angeblich verleumdeten Hitler- und Goebbels-Anhängerin, die von beiden nach der Silbermedaille auf der Biennale Venedig 1932 für „Das blaue Licht“ mit dem Parteitagsfilm „Sieg des Glaubens“ beauftragt wurde, geführt hat.
Mechanismen von Manipulation
Produzentin Sandra Maischberger im Majestic-Presseheft: „Leni Riefenstahls hundertjährige Lebens- und Wirkungsgeschichte ist ein Schlüssel zum Verständnis der Mechanismen von Manipulation, wie sie uns gerade wieder begegnen. Das macht die Reise in die Tiefen ihres Nachlasses nicht nur zu einer wichtigen kulturgeschichtlichen Aufgabe. Ihr Werk zu dechiffrieren heißt: eine Ursünde der Filmpropaganda offen zu legen, um sie im Heute wiedererkennen zu können.“
Die suggestive Bildästhetik Leni Riefenstahls hat sich von den NSDAP-Propagandastreifen („Triumph des Willens“) über die Berliner Olympiade 1936 bis hin zu ihrem letzten Spielfilm „Tiefland“ (1944) nicht verändert und auch ihre Afrika-Dokumentationen in den 1960er und 1970er Jahren transportieren vor allem ihren Drang, die Schönheit durchtrainierter Körper ins rechte Licht zu rücken. Der am 30. August 2024 bei den 81. Internationalen Filmfestspielen von Venedig uraufgeführte Film offenbart eine durchaus differenzierte Sicht auf den Menschen Riefenstahl und die kontroversen Diskussionen um ihren Anteil am propagandistischen Erfolg der Nationalsozialisten. Klar ist: Hinterher sind alle immer schlauer und Moralpredigten allzu wohlfeil. Klar aber ist auch: Wehret den Anfängen!
Und so kommt die am 18. September 2024 auf der 24. Filmkunstmesse Leipzig in Deutschland erstaufgeführte und dort mit dem Gilde-Preis („Bester Dokumentarfilm“) und dem Preis der Jugendjury ausgezeichnete Dokumentation genau zur rechten Zeit am 31. Oktober 2024 in unsere Kinos, bei uns zu sehen im Casablanca Bochum, im Filmstudio Glückauf Essen und im Metropol Düsseldorf.