
Zwischen Elend und Hoffnung
Xoftex – Traum und Traumata
Als der palästinensisch-syrische Teenager Nasser Barahat (Abdulrahman Diab) im griechischen Flüchtlingslager Xoftex von einem Mitarbeiter der griechischen Einwanderungsbehörde zum „Interview“ gebeten wird, in dem er über die Gründe seiner gefährlichen Flucht über das Mittelmeer aussagen soll, fragt er als erstes nach der Perspektive seines älteren Bruders Yassin (Osama Hafiry), der mit der seiner Situation nur sehr schlecht zurechtkommt und immer wieder zu Gewaltausbrüchen neigt – auch gegen sich selbst.
Was auch an Leidensgenossen wir Rafiq (Yasin El Harouk) liegt, die daran verzweifeln, bis zu 18 Monate auf die Entscheidung, ob sie weiterreisen können nach Mitteleuropa oder Nordamerika, warten müssen: „Das ganze Leben geht den Bach runter.“ Aber nicht nur: kriminelle Schleuserbanden lassen sich ihre Dienste gut bezahlen, die darin bestehen, Flüchtlingen einen Platz in oder unter einem der Güterwaggons zu besorgen, die auf dem Weg nach Norden Station auf einem Bahnhof in unmittelbarer Lagernähe machen. Abwehrmittel gegen die feinen Nasen der Spürhunde inklusive.
Ein trister Alltag
Der Alltag ist trist. Und manchmal lebensgefährlich, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen etwa bei der Verteilung von gespendeten Grundnahrungsmitteln kommt. Manche vor allem unter den jungen Leuten versuchen, sich lernend auf die ersehnte neue Heimat vorzubereiten. Andere sind von dem bisher Erlebten so traumatisiert, dass sie in Lethargie verfallen.

Nasser scheint ein Mittel gefunden zu haben, zumindest zeitweise den Verlust seiner Schwester Souad (Lujain Mustafa), die von den Wellen des Mittelmeers über Bord gespült worden ist, zu verarbeiten. Er dreht, freilich nur mit einer Kamera aus Pappmaché, einen (Zombie-) Film über Xoftex und seine Insassen, in dem sich seine kindliche Phantasie auf erschreckende Weise mit seiner Lebensrealität vermischt.
Alpträume von Schlangen und Schweineblut
Wenn einmal längere Zeit nichts passiert, hat Nasser surreale Alpträume, etwa von Schlangen in den Sanitärräumen, Schweineblut im Essen und medizinischen Experimenten im Auftrag der Pharmaindustrie. Aber auch Glücksvorstellungen, indem er sich vorstellt, mit seinen beiden Geschwistern in gesicherten mitteleuropäischen Verhältnissen leben zu können unter der mütterlichen Regie Souads, die ihn fragt: „Träume ich oder träumst du mich?“.
Regelmäßig bewässert Nasser einen Baum, der wie ein Zeichen natürlichen (Über-) Lebens mitten im Gebetszelt der muslimischen Männer steht. Frauen, die mit den Kindern getrennt von den Männern in karg ausgestatteten Containern hausen, sieht man nur selten, etwa, wenn sie an Zusammenkünften mit Abu Ashraf (Ramadan Hamoud) teilnehmen, einem offenbar allseits anerkannten Sprecher der hier Internierten. Wenn sich ein schlafwandelndes Mädchen nachts in den Männerbereich verirrt, wird sogleich deren Familie informiert: es gibt auch Solidarität im Lager, die aber selten über die eigene Volksgruppe hinausreicht. Am Ende starrt Nasser über ein (deutsches?) Getreidefeld, aus dem ihm lauter Menschenarme zuwinken…
Inspiriert von den realen Erlebnissen
Inspiriert von den realen Erlebnissen Geflüchteter im griechischen Flüchtlingslager Softex und mit einer Besetzung aus größtenteils selbst Asylsuchenden, erzählt „Xoftex“ von Babak Jalali (Buch) und Noaz Deshe (Buch und Regie) die bewegende Geschichte eines Jugendlichen, der zwischen Stillstand, Trauma und kreativer Selbstbefreiung seinen Weg sucht. Dabei konfrontiert der auf einem Theaterworkshop in den Jahren 2016 bis 2019 basierende Film seine Zuschauer kompromisslos mit der Härte der Realität im Flüchtlingslager und entfaltet mit seiner abstrakt-experimentellen Erzählweise zugleich eine eindringliche und surreale künstlerische Schönheit.
Der knapp 100-minütige Spielfilm ist am 1. Juli 2024 beim Filmfest Karlovy Vary (Karlsbad) uraufgeführt worden, die Deutsche Erstaufführung fand am 3. Juli 2024 beim Filmfest München statt. Beim Thessaloniki Film Festival gabs den „Silver Alexander“ für die beste Regie. Zum Kinostart am Donnerstag, 17. April 2025 ist „Xoftex“ bei uns im Metropolis Bochum und im Roxy Dortmund zu sehen.
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- Donnerstag, 17. April 2025