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v.l. Erzählen intime Details aus ihrem Leben: Johannes Persie, Maria Goeke, Jacques Scheewe.

Generationsübergreifendes Projekt in Bochum

'All the Sex I've Ever had'

Freitag, der Dreizehnte, sollte ein Glückstag werden für sechs Mittsechziger (und älter) aus Bochum, Herne und dem Ruhrgebiet. Das war im März 2020. Kurz vor der Generalprobe fiel die Entscheidung der Stadt Bochum, das Theater coronabedingt zu schließen. Achtzehn Monate später war es endlich soweit: Die Laiendarsteller betreten beiderseits aus dem Parkett kommend die Bühne der Kammerspiele des Schauspielhauses Bochum, um aus ihrem (Liebes-) Leben zu erzählen. Chronologisch und von Max Kotzmann rechterhand an der Musikmaschine mit entsprechendem Pop-Sound unterlegt, welcher sie immer wieder zu kleinen Tanzpausen reizt.

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Wie früher, als sie sich unter der Discokugel zum ersten Mal verliebten, auch den ersten Herzschmerz durchlitten. Sie berichten mit entwaffnender Offenheit und eigene Lebensweisheit ausstrahlender Selbstverständlichkeit über (un)geplante Schwangerschaften, über aufregende Affären und sexuelle Neuorientierungen bis hin zum Tod von geliebten Menschen. Sie sind in der konservativ-reaktionären Nachkriegszeit der Adenauer-Ära groß geworden, zumeist ohne sexuelle Aufklärung und jedenfalls ohne „die“ Pille. Aber auch mit „Bravo“- Ratgeberseiten und tabulosem Sex der promiskuitiven Sechziger und Siebziger Jahre, als Aids noch kein Thema war.

v.l. Viel los auf der Bühne mit Maria Goeke, Melika Ramić, Johannes Persie, Jana Eiting und Max Kotzmann.

Sie stammen längst nicht alle ursprünglich aus dem Revier, sondern aus dem niederrheinischen Homberg, aus Offenbach oder Neuwied. Beruflich oder privat hat es sie hierher verschlagen – oder weil etwa das Eigenheim in Herne günstig zu errichten war. Nur Dorothea kommt aus Oldenburg, wohin es die gebürtige Quedlinburgerin in den Kriegswirren 1945 verschlagen hat: Sie ersetzt Edith, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auftreten kann. Und das aus gutem Grund: Dorothea gehört zu den Gründungsteilnehmern des 2010 am Oldenburgischen Staatstheater entwickelten Projektes „All the Sex I‘ve Ever had“ der kanadischen Gruppe Mammalian Diving Reflex um den Stadtplaner, Essayisten, Bühnenautor, Filmemacher und Regisseur Darren O'Donnell.

Der im ersten Teil neunzigminütige Abend berührt Themen, die in unserer jugendfixierten Gesellschaft tabuisiert sind wie Sex im Alter oder an ungewohnten Orten. Aber es geht um weit mehr als den Austausch von Körperflüssigkeiten, weshalb der spektakuläre Titel in die Irre führt: das halbe Dutzend so offener wie ungemein witziger Protagonisten spricht über Themen, die alle Altersgruppen betreffen wie Verletzlichkeit, Verwundbarkeit und Vergänglichkeit. Weshalb es kein Zufall ist, dass „All the Sex I‘ve Ever had“ ein Vorhaben des Jungen Schauspielhauses Bochum ist.

Denn der zweite, zum Ende hin offene Teil findet im Foyer der Kammerspiele statt. Bei einem Freigetränk können sich die Besucher mit den sechs Akteuren in Einzelgesprächen austauschen, von deren Erfahrungen profitieren, aber auch eigene Themen anschneiden. Dieses generationenübergreifende Projekt lebt also von der Bereitschaft des Publikums zum aktiven Mitmachen – und von der gleich zu Anfang kollektiv beschworenen Zusicherung, keine Inhalte nach außen dringen zu lassen.

Die nächsten Vorstellungen: Am 8. Oktober sowie am 4. und 5. November 2021 jeweils um 19:30 Uhr in den Kammerspielen, Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel 0234 – 33 33 55 55.

Vergangene Termine (3) anzeigen...
  • Freitag, 8. Oktober 2021, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 4. November 2021, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 5. November 2021, um 19:30 Uhr
Freitag, 8. Oktober 2021 | Quelle: Pitt Herrmann